/

Liebenswerter Außenseiter

Menschen | Zum Tod von Walter Kappacher

Er galt viele Jahre als Geheimtipp in der literarischen Welt, sein renommierter Landsmann Peter Handke hatte sich vehement für ihn eingesetzt. Doch die große öffentliche Anerkennung errang der Schriftsteller Walter Kappacher erst 2009 nach dem Erscheinen des Romans ›Der Fliegenpalast‹. Danach wurde ihm die wichtigste literarische Auszeichnung des deutschsprachigen Raumes verliehen – der Georg-Büchner-Preis. Von PETER MOHR

»In einzelgängerischer Konsequenz hat Walter Kappacher über Jahrzehnte hinweg ein höchst beachtliches, lange viel zu wenig beachtetes Oeuvre geschaffen«, erklärte die Akademie damals. Von »leiser musikalischer Prosa voll melancholischer Unerbittlichkeit«, war außerdem in der Jurybegründung die Rede.

Walter Kappacher, der am 24. Oktober 1938 in Salzburg geboren wurde und nach dem Besuch der Volksschule eine Ausbildung als Motorradmechaniker absolvierte, entdeckte erst nach seinem Militärdienst seine künstlerischen Neigungen. Sein Hauptinteresse galt zunächst dem Theater, er bewarb sich an einer Schauspielschule in München, brach aber die Ausbildung vorzeitig ab. Seinen Lebensunterhalt verdiente sich Kappacher in den 1960er Jahren als Reisekaufmann. In dieser Zeit begann auch seine literarische Arbeit. Einer seiner ersten Förderer war Martin Walser, dem er 1967 einige Texte zur Begutachtung schickte, die später – auf Walser Empfehlung – in der ›Stuttgarter Zeitung‹ erst veröffentlicht wurden.

Erst kurz nach seinem 40. Geburtstag fasste Kappacher den Entschluss, sich ausschließlich der Literatur zu widmen. Nachdem er einen Drehbuch-Auftrag erhalten hatte, kündigte er seinen Job im Reisebüro. Drei Jahre zuvor war sein erster Roman ›Morgen‹ erschienen. Das Leben als freier Schriftsteller glich einer Achterbahnfahrt. Erst in den 1990er Jahren ging es etwas bergauf. Der angesehene Deuticke Verlag, dem Kappacher bis heute die Treue gehalten hat, veröffentlichte den Roman ›Ein Amateur‹. Mit diesem weitgehend autobiografischen Roman um den jungen Simon, der erst eine Mechanikerlehre machte, dann Schauspieler werden wollte und schließlich bei der Literatur landet, machte Kappacher zum ersten Mal nachhaltig auf sich aufmerksam. »Und auch wenn mich Motorräder nicht mehr interessierten, ließen sie mich doch nicht los: Jahrelang träumte ich von der Werkstatt und von Tätigkeiten, die ich längst nicht mehr ausführte«, sagte Kappacher später in einem Interview.

Obwohl Kappacher mit seiner eher traditionellen und bedächtigen Erzählweise gar nicht dem literarischen Zeitgeist entsprach, wurden seine jüngsten Werke in den letzten Jahren fast einhellig von der Kritik gefeiert. Angefangen hatte die Euphorie um den Salzburger Autor mit dem eher biederen Roman ›Selina oder Das andere Leben‹ (2005), in dem Kappacher die Geschichte des Lehrers Stefan erzählt, der sich eine Auszeit nimmt und den maroden Bauernhof eines Freundes im toskanischen Pratomagno-Gebirge renoviert. Der eigentliche Auslöser für die Entdeckung des literarischen Spätzünders dürfte allerdings die ein Jahr zuvor (auf Vorschlag von Peter Handke) erfolgte Hermann-Lenz-Preis-Verleihung gewesen sein.

Und so war es ganz sicher auch kein Zufall, dass sich viele Kritiker 2007 bei der Lektüre des erstmals 1982 erschienenen »langen Briefs« an Peter Handkes Prosa erinnert fühlten.

Seine wirkliche literarische Klasse hat Walter Kappacher indes erst in dem schmalen Roman ›Der Fliegenpalast‹ offenbart, in dem er sich auf die Spuren von Hugo von Hofmannsthal begibt. Kappacher erzählt von Hofmannsthals Rückkehr nach Bad Fusch – an jenen Ort, an dem er als junger Mann einige seiner schönsten Gedichte verfasst hat. Als gealterter Poet will Hofmannsthal sein Drama ›Der Turm‹ beenden. Kappacher gelingt im ›Fliegenpalast‹ nicht nur eine behutsame und doch beinahe intime Annäherung an den Dichter, sondern überdies auch noch das subtile Psychogramm eines alternden Mannes und feinsinnigen Künstlers. Und das sich Kappacher, der die Siebzig überschritten hatte, in der Figur des zur Melancholie neigenden Dichters selbst gespiegelt hat, ist kaum zu leugnen.

Fernweh, Melancholie, die Sehnsucht nach einem Neuanfang, Naturverbundenheit und Einsamkeitsbewältigung kennzeichneten das letzte bedeutende Erzählwerk des in Salzburg lebenden Schriftstellers, den 2012 erschienenen Roman ›Land der roten Steine‹, dessen Protagonist, der Mediziner Wessely auf eigentümliche Weise an Hermann-Hesse-Figuren erinnerte. 2018 war ein schmaler Band (›Ich erinnere mich und andere Prosa‹) mit autobiografischen Kurz-Skizzen des liebenswerten Außenseiters, begnadeten Stilisten und vornehm zurückhaltenden Erzählers Walter Kappacher erschienen. Am Freitag ist Kappacher im Alter von 85 Jahren gestorben.

| PETER MOHR
| Abb. Walter Kappacher, Walter Kappacher 2009, CC BY-SA 3.0

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Doppelkopf

Nächster Artikel

Ein bunter Comic-Mix

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Kunstvoll rund wie die Null

Menschen | Alfred van Cleef: Die verborgene Ordnung Die Null ist eine faszinierende Zahl, weil sie keine ist. Sie ist ein willkürlich gesetztes Zeichen für etwas ohne konkreten (Zahlen-) Wert. Was passiert eigentlich, wenn man eine ebenso willkürlich über den Globus gezogene, unsichtbare Linie als Reiseroute wählt? Davon erzählt in seinem neuen Buch Die verborgene Ordnung. Eine Reise entlang des Nullmeridians der niederländische Journalist und Reiseschriftsteller Alfred van Cleef. Von PIEKE BIERMANN

In Search Of Valor: An Interview With Dinky

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world No one could ever accuse house icon Dinky of being a one trick pony! Over a long and varied career her musical output and DJ sets have incorporated deep techno, hazy ambiance, hedonistic acid, classic house, alternative pop, and much more. Her latest single Casa (released earlier this year) was a spell-bindingly deep slice of Chicago-inspired house that is already sitting pretty as one of the songs of the year. In contrast, the album Dimension D saw Dinky embrace her inner singer-songwriter, while the warmth she managed

Die Sammler der Herzen

Musik | Album: Fettes Brot Keine andere Band hat die Hamburger Hiphopszene so geprägt, wie »Fettes Brot«. Die Gründer: Doktor Renz, König Boris und Björn Beton sind seit 1995 aus der deutschen Musiklandschaft nicht mehr wegzudenken. Besonders legendär aus diesem Jahr war und ist ihr Titel »Jein«, mit dem sie deutschlandweit bekannt wurden. Und das lange, bevor die Herren von »Deichkind« mit dem Hinterteil zu »Bon Voyage« wackelten. ANNA NOAH hört in die allerneueste Brot-CD namens »Lovestory«.

Feinmechanikerin der Literatur

Roman | Zum Geburtstag der Georg-Büchner-Preisträgerin Brigitte Kronauer am 29. Dezember »Mir scheint ein großes Problem unserer Gegenwart zu sein, dass man mit so viel Sachen konfrontiert wird, mit so viel Menschen, und nicht nachkommt, wie wir es vielleicht eigentlich möchten, wirklich anteilnehmend diesen zum Teil auch Katastrophen gegenüberzustehen«, erklärte die Schriftstellerin Brigitte Kronauer in einem Interview vor zwei Jahren. Da war gerade ihr bisher letzter Roman Gewäsch und Gewimmel erschienen. Ein gewaltiges Opus von 600 Seiten, das uns eine völlig neue Facette der Autorin offenbarte, denn so humorvoll und unangestrengt wie in diesem Roman waren wir Brigitte Kronauer zuvor

»Die Zeit der Fotografie hat gerade erst begonnen«

Fotografie | Interview mit Lois Lammerhuber Noch bis Ende September läuft in Baden bei Wien und dem franzözischen La Gacilly das größte Open-Air-Fotofestival Europas. FLORIAN STURM hat die Veranstaltung in Niederösterreich besucht und mit einem der beiden Festivalleiter, Lois Lammerhuber, über die Hintergründe des Events, Kunst im öffentlichen Raum und den Zusammenhang von Fotografie und Fußball gesprochen.