Martilein und Jo

Roman | Zsuzsa Bánk: Schlafen werden wir später

Zsuzsa Bánk ist alles andere als eine zeitgeistaffine Vielschreiberin. Jetzt ist ihr neuester Roman ›Schlafen werden wir später‹ erschienen. Von PETER MOHR

Zsuzsa Bánk Schlafen werden wir später2002 war ihr Romandebüt ›Der Schwimmer‹ (2002) mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet worden, danach legte die heute 51-jährige Autorin nur noch die Erzählungen ›Heißester Sommer‹ und vor sechs Jahren den Roman ›Die hellen Tage‹ vor. Was alle Texte verbindet, ist Bánks Affinität zum traditionellen, bisweilen leicht ausufernden Erzählen.

Wie schon in den ›hellen Tagen‹ stehen zwei Freundinnen im Zentrum der Handlung. »Ich kenne Aja, seit ich denken kann«, ließ Zsuzsa Bánk vor sechs Jahren die zweite Protagonistin Seri sagen. Und genauso verhält es sich nun mit Márta und Johanna, die zusammen in Höchst aufwuchsen, inzwischen 42 Jahre alt und vom Leben mehr oder weniger enttäuscht sind.

Márta ist Mutter von drei kleinen Kindern, schreibt Gedichte und Erzählungen und lebt mit ihrem Mann Simon, einem leidlich erfolgreichen Theaterautor, in Frankfurt.

Johanna hat mehrere schwere Schicksalsschläge wegstecken müssen – sie hat früh ihre Eltern verloren, hat schwer an der Trennung von ihrem Lebensgefährten Markus zu tragen und ist an Brustkrebs erkrankt. Die Deutschlehrerin lebt zurückgezogen im Schwarzwald, mit ihren Traumata und einer nicht vollendeten Doktorarbeit über Annette von Droste-Hülshoff allein gelassen.

Zsuzsa Bánk hat daraus einen modernen Briefroman arrangiert. Zwar treffen sich die beiden gelegentlich, es gibt auch Telefonate und Postkarten, doch im Mittelpunkt steht eine mehr als dreijährige Email-Korrespondenz. Wir blicken als Leser tief in die Seelen von »Martilein« und »Jo«, erleben zwei Frauen, die nicht mehr jung genug sind für wilde Träume und Ausbruchversuche, aber auch noch nicht so alt, um das eigene Leben als unveränderbar und in Stein geschlagen akzeptieren zu wollen.

Johannas Einsamkeit im Schwarzwald und das stressige Frankfurter Familienleben mit drei Kindern (»nachtmüde, traumzerfurcht gegen sechs auf, und mein Ritt, mein Galopp durch den Tag endet abends um zehn«) treffen mit ungebremster Wucht aufeinander. Sie berichten einander schonungslos offen über den Alltag, über Gefühle, über Verletzungen und Sehnsüchte und fragen einander, »was schwieriger ist, ein Leben mit Kindern oder eines ohne Kinder zu leben«. In der bisweilen ausschweifenden Korrespondenz gibt es viele Querverweise auf die große »weibliche Literatur« – von Virginia Woolf zurück bis zur Droste.

Es dominiert ein Zustand absoluter innerer Unruhe. Die ausgetauschten Nachrichten sind geprägt von latenter Unzufriedenheit, von Ängsten und Lebensträumen im Konjunktiv. Mit melancholischen Kindheitserinnerungen versuchen die Freundinnen, einander aufzuheitern. Márta mangelt es sowohl an Zeit für ihre künstlerische Arbeit als auch an Geld, um die Familie einigermaßen über Wasser zu halten: »Schlafen werde ich später einmal, wenn ich alt bin, werde ich schlafen, Johanna, Nacht und Tag, soviel ich will.«

Auch Johanna, die sich häufig mit Gedanken über eine Wiederkehr ihrer Krebserkrankung selbst zu zerfleischen droht, gerät immer wieder aus dem seelischen Gleichgewicht: »Die Zeit hat Schuld. Die Zeit hat mir alles weggefressen. Selbst die Orte meines Lebens hat sie geschluckt.«

Zsuzsa Bánks hat die Gefühlsschwankungen ihrer beiden, offensichtlich auch von der Midlife-Crisis hart getroffenen Protagonistinnen präzise beschrieben. Auf die Hälfte gekürzt hätte ›Schlafen werden wir später‹ eine prächtige Hymne auf eine lebenslange Freundschaft werden könne. Doch ein Roman von solch kapitalem Umfang, der lediglich auf dem fragilen Fundament einer (teilweise intimen) Email-Korrespondenz basiert, läuft Gefahr sich im Nebel von Wiederholungen und selbstbespiegelnder Seelen-Klempnerei zu verlieren. Hier wäre weniger eindeutig mehr gewesen.

| PETER MOHR

Titelangaben
Zsuzsa Bánk: Schlafen werden wir später
Frankfurt/M.: S. Fischer Verlag 2017
683 Seiten. 24.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

An die Wand gefahren

Nächster Artikel

Unfassbar sein wie die Wolke, die schwebt

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Die Amerikaner kommen

Roman | Anthony Horowitz: Der Fall Moriarty Ganz London ist in Aufruhr – von der Unterwelt bis zum Oberhaus. Offenbar hat ein Mann namens Clarence Devereux den Tod von Professor Moriarty in den Reichenbachfällen genutzt, um sich an die Spitze der Verbrecherwelt der Themsestadt zu setzen. Devereux kommt aus New York und einer, der ihn im Auftrag der Pinkerton-Agentur von dort nach Europa gefolgt ist, weiß, was das bedeutet: »Der amerikanische Kriminelle hat kein Urteilsvermögen und keinen Sinn für Loyalität.« Wahrscheinlich mordet er sogar in der heiligen Stunde des Five’o’Clock-Teas – eine ganz neue Qualität von Verbrechen sucht die britische

Detektivduo Mann & Müller

Roman | Tilo Eckardt: Gefährliche Betrachtungen

Goethe, Schiller oder Storm – sie alle haben bereits Rollen in aktuellen Kriminalromanen gespielt. Jetzt gesellt sich zu der Reihe ein weiterer Großschriftsteller hinzu – der in diesem Jahr seinen 150. Geburtstag begehende Thomas Mann. Als der im August 1929 mit seiner Frau von Königsberg aus einen Ausflug auf die Kurische Nehrung unternahm, machte die dortige Landschaft auf ihn einen solch spektakulären Eindruck, dass er beschloss, sich hier ein Sommerhaus zu bauen. Gut, dass ihm kurz vorher in Stockholm der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde. Denn dadurch war die Finanzierung des kleinen Anwesens kein Problem. Rund um das schmucke Häuschen auf dem »Schwiegermutterberg« in Nidden sowie um die fiktive Villa Bernstein der Witwe Bryl lässt Tilo Eckhardt seinen »Fall Thomas Mann« spielen. Und er präsentiert einen Literaturtitanen, der in jenen Jahren ganz und gar nicht so unpolitisch war, wie er gern von sich selbst behauptete. Von DIETMAR JACOBSEN

Alles ist in Bewegung

Roman | Norbert Gstrein: Die kommenden Jahre Der 57-jährige österreichische Schriftsteller Norbert Gstrein ist bekannt dafür, dass er keinen großen Bogen um brisante Themen macht. Nach dem Balkankrieg (›Das Handwerk des Tötens‹) und einer gegen Suhrkamp-Chefin Ulla Berkéwicz gerichteten Roman-Persiflage (›Die ganze Wahrheit‹) hatte er sich zuletzt in seinem Roman ›In der freien Welt‹ (2016) mit dem Nahostkonflikt auseinander gesetzt. Jetzt ist Norbert Gstreins neuer Roman ›Die kommenden Jahre‹ erschienen. Von PETER MOHR

Weniger wäre mehr in Koethi Zans Erstlingsroman

Roman | Koethi Zan: danach In Koethi Zans Thriller-Debüt Danach hat eine junge Frau drei Jahre in der Gefangenschaft eines Psychopathen verbracht. Ein Jahrzehnt später soll der Mann vor einen Bewährungsausschuss und eventuell wieder auf freien Fuß kommen, wenn Sarah Farber nicht gegen ihn aussagt. Aber die wagt sich kaum, ihre New Yorker Wohnung zu verlassen, weil sie Angst hat, dass dann alles wieder von vorn beginnt. Von DIETMAR JACOBSEN

Dresden nach dem großen Krieg

Krimi | Frank Goldammer: Roter Rabe In den letzten Kriegsmonaten setzt die Reihe historischer Kriminalromane ein, mit denen sich der Dresdener Autor Frank Goldammer (Jahrgang 1975) seit ein paar Jahren eine große Lesergemeinde geschaffen hat. Max Heller heißt sein Protagonist und die einzelnen Romane verbinden geschickt spannende Kriminalfälle mit deutsch-deutscher Zeitgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Von DIETMAR JACOBSEN