Menschen | Gesellschaft | Jürgen Klein: Dialog mit Koeppen
Wir erleben Tag für Tag, wie der Alltag durch hoch verdichtete Kommunikation hysterisiert wird und der Aufreger von heute sich anderentags in Beliebigkeit auflöst – da entstehen zurecht Ängste, dass Eckpfeiler unserer kulturellen Tradition über kurz oder lang in dichten Nebeln verschwinden. Von WOLF SENFF
Derzeit lernen wir Donald Trump als den Prototyp dieser sich in hektischer Kommunikation verlierenden Gegenwart kennen: sprunghaft, impulsiv, ungebildet, vulgär, aggressiv, narzisstisch, und der Gedanke liegt nahe, dass er für eine mit Twitter und iPad heranwachsende Generation repräsentativ sein könnte – ein Schreckgespenst.
Gesellschaftsroman der Nachkriegszeit
Deshalb ist es nicht unwichtig, die eigene kulturellen Tradition stabil zu verankern, und wer sich kümmert, merkt rasch, dass dieses auf vielerlei Weise geschieht, beispielsweise durch die in Greifswald ansässige ›Internationale Wolfgang Koeppen Gesellschaft‹ und die Zeitschrift ›Flandziu‹. Diese beharrliche Arbeit findet nur selten die angemessene mediale Aufmerksamkeit.
Wolfgang Koeppen (1906-1996) etablierte sich in der jungen Bundesrepublik mit einer Trilogie über die Nachkriegsjahre, eine Zeit des Übergangs, »in der«, so Koeppen selbst, »die neuen Reichen sich noch unsicher fühlten, in der die Schwarzmarktgewinner nach Anlagen suchten und die Sparer den Krieg bezahlten«.
Weltliteratur
In seiner Rede anlässlich der Verleihung des Büchner-Preises 1962 sagt Koeppen über die Aufgabe des Schriftstellers, er sei »engagiert gegen die Macht, gegen die Gewalt, gegen die Zwänge der Medien, der Masse, der großen Zahl, gegen die erstarrte faule Konvention«. Damit beschreibt er eine Haltung, die heute mehr denn je vonnöten ist.
Jürgen Klein ordnet Wolfgang Koeppens Trilogie über die Bundeshauptstadt neben die Großstadtromane von James Joyce über Dublin, von John dos Passos über New York, von Alfred Döblin über Berlin, allesamt Schwergewichte der Weltliteratur, und er zieht Parallelen von Wolfgang Koeppens Erzählung ›Jugend‹ (1976) zu ›A Portrait of the Artist as a Young Man‹ von James Joyce, beides Erzählungen, in denen Heranwachsende mit der spießigen, bigotten Welt der Erwachsenen konfrontiert sind. Koeppen, der in Greifswald aufwuchs, betone die Dissonanzen und registriere die Nuancen der politischen Welt.
Neue Schwerpunkte
Marcel Reich-Ranicki liest ›Jugend‹ als einen Text über die Einsamkeit des Individuums in der Gesellschaft, über das Los des Außenseiters »in der dumpfen, der engstirnigen Welt einer wilhelminischen Kleinstadt« – Koeppen habe nicht dazugehören wollen, er wandte sich gegen den Hochmut der bürgerlichen Welt angesichts von Armut und Abhängigkeit und fand, sehr ähnlich den Erfahrungen Reich-Ranickis, Schutz und Zuflucht in der Literatur.
Es geht Jürgen Klein im ›Dialog mit Koeppen‹ wesentlich um eine neue Akzentuierung der Nachkriegsliteratur. Wolfgang Koeppens Trilogie ›Tauben im Gras‹ (1951), ›Das Treibhaus‹ (1953), ›Der Tod in Rom‹ (1954) sei weder einer Wir-sind-wieder-wer-Haltung zuzuordnen noch der Weinerlichkeit der Trümmerliteratur, sondern sie sei ein herausragendes Beispiel für Literatur der Moderne, eine, so auch Marcel Reich-Ranicki, »unerbittliche Zeitanalyse«.
Die Fünfziger Jahre
Jedoch seien die westdeutschen Feuilletons der Fünfziger Jahre nicht interessiert gewesen an einer nüchternen Bestandsaufnahme und anstößigen Wahrheiten – im ›Treibhaus‹ dem Protest gegen die deutsche Wiederbewaffnung, im ›Tod in Rom‹ der Kooperation mit alten Nazi-Kadern –, und erst Koeppens Abkehr vom Roman brachte mit seinen Reiseberichten auch publizistischen Erfolg.
Das wirft zwar kein positives Licht auf die frühen Jahre der Bundesrepublik, doch das Verdrängen und Ignorieren war eben der Geist jener Jahre, und deshalb ist es unbedingt sinnvoll, ihr literarisches Schaffen neu zu gewichten.
Städteportraits
In Wolfgang Koeppens Charakterisierung Londons mit dem schönen Titel »Zauberwald der roten Autobusse« (1958) erkennen wir – Jürgen Klein hebt es entsprechend hervor – den Transfer aus der Kultur von Kontinentaleuropa hin zu einem eigenwilligen, weltmännischen, bisweilen liebenswert skurrilen, vom Commonwealth geprägten Selbstbewusstsein, das aktuell sogar den stillen Hintergrund für eine Entscheidung wie den Brexit bilden mag.
Ähnlich die Charakterisierung New Yorks in Koeppens ›Amerikafahrt‹ (1959). Jürgen Klein verweist auf sehr feinsinnige Beobachtungen der schieren Wucht und monumentalen Größe. Die Skyline Manhattans empfinde Koeppen als einen »Festungswall«, und Wall Street bezeichne er als den Dreh- und Angelpunkt der Weltbeherrschung.
Eine vielschichtige Persönlichkeit
Zurückgekehrt von seiner Reise, die ihn u.a. über Washington, New Orleans, Los Angeles und Chicago führte, habe er New York als eine Stadt des verlockenden Konsums und ewiger Verführung erlebt, aber auch als einen Ort rassistischer Übergriffe. Man möchte diesem Portrait auch heute nicht widersprechen.
Die Beschäftigung mit Wolfgang Koeppen stößt uns in Jürgen Kleins prägnanter Darstellung auf eine Vielfalt von Themen, nicht allein seines literarischen Schaffens, sondern die einer vielschichtigen Persönlichkeit.
Der Leser erfährt das einfühlsam, detailliert und überzeugend am Beispiel der langjährigen Freundschaft zwischen Wolfgang Koeppen und seinem Frankfurter Verleger Siegfried Unseld sowie dem Briefwechsel und der persönlichen Nähe Wolfgang Koeppens zu Marcel Reich-Ranicki.
Titelangaben
Jürgen Klein: Dialog mit Koeppen
München: Wilhelm Fink, 2017
243 Seiten, 39,90 Euro
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Flandziu
Halbjahresblätter für Literatur der Moderne. In Verbindung mit der Internationalen Wolfgang Koeppen Gesellschaft Greifswald
Hamburg: Shoebox House
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