Comic | Igort: Berichte aus Japan
Schon zahlreiche westliche Künstler und Intellektuelle waren in den vergangenen Jahrhunderten von der asiatisch-pazifischen Region fasziniert und haben sich auf Reisen oder längeren Auslandsaufenthalten in die Kultur und Geschichte dortiger Länder verliebt. Während ab und an dabei auch Kunstwerke oder Reiseberichte herauskommen, die man als horizonterweiternd klassifizieren konnte, blieben viele leider doch eher kitschig, nostalgisch und manchmal auch klischeehaft. In die Reihe zu letzteren gesellt sich jetzt die autobiographische Comic-Dokumentation ›Berichte aus Japan. [Eine Reise ins Reich der Zeichen]‹ des italienischen Comic-Zeichners und Texters Igort. Ein Teilverriss von PHILIP J. DINGELDEY
Igor Tuveri, der sich unter dem Pseudonym Igort im Comic-Business seit den 1980ern einen Namen macht, gilt als einer der ersten europäischen Zeichner, der in den 1990ern bei japanischen Verlagen an Mangas arbeiten durfte, was er auch im vorliegenden Graphic Novel nicht müde wird, zu betonen. Die Erlebnisse, die er dort etwa eine Dekade lang gemacht und in Notizbücher gezeichnet hat, hat er nun in seinem Band ›Berichte aus Japan‹ verarbeitet. Anders als andere nichtfiktive Comics, die er in den letzten Jahren publizierte – etwa zu Themen wie der Unterdrückung in Russland und der Ukraine (siehe hierzu das TITEL-Interview zum Comic Salon 2016 mit Igort) –, ist sein neues Buch nicht von Politik und Kritik geprägt, sondern von Kultur, Tradition und Alltag in Japan.
Seine Beobachtungen unterscheiden sich dabei kaum von denen anderer Europäer, die sich oft mit gutem Grund in Japan verliebt haben – tatsächlich fragt man sich, was das Besondere an diesem Band sein soll. Es beschreibt seinen harten Alltag in Tokyo, das hohe Arbeitspensum japanischer Zeichner und deren harte Disziplinierung sowie die sehr enge Wohnsituation. Wow, diese Erkenntnis ist wahrlich ein Novum! Das kombiniert Igort mit metaphysisch angehauchten Einsprengseln, die ihn zu Kollegen und anderen Japanern einfallen, mit Ausflügen auf das Land, die ihn spirituell angeregt haben sollen, oder mit Kurzepisoden zu japanischen Akteuren aus Geschichte und Kunst.
Meistens bleibt Igort dabei auf einem sehr banalen Niveau. Die Faszination, die er für dieses Land empfindet, vermag er nur selten adäquat in Textform zu übertragen und zu kommunizieren. Das mag an dem für ihn in den vergangenen Jahren typischen Vorgehen für Sachcomics liegen: Er kombiniert lange, handschriftlich dargestellte Textpassagen mit relativ wenigen Zeichenpanels, in denen jedoch eher selten dialogisiert wird. Bei einem politischen Comic, der wie eine Dokumentation einen ernsten Sachverhalt schildert, mag diese Gliederung aufgehen, aber wenn es sich jedoch um persönliche Emotionen und eine Autobiographie im Comicformat handelt, sorgt dies vor allem für eins: Langeweile. (Zu seiner Verteidigung kann man jedoch hinzufügen, dass die wenigen Dialoge in Sprechblasenform in dem Graphic Novel dramaturgisch misslungen sind, indem sie unauthentisch und verkürzt wirken, weshalb er womöglich ihre Zahl minimalisiert hat.) Dies kulminiert zusätzlich noch damit, dass Igorts Reflektionen nicht sonderlich tiefsinnig oder inhaltlich stark sind, auch wenn die sentimentale und zuweilen auch selbstbeweihräuchernde Wortwahl und die Farbgebung der Zeichnungen dies gerne suggerieren. Viele der von ihm verbreiteten fernöstlichen Weisheiten klingen so pauschal oder poesiealbenartig, dass sie schon wieder falsch wirken.
Ein riesiger Gegensatz von Texten und Zeichnungen
Immerhin ermöglicht es seine Gliederung, die Handlung immer wieder aufzusprengen, wenn er etwa Geschichtshäppchen von Kalligraphen, Zeichnern, Samurais, Geishas oder auch landesweit bekannten Verbrecherinnen mit verarbeitet, obgleich dies immer nostalgisch geschildert wird, was einem mit der Zeit auf die Nerven gehen kann und reichlich undifferenziert wirkt. Auf die Spitze getrieben wird der Unsinn, wenn er an japanischen Kriegsverbrechern im Zweiten Weltkrieg etwas Gutes zu finden versucht.
Ergo wäre der Leser beinahe versucht, den oberflächlichen Band verärgert beiseite zu legen, wären da nicht die Zeichnungen. Diese scheinen durch den Aufbau des Bandes etwas unterzugehen in Igorts textuellen, nichtdialogischen Ergüssen, die selbst zu lang sind, um als Bildunterschriften zu fungieren. Doch in der Tat sind die Zeichnungen durchaus sehenswert und wohl das Beste an dem Band. Denn eines kann man Igort, bei aller inhaltlich-textlichen Inkonsistenz, nicht vorwerfen: dass er nicht zeichnen könne. In der Tat sind die Zeichnungen überaus vielschichtig: Die meisten sind in herbstlich-warmen Farben gehalten, und unterstreichen in ihrer Mattheit den retrospektiven Faktor des Werkes. Rückblenden sind dafür oft in Schwarz-weiß und auch gröber gezeichnet.
Noch beachtlicher sind die verschiedenen Stile, die er in einem Band synthetisiert, denn mal imitiert er den fast schon stoischen Stil japanischer Comic-Zeichner, mal zeichnet er Panels, die wie die Comics daherkommen, die er in den 1990ern in Japan produzierte, und manchmal wirken die Panels auch surrealistisch, kubistisch oder brutal und roh. Vor allem Letzteres hilft, die kitschige Nostalgie, die diesem Band inhärent ist, teilweise zu unterminieren.
Man könnte bilanzieren, dass nur selten bei einem Comic ein größerer qualitativer Gegensatz zwischen Texten und Zeichnungen bestanden hat, wie bei ›Berichte aus Japan‹, zumal beides aus der Feder desselben Künstlers stammt. Ratsam wäre es, um solch unschöne Dilemmata aufzulösen, wenn Igort künftig davon absehen würde, eigene Handlungen zu entwerfen und sich stattdessen darauf konzentriert, was er wirklich außergewöhnlich gut kann: das Zeichnen. Denn leider machen die Zeichnungen des Bandes seine Banalität und seinen inhaltlichen Aufbau nicht wett, zumal Letzteres dafür sorgt, dass die Zeichnungen ins Hintertreffen geraten.
Titelangaben
Igort (Texte und Zeichnungen): Berichte aus Japan
[Eine Reise ins Reich der Zeichen]
Aus dem Italienischen von Myriam Alfano
Berlin: Reprodukt 2016
184 Seiten, 24,00 Euro