Freiheit allein genügt nicht

Kinderbuch | Martina Baumbach: Ab heute wird’s wild und gefährlich

Einfach hinaus, mitten ins Abenteuer, wild sein. Frei! Warum soll man sich diesen Wunsch nicht erfüllen? So allein in der Welt aber sieht die Freiheit sehr groß aus. Zu groß für eine kleine Katze? Martina Baumbach hat sich eine abenteuerliche Geschichte ausgedacht. Von MAGALI HEISSLER

Martina Baumbach Ab heute wirds wild und gefährlich 350Molly hat immer gewusst, dass sie keine liebe kleine Hauskatze ist. Es war ein gutes Leben, keine Frage, mit gutem Dosenfutter. Molly liebt Dosenfutter. Molly mochte auch Gerda, die die Dosen öffnete. Sie hatten viel Spaß miteinander. Doch jetzt ist Gerda alt und zieht um, ohne Molly. Draußen lockt das Abenteuer.

Es lässt sich gut an. Sie hat es eben immer gewusst, dass sie in Wirklichkeit eine Abenteuerkatze ist! Ein Zufall führt sie zu einer Gruppe von Waldtieren. Vor lauter Begeisterung, echte wilde Tiere zu treffen, tischt Molly ihnen Geschichten von ihrem Leben als Abenteurerin auf, die alles andere als wahr sind. Als sich im Wald rätselhafte Dinge tun, die die Tiere bedrohen, sind Mollys angebliche Erfahrungen als Weltreisende und immer siegreiche Heldin auf einmal sehr gefragt. Molly muss sich dringend etwas einfallen lassen. Das tut sie, aber die Lügen platzen trotzdem. Und die Gefahr für den Wald wächst. Was kann man nur tun?

Die Sicht der Tiere

Baumbach konzentriert sich darauf, ihre Geschichte von ihren tierischen Figuren aus zu erzählen. Deren beschränktes Wissen von Abläufen in der Menschenwelt kann so zum Aufbau beträchtlicher Spannung genutzt werden. Informationen von menschlicher Seite werden nur sparsam zugefüttert. Das junge Lesepublikum ist den Tieren höchsten einen halben Schritt voraus. Dabei verrät die Autorin weder die Menschen noch die Tiere. Keiner Seite wird Überheblichkeit auf Kosten der Gegenseite erlaubt, abgesehen von der, die für den Handlungsablauf nötig ist. Karikaturen gibt es viele, ebenso kleine ironische Spitzen, aber sie sind grundsätzlich freundlich. Auf Fehler wird hingewiesen, Schadenfreude eng begrenzt. Respekt herrscht, auf den Seiten und zwischen der Autorin und ihren Figuren.

Tiere wie Menschen sind in ihrer jeweiligen Gruppe deutlich unterscheidbar, haben einen erkennbaren Charakter und entwickeln ihn im Lauf der Handlung. Baumbach geht darin so weit, wie man für das geringe Lesealter nur gehen kann. Niemand ist nur gut oder nur rücksichtslos. Es gibt kein Böse, eher punktuellen Egoismus und Gewinnsucht. Die Frage, wer wann warum wovon Nutzen hat und ob das der Nutzen aller oder nur weniger ist, wird unaufdringlich immer wieder gestellt. Das gilt für Mollys tolle Lügengeschichten wie etwa für die Überbesorgtheit der Rehmutter oder die Faulheit des Keilers. Es werden keine voreiligen Antworten gegeben, Lösungen werden gezeigt. Entscheiden muss sich die Leserin allein.

Realismus

Eingebettet ist die Geschichte in den recht realistisch beschriebenen Alltag eines landwirtschaftlich geprägten Dorfs, dessen Bürgermeister vom Aufstieg träumt. Tatsächliche Probleme, etwa veränderte Anbaumethoden, Waldwirtschaft oder Tourismus sind ebenso Thema wie Konsum und wachsende Müllberge. Der Baumarkt und sein Besitzer, ein Beispiel, sind eine höchst treffende Beobachtung, dieser Idee, so klein sie ist, gebührt ein Extra-Lob.

Der realistischen Darstellung dient auch, dass Tiere und Menschen nicht auf die Weise interagieren, wie es in Geschichten mit Tierhelden oft der Fall ist. Die Tiere lösen ihre Schwierigkeiten selbst, es gibt kein Bündnis mit Menschen. Keine Menschenhand tut, was ein Tier nicht könnte, um alles zu einem guten Ende zu bringen.

Dass beim Showdown ordentlich Farbe aufgetragen wird und die Fantasie ein wenig sehr regiert, schadet dabei nicht. Zu dem Zeitpunkt ist die Leserin schon soweit, dass sie der Autorin ziemlich alles abnimmt, Spannung und Vergnügen haben einen ungeahnten Höhepunkt erreicht. Hat man das Feuerwerk genossen, erweist sich im klaren Tageslicht, wie vielschichtig diese vermeintlich einfache Geschichte ist und wie gut die Episoden unter den Tieren und die Erlebnisse der Menschen ineinandergefügt sind.

Der etwas behäbige Duktus ist eine Folge des Bemühens, unbedingt die übermäßig pointierte, flapsig-freche Sprache zu meiden, die als »modern« gekennzeichnet grassiert, obwohl sie im Regelfall nur gedankenlos, geschwätzig und vage ist. Das Vokabular hier ist gediegen, es gibt keinen Jargon, kaum Abkürzungen, abgesehen von einer, die gleich zu einem sehr lustigen runnig gag umgemünzt wird. Man wünscht sich gelegentlich etwas Leichtigkeit im Ton, aber Kinder schadet es nicht im Mindesten, einen ordentlichen Wortgebrauch und solide Grammatik vorgeführt zu bekommen. Wo sonst fände man in einer Neuerscheinung noch ein Wort wie »Fernsehgerät«?

Zum Realismus wie zur Fiktion tragen entscheidend die Illustrationen von Katrin Engelking bei. Gleich, ob die handelnden Figuren oder Schmückendes wie Blumen, Pilz, Himbeeren, Schmetterling, eine Biene an den Seitenrändern, die Bleistiftzeichnungen sind berückend. Durchgängig schwarz-weiß bebildern sie das Geschehen mit der Genauigkeit eines klassischen Schwarz-Weiß-Films, bei dem keine Farbe ihr trickreiches Spiel entwickeln kann. Zum Zaubern stehen allein Strich, Schattierungen, Perspektive zur Verfügung und hier wird mächtig gezaubert. Richtig begeistern kann man sich an dem Einfall, die zentralen Figuren in Porträtgalerien vorzustellen, die Tiere im vorderen Vorsatz, die Menschen im hinteren.

Ein schönes Buch, also, bei dem die Autorin einige Fallen, die in Tiergeschichten lauern, umgeht. Süß und sentimental ist hier nichts, besonders raffiniert auch nicht, aber verschmitzt, bodenständig, gescheit. Vor allem aber ist es respektvoll und offen, wie das Leben bei aller Aufregung in echten Abenteuergeschichten eben sein soll.
Zu beachten ist, dass das Buch recht groß ausgefallen ist und mit seinen gut 650g etwas schwer für Kinderhände. Deswegen sollte man die Einladung ins wilde Leben (und seine Folgen!) aber nicht ablehnen.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Martina Baumbach: Ab heute wird’s wild und gefährlich
Mit Bildern von Katrin Engelking
Stuttgart: Thienemann 2017
220 Seiten. 14,99 Euro
Kinderbuch ab 7 Jahren

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