Sind wir nicht alle ein bisschen Jandl?

Kinderbuch | Carson Ellis: Wazn Teez?

Es frühlingt. Vielleicht noch nicht so ganz richtig, aber das erste winzige Schneeglöckchengrün guckt schon vorwitzig aus Schneeresten. Da fragt sich mancher erstaunt ›Wazn teez?‹ Von ANDREA WANNER

Carson Ellis: Wazn Teez?Das Reich der Käfer und Krabbeltiere hat schon Sibylle von Olfers in ihrem Jugendstilklassiker »Etwas von den Wurzelkindern« literarisch erobert. Eine vermenschlichte Welt, in der kleine Tiere und Pflanzen das Wunder des Werdens und Vergehens erleben.
Auch jetzt treffen wir auf Raupen, Fliegen, Motten, Käfer und Spinnen und werden Zeugen eines wundersamen Geschehens, das alle staunend Fragen lässt ›Wazn teez?‹

Ja, wazn teez eigentlich? Darüber unterhalten sich die Insekten in einer ganz eigenen Kunstsprache, die einer Fremdsprache gleicht – und die man, obwohl alle Wörter unbekannt sind, trotzdem versteht. Was wir sehen, ist das erste Grün einer Pflanze, die sich aus der Erde wagt. Seite um Seite wächst sie zu einem wahren Prachtexemplar heran, einem imposanten Frauenschuh mit einer prächtigen Blüte. Was für ein wundervolles Gewächs! Genau das Richtige, um ein Baumhaus darin zu bauen. Das ist zumindest der Plan. Doch dazu braucht es viele Helfer, gute Ideen und die Energie, auch Rückschläge zu überwinden. All das bringen die Akteure mit. Sie planen, werkeln, schaffen, feiern, das ganze Jahr hindurch – bis zum Winter.
Und dann geht alles von vorne los.

Die kanadische Autorin und Illustratorin Carson Ellis hat bereits im vergangenen Jahr mit ›Zuhause‹ ein besonderes Bilderbuch geschaffen, ›Wazn teez‹, das im Original ›Du Iz Tak?‹ heißt, ist schlicht hinreißend. Es findet Worte und Bilder für Gefühle und Stimmungen, die man eigentlich nicht in Worte und Bilder fassen kann. Staunen, Träumen, Hoffen, Bangen, Schwärmen. Es wären Klischees, sobald die Begriffe auf dem Papier stünden. Ellis umschifft diese Gefahr, erfindet Worte in einer neuen Sprache, die poetisch und unverbraucht genau das können, was sie sollen: Von dem Wunder erzählen, das alltäglich und trotzdem besonders ist.

Ihr Blick gilt dabei nicht nur der Pflanze, sondern auch dem Tierreich. Da muss man dann einfach genau hinschauen und entdeckt auch dort, tja, Wundersames.

Die Insekten, die ein bisschen wie Menschen in Insektenkostümen wirken, unterhalten sich, kommentieren das Geschehen. Der Kabarettist Jess Jochimsen und Anja Schöne haben sich in deren Sprache eingedacht und ihnen ist eine fabelhafte Übertragung gelungen, die für deutsche Ohren ebenso überraschend wie letztlich doch vertraut klingt. Ein wahres Kunststück!

»Die Rache der Sprache ist das Gedicht«, hat Jandl gesagt. Er wusste um die Abnutzungserscheinungen einer Sprache, der man nur begegnen kann, wenn etwas radikal anders wird. Auf einmal hört man wieder zu, ist überrascht von Alltäglichem. Zum Klang der unbekannten Worte – »Miwi betta an Sprossel. – Jip. – Keksn allwiezi Izzi.« – gesellen sich die Illustrationen.

Am unteren Buchrand, der durchgängig als brauner Balken das Erdreich markiert, wächst die Szene der Doppelseiten von dort nach oben. Auf den Hintergrund verzichtet Ellis, außer auf den letzten Bildern, wo der Grund nachtblau leuchtet.

Sie inszeniert ihre Geschichte, witzig, verspielt, dramatisch. Wie auf einer Bühne kommen und gehen die Akteure, zeigen alle Gefühlsregungen, die möglich sind: Freude, Spaß, Angst, Wut, Trauer. Sie unterstützen einander gegen einen übermächtigen Feind. Letztlich sind sie aber der Natur genauso unterworfen, wie die Pflanze. Der Abschied im Herbst wird in einem magischen, festlichen Tanz zelebriert.
Dann kommt der Winter. Ein Ende, das aber den neuen Anfang schon in sich trägt.

Wunderschön. Berührend. Und eines der ungewöhnlichsten Bilderbücher der letzten Jahre.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Carson Ellis: Wazn Teez?
(Du Iz Tak, 2016). Aus dem Englischen von Jess Jochimsen und Anja Schöne
Zürich: NordSüd 2017
48 Seiten. 16,99 Euro
Bilderbuch ab 5 Jahren

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Zwischen Hoffen und Bangen

Nächster Artikel

Sie ist nicht von dieser Welt

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Winnie Puhs Erben im 21. Jahrhundert

Kinderbuch | Dave Shelton: Bär im Boot Ein von sich selbst überzeugter Bär und ein praktisch denkender kleiner Junge sind die Protagonisten dieser Geschichte und das wird so mancher bekannt vorkommen. Die beiden aber durchleben Abenteuer in einer Welt, in der nichts mehr festgefügt ist und der Sinn ihrer Existenz alles andere als durchschaubar. Winnie Puhs Erben müssen im 21. Jahrhundert bestehen, in einer Zeit, in der das einzig Sichere die Unsicherheit ist. Dave Shelton hat mit Bär im Boot die beiden klassischen Helden in die Postmoderne versetzt, eine ganz besondere Setzung in einem Buch für Kinder, findet MAGALI HEISSLER

Ausraster

Kinderbuch | Stefanie Höfler: Helsin Apelsin und der Spinner

Helsin ist ein nettes Mädchen – aber manchmal rastet sie komplett aus. Und das kann zu ungeahnten Problemen führen. Von ANDREA WANNER

Kuckuck, wo bin ich?

Kinderbuch | Lena Hesse: Das kleine Unsichtbar

Imaginäre Freunde haben viele Kinder in einer Phase ihres Lebens. Was ihnen ganz selbstverständlich vorkommt, verunsichert Erwachsene oft. Muss es nicht. ANDREA WANNER hatte Spaß an einem Bilderbuch mit einem unsichtbaren Freund.

Queste, absurd-verrückt und leicht geweihräuchert

Kinderbuch | Julie Berry: Eine verliebte Kuh, eine magische Karte und ein Strauß in geheimer Mission Unterwegs sein, ein Abenteuer nach dem anderen erlebend, eins fantastischer als das andere, ist ein unschlagbares Grundrezept für eine gute Geschichte. Hätte Julie Berry in diesem Kinderbuch auf die allzu weisen Sprüche verzichtet, wäre es sogar eine sehr gute geworden. Von MAGALI HEIẞLER

Eins, zwei, drei – ich komme!

Kinderbuch | Sabine Praml: Wenn sieben freche kleine Hasen schnell in die Verstecke rasen Der Hasenpapa hat alle Hände voll zu tun: alle sieben Hasenkinder sind plötzlich weg. Also macht er sich auf die Suche nach Matti, Frieda, Titus, Valentin, Emma, Tom und Fienchen. Von ANDREA WANNER