Comic | Joe Daly: Doppeltes Glück mit dem Roten Affen
Comic-Zeichner scheinen kein sehr selbstzufriedenes Völkchen zu sein. Das könnte man zumindest glauben, wenn sie Vertreter ihrer eigenen Zunft porträtieren. Ob das Hideo aus I am a Hero ist oder jetzt Dave aus Joe Dalys Doppeltes Glück mit dem Roten Affen, meistens handelt es sich um jammernde Muttersöhnchen ohne Mutter, die mit verhassten Auftragsarbeiten Geld zu verdienen suchen.
Wenn man dann allerdings wie Dave ganz nebenbei Drogenringe zerschlägt und Naturreservate rettet oder wenn man wie Joe Daly ein so amüsantes und originelles Album zustande bringt, hat man doch allen Grund, zufrieden mit sich zu sein, findet BORIS KUNZ
Ein Comic-Zeichner geht auf die Palme
»Ich resümiere: Mich hat ein Mädchen abgeschossen, das von mir denkt, dass ich ein Volltrottel bin, meine Freunde ziehen mir mein Müsli und meine Kohle aus der Tasche, ich konnte dem Folterlärm von oben nicht Herr werden, obwohl ich dafür einen Moment entmannender Unsicherheit und Feigheit auf mich nahm, und ich sitze in einer siffigen Wohnung und zeichne Ziegel. Das kann doch nicht alles im Leben sein. Wann wird das Universum mit mir Frieden schließen?«
Von solchen Gedanken gemartert, sitzt Dave in seinem Apartment im südafrikanischen Kapstadt, und versucht irgendwie die Erledigung eines stupiden Werbejobs über die Bühne zu kriegen. Das ist nicht einfach, denn es passiert eine Katastrophe nach der anderen. Es reicht nicht, dass er seine Bude versehentlich unter Wasser gesetzt hat oder dass ständig irgendwelche Nachbarn oder Schmarotzer bei ihm klingeln. Er hat es auch noch geschafft, sich mit dem Psycho aus der Wohnung über ihm anzulegen, aus der jetzt Tag und Nacht nervige Geräusche dringen, die ihm die Konzentration rauben.
Endlich beschließt Dave, die Dinge in die Hand zu nehmen und sich dabei seiner ganz besonderen Fähigkeit zu bedienen, die ihm eigentlich sonst eher peinlich ist: Aufgrund einer eigenartigen Retromutation hat er Affenfüße. Das sieht zwar albern aus, macht ihn aber zu einem großartigen Kletterer. So schwingt er sich schließlich auf die Palme, die vor seinem Balkon steht, und stattet dem Apartment ein Stockwerk höher einen Besuch ab. Was er dort vorfindet, ist fast genauso absurd, wie die Gedanken, die sich Dave und sein dauerbekiffter Kumpel Paul vorher über die Herkunft der Geräusche gemacht haben …
Auch in der zweiten Geschichte in diesem Album geraten Dave und Paul auf völlig unerwartete Weise in ein irres Abenteuer: Eigentlich wollen sie nur das aus einem Tierheim entkommene Wasserschwein John Wesley Harding wieder einfangen und durchstreifen dafür ein Naturschutzgebiet außerhalb von Kapstadt, als sie auf wie von Geisterhand ausgetrocknetes Sumpfland, geheimnisvolle Spuren und eigenartige nächtliche Aktivitäten unheimlicher Gestalten treffen. Dave ist sich relativ schnell sicher, dass es sich hier nur um einen perfiden Plan von Grundstücksspekulanten handeln kann, die durch den nächtlichen Einsatz von Mikrowellenstrahlenkanonen das Marschland zu Brachland und damit zu Bauland machen wollen. Von dieser Theorie völlig überzeugt, engagiert Paul den Privatdetektiv Joe De Marco, der sich bald als seltsamer Psychopath erweist – wie auch sonst eigentlich alles in dieser Story anders ist, als es auf den ersten Blick scheint.
Die einzige verlässliche Konstante ist eigentlich die stoische Unbekümmertheit, mit der Dave und Paul letztlich all den Wendungen in dieser bizarren Kriminalgeschichte begegnen. Klar, wenn es einer gewohnt ist, dass sein Alltag aus mittleren Katastrophen besteht, was kann es ihn da noch außer Fassung bringen, wenn er ganz nebenbei in absurde Spionageabenteuer hineingerät? Wie Spirou oder Tintin scheint Dave auf Schritt und Tritt in abstruse Abenteuer zu stolpern und von Freaks heimgesucht zu werden. Doch er tritt diesen Umständen nicht mit deren wichtigtuerischem Pfadfindergebaren entgegen, sondern eher mit der Coolness eines Jeff Lebowski, der seinen Teppich ersetzt haben will. Begleitet wird das von den unnachahmlichen Kommentaren von Paul, der zwar den ganzen Tag über ziemlich viel Müll redet, im richtigen Augenblick aber »Proviant für den Nährstoffbedarf« dabei hat, oder zur Stelle ist, um den Gegner mit einem Didgeridoo niederzuschlagen.
Ligne Claire meets Underground
Das Lesevergnügen, das uns der südafrikanische Comiczeichner Joe Daly hier beschert, lebt vom absurden Kiffer-Dialogwitz ebenso wie von dem Understatement, mit dem er am laufenden Band absurde Einfälle serviert, ohne diese als große Absurditäten herauszustreichen. Und es lebt natürlich von den wunderbaren Zeichnungen seiner postmodernen Ligne Claire, die mehr an Daniel Torres als an Hergé erinnert. Auch wenn solche Bezüge sich aufdrängen und Daly auch ein paar überdeutliche Referenzen an Tim und Struppi einbaut: Er hat es nicht nötig, ständig auf Zitaten herumzureiten, sondern hat einen ganz eigenständigen Kosmos erschaffen, der noch für viele weitere Geschichten Raum bieten würde.
Wie viel das Kapstadt in diesem Comic, in dem seltsamerweise kaum ein Schwarzer auftaucht, mit dem wirklichen Kapstadt zu tun hat, kann der Autor dieser Zeilen nur vermuten. Auf jeden Fall bietet es eine wunderbar originelle Kulisse, die durch die klaren, strengen Zeichnungen zu einer Kunstwelt wird, die mit Naturalismus wenig zu tun hat. Was nicht heißen soll, dass Daly nicht mit Architektonik umzugehen wüsste oder dass sein Umgang mit Licht und Schatten oder Farbgestaltung nicht eine sehr genau definierte Welt beschreiben würde. Aber wer genau hinsieht (man denke nur an den surrealistischen Skulpturenpark, in den Dave einbrechen muss), der erkennt, dass Daly durch seine Nähe zur Ligne Claire zwar einen guten Eindruck von Wirklichkeit erzeugen kann, es mit einem dokumentarischen Anspruch aber nicht so genau nimmt, wie der Meister Hergé das bei den Reisen von Tim getan hat.
Zeichnerisch gibt es von der ersten zur zweiten Geschichte einen kleinen, wohltuenden Stilbruch. Der undichte Cellokoffer hat eine sehr aufdringliche Computercolorierung, in der Daly mit Farbverläufen und Schattierungen versucht, den Figuren eine Plastizität zu geben, die den Zeichnungen etwas zuwider läuft. Und damit letztlich überbetont, wie steif die Figuren mit ihren etwas überproportionierten Köpfen wirken, wenn sie nicht gerade auf dem Sofa sitzen. Das gibt dem Comic in der Anmutung einen starken, an Beavis und Butt-Head erinnernden Underground-Einschlag, der zwar zu einer Story passt, die beinahe ausschließlich in einem Apartment spielt, die aber fehl am Platz wäre, sobald es im zweiten Teil auch auf die Straßen der Stadt und in die Natur geht. In John Wesley Harding, der zweiten Geschichte, sind die Farben dann wesentlich dezenter und flächiger, was den visuellen Eindruck erst richtig abrundet und einem nicht länger das Gefühl gibt, man hätte es mit Standbildern aus einer Zeichentrickserie zu tun.
Hier gelingt Daly eine wunderbare Gratwanderung: Er erschafft einen Comic, der sich zwar nicht ernst nimmt, aber nicht in bloßes Zitieren und Herumalbern ausartet. Er erzählt Geschichten, die absurde Haken schlagen und trotzdem nie komplett aus dem Ruder laufen, verankert in einer Welt, die realistisch genug erscheint, um dem Absurden auch den Raum geben zu können, absurd zu wirken. Mehr davon!
| BORIS KUNZ
Titelangaben
Joe Daly (Text und Zeichnungen): Doppeltes Glück mit dem Roten Affen (The Red Monkey Double Happiness Book).
Aus dem Englischen von Lorenz Hatt und Jens Meinrenken.
Berlin: Avant Verlag 2012
112 Seiten, 19,95 Euro
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