Film statt Leben

Jugendbuch | Jenn Bennett: Annähernd Alex

»Wenn das passiert, von dem ich glaube, dass es passiert, hoffe ich, dass es nicht passiert!« (Meryl Streep: Der fantastische Mr Fox (2009)). Das Treffen in Online-Foren ist eine Sache, das wahre Leben eine ganz andere. Wenn man beginnt, das eine mit dem anderen zu vergleichen, wird es kompliziert. Von ANDREA WANNER

Jenn Bennett - Annaehernd AlexDie 17jährige Bailey zieht zu ihrem Vater in einen kalifornischen Küstenort. Dort bestünde die Chance, Alex »in echt« zu treffen. Bisher kennen sich die beiden Filmfreaks nur über ein Online-Film-Forum, in dem Bailey als Mink unterwegs ist. Aber was, wenn Alex nicht so toll ist, wie Bailey sich das vorgestellt hat? So beschließt sie, zunächst in Deckung zu bleiben und aufgrund verschiedener Anhaltspunkte, die sie hat, Alex ausfindig zu machen, ohne sich selbst zu erkennen zu geben.

Womit Bailey allerdings nicht gerechnet hatte, ist Porter Roth, Macho und Surfer, der in demselben Museum arbeitet, wo sie einen Sommer für die Dauer der Sommerferien bekommen hat. Wie kann jemand gleichzeitig dermaßen ätzend und anziehend sein? Die Begegnungen der beiden sind voller Streit und Sticheleien – und noch ein bisschen mehr. Und plötzlich ist das Problem da: der »echte« Junge mit Macken oder der virtuelle Traummann? Bailey muss sich entscheiden und vor allem muss sie beiden gegenüber ehrlich sein. Nicht gerade ihre große Stärke.

Jenn Bennett erzählt mit leichter Hand eine Liebesgeschichte, die im Stil ein bisschen an ›Lalaland‹ erinnert. Wenn Bailey auf ihrer türkisfarbenen Vespa mit Leopardensitzband und Weißwandreifen durch Coronado Cove cruist, erinnert sie – klar, an Audrey Hepburn in ›Ein Herz und eine Krone‹. Alles ist ein bisschen retro, sehr filmorientiert. Klar, es sind die alten Klassiker mit Katherine Hepburn, Cary Grant, James Stewart und anderen Größen, die Bailey und Alex in ihren Bann ziehen. Aber auch sonst ist Filme gucken einfach ihre Leidenschaft. Film statt Leben. Jedem Kapitel wird Filmzitat vorangestellt – die reichen von Lana Turner über Marilyn Monroe bis Meryl Streep und Daniel Radcliffe. Und voll all den vielen genannten Filmen spielt Hitchcocks Meisterwerk ›Der unsichtbare Dritte‹ eine besondere Rolle.

Bailey erzählt von ihrem Sommer, ihren Problemen, der Trennung ihrer Eltern und irgendwann auch von einem schrecklichen Erlebnis in der Vergangenheit. Der Ton ist authentisch, man nimmt der 17jährigen ihre Unsicherheit, ihre Neurosen ab. Und ist ihr in der Geschichte immer schon eine Nasenlänge voraus, obwohl man doch eigentlich nicht mehr wissen kann als sie. Bailey weigert sich, eins und eins zusammenzuzählen, steckt zu tief drin in ihren ganzen Problemen, um einmal den Blick auf das große Ganze freizubekommen.

Schön das Bild des Nebels, der sich morgens an der Küste immer bildet und durch den sie mit ihrem Motorroller fährt. Bailey tappt im Nebel, übersieht und überhört alle Zeichen und wirkt über weite Phasen in ihren Beurteilungen, Wahrnehmungen und Entscheidungen viel jünger als die 17 Jahre, die sie ist. Dafür gibt es Gründe und auch die werden nach und nach offen gelegt. Dabei bleibt die Story heiter, eine amüsante Verwechslungskomödie und Sommerromanze mit Beach, Surfern, einer Handvoll Probleme und der Sonne von Kalifornien, wo es bekanntlich ja nie regnet.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Jenn Bennett: Annähernd Alex
(Alex, Approximately, 2016)
Aus dem Englischen von Claudia Max
Hamburg: Königskinder 2016
479 Seiten. 19,99 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
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