Event und Kultur

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Karten seien noch zu haben, war heute zu lesen. Rund eintausend, bestellt und nicht abgeholt, an der Abendkasse morgen ab vierzehn Uhr.

Seit mehreren Tagen wird die Bühne aufgebaut, zwischen Planetarium und Stadtparksee, neues Konzept, sicher, dazu eine Tribüne mit 24.000 Sitzen, plus Platz für 56.000 Stehplätze, Komfort wird anders buchstabiert.

Quasimodo

In den Achtzigern spielten hier Pink Floyd, größenmäßig ähnlich konzipiert. Straßen werden gesperrt sein, Durchlass für Anwohner nur mit Passierschein, ein Mega-Event, die Musik hörst du über den ganzen Stadtteil, ein Gewese allgegenwärtig wie ›Harley Days‹ und ›Cyclassics‹. Wer das will – man weiß das nicht wirklich.

Du könntest hinfahren, in einer Nebenstraße stehen, um zuzuhören. Vergiss deinen Regenschirm nicht, das Tiefdruckgebiet ›Quasimodo‹ lastet über der Stadt. Sehen wirst du sie nicht, das Gelände ist hoch mit doppelten Zäunen umsperrt und wird von Polizisten mit Maschinenpistolen gesichert. Das kommt uns als Kultur der Gegenwart wie Fußball, denn auch Fußball, vom DFB getunt, soll Lebensgefühl sein und Kultur.

Franz & FIFA

Für Neymar wurden zweihundertzwanzig Millionen hingeblättert, und für Dembélé wird Barcelona letztlich hundertfünfundvierzig berappen. »No Filter« wird im Endeffekt mindestens zweistellige Millionen einspielen. Geile Beträge. Wer das will – man weiß das nicht wirklich.

Anschließend werden sie in Düsseldorf auftreten, anschließend in München, als einleitende Stationen ihrer Welttournee, unsere Kultur ist uns so lieb wie teuer, die Welt wächst zusammen, tut sie das, hatten wir nicht kürzlich erst Fußballweltmeisterschaft, Kaiser Franz, wir sehen fern, die Welt wächst zusammen, tut sie das, Kultur unter dem Dach der FIFA.

Das Goldene Kalb

Was geschieht da, außer dass der Euro in Umlauf gebracht wird? In gigantischen Transaktionen werden Unsummen an Werbeeinnahmen für TV-Rechte eingetauscht. Mit Verdienst für geleistete Arbeit hat all das nichts mehr gemein, und es sträubt sich alles, wenn man diese Umtriebe noch als ›Kultur‹ sortieren soll – eher handelt es sich darum, dass der Mammon, ein Monster, endgültig zu eigenem Leben erwacht ist und die Welt nach seinem Gusto gestaltet.

Dieser Gedanke, weitergeführt, lässt sich kaum widerlegen. Wohl ist Geld eine unerlässliche Existenzgrundlage, doch ist unser soziales Leben komplett nach seinen Erfordernissen gestaltet, der individuelle Status misst sich an ihm, der Mensch versammelt sich um das Goldene Kalb.

Alt und neu

Kultur jedoch wird grundlegend anders buchstabiert, nicht über jene gigantischen Events, die unter hohen Kosten im öffentlichen Bewusstsein verwurzelt werden, vulgo: Fangemeinden werden herangezüchtet, damit die Marke auf stabiler Grundlage ruht und, wir sind beim Thema, ihr Geld einspielt. Money makes the world go round.

Höchste Zeit, dass man sich auf die Suche begibt nach Wegen, die uns herausführen aus Aufgeblasenheit und Wichtigtuerei. Gibt es solche Wege? Wir singen ein altes Lied und führen eine althergebrachte Debatte, die in diesen Zeitläufen neu zu markieren wäre.

| WOLF SENFF

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Spielregeln

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Was denn nun, fragte Wette.

Er wisse von nichts, sagte Farb.

Ob er austeilen solle, fragte Tilman.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Tilman reichte ihm einen Löffel Sahne und nahm sich einen Marmorkeks; seitdem die Preise für Vanille in unerschwingliche Höhen gestiegen waren, waren die Vanillekipferl, die er früher so gern gegessen hatte, nicht länger im Handel erhältlich.

Lakota

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Er habe nicht verstanden, sagte Harmat, was mit den Lakota geschah, sie führten diverse Prozesse, die sich über Jahrhunderte hinzogen?

Nachdem die ersten Immigranten eingetroffen waren, sagte Gramner, nach Westen aufbrachen und das Land kolonisierten, formierte sich in Nordamerika eine räuberische Nation, die Immigranten nahmen das Land in Besitz, auf dem die ursprünglichen Einwohner, die First Nations, lebten, und ließen allein ihr eigenes Recht gelten.

Die Einwohner, fragte LaBelle, mußten sich den Gesetzen der Immigranten fügen?

Das stellt die Welt auf den Kopf, sagte Crockeye.

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Das Gespräch stockte.

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Was Annika gerade lese, fragte Farb.

Pearl S. Buck, sagte Tilman, sie lebte von 1892 bis 1973, doch wie komme Annika auf diese Autorin.

Sie sei mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet worden, 1938, sagte Farb, ihr Werk sei nicht unumstritten.

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Wie das ausgehen werde, frage ich mich.

Wette lachte. Das, sagte er, sei absehbar.

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Eine stramm kompromißlose, radikal rechtsgerichtete Politik, sagte Tilman, fortgesetzter Klassenkampf von oben, Mammon regiert.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Tilman reichte ihm einen Löffel Schlagsahne.

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Der Bruder sei leicht abgehoben, charakterlich, ja, sagte Setzweyn und unterdrückte ein Lächeln, er fliege, er fliege leidenschaftlich gern in der Welt umher, habe jedoch null Interesse an Reisezielen, nein, touristisch auf gar keinen Fall, er besitze eine Cessna, ein bequemes kleines Gerät, mit dem er vorzugsweise abseits der großen Pisten starte und lande, er genieße das als ein Abenteuer, denn es sei ein großartiges Gefühl, vom Erdboden abzuheben, himmelwärts, sagte Setzweyn, da könne er ihn verstehen.