Sachbuch | Tobias Esch: Der Selbstheilungscode
Da Menschen keine Maschinen sind, können regulative Kräfte schon mal aus dem Lot geraten. Hier setzt der ›Der Selbstheilungscode‹ an, um alternative Wege zu Gesundheit und Zufriedenheit aufzuzeigen. Bei Tobias Eschs aktuellem Buch zeigt sich, dass der Arzt und Neurowissenschaftler über die kostbare Gabe verfügt, wissenschaftliche Erkenntnisse der integrativen Medizin publikumsnah, originell und gut verständlich darzustellen. Von INGEBORG JAISER
Täglich gehen uns etwa 50.000 Gedanken durch den Kopf. 80% davon sind negativer Natur – Ängste, Sorgen und Erinnerungen an unschöne Ereignisse, die wir nicht mehr ändern können. 98% aller Gedanken hatten wir in der Vergangenheit schon einmal. Manches läuft auf Autopilot. Das mag Ihnen bekannt vorkommen, »falls Sie morgens quasi mit den Kollegen duschen, weil Sie beim Shampoonieren schon die Arbeit im Kopf haben, anschließend die Zähne gemeinsam mit der Klassenlehrerin Ihrer Kinder […] beim letzten Elternabend putzen und Ihr Frühstück mit den Kriegs- und Panoramanachrichten vermischen«.
Dieses rotierende Gedankenkarussell bleibt nicht ohne Folgen, es gräbt sich unter Umständen tief in unser Bewusstsein ein und kann Stress auslösen – was wiederum zahlreiche chronische Krankheiten wie Rückenschmerzen, Bluthochdruck, Schlafstörungen und Herz-Kreiserkrankungen mit beeinflusst. Doch nicht nur das. »Alle Wege führen zum Hirn – und darüber hinaus«, erklärt uns der Autor und legt in seinem Buch Prozesse und Mechanismen offen, die für unser Wohlbefinden entscheidend sind. Denn er ist sich sicher: unabhängig vom Alter oder den persönlichen Lebensumständen kann jeder Mensch Kompetenzen für seine Gesundheit und Zufriedenheit erwerben und stärken.
Interdisziplinärer Ansatz
Doch Achtung, bereits auf der ersten Seite dieses Buches wird klar: Dies ist kein klassischer Gesundheitsratgeber, aber auch kein medizinisches Kompendium zum Nachschlagen von Beschwerden und Symptomen – und erst recht kein esoterischer Firlefanz. Vielmehr bemüht sich der Esch um den Brückenschlag zwischen verschiedenen Disziplinen und Ansatzweisen. Er verteufelt weder die klassische Schulmedizin, noch beweihräuchert er fernöstliche Heilmethoden, viel eher zeigt er eine Vielzahl von Möglichkeiten auf, die eigenen Selbstheilungskräfte zu aktivieren.
Gerade so, als ob er den Zugang zu einem großen Werkzeugkasten oder Geräteschuppen öffnen würde. Als Facharzt für Allgemeinmedizin und Neurowissenschaft kann er auf ein breites Erfahrungs- und Schaffensspektrum zurückgreifen: Integrative Medizin, Gesundheitsförderung und Prävention, Stressmanagement, Glücksforschung. Begegnungen mit dem Dalai Lama oder dem MBSR-Begründer Jon Kabat-Zinn lässt der Autor ebenso in seine Überlegungen mit einfließen wie empirische Datenerhebungen.
Modell des dreibeinigen Stuhls
Im Sinne einer interdisziplinären, fachübergreifenden Mind-Body-Medizin wirbt Esch für einen ganzheitlichen Ansatz. Sehr schön wird dies durch das Bild des dreibeinigen Stuhls visualisiert: Ein Stuhlbein steht für medizinische Prozeduren wie diagnostische oder operative Eingriffe (»was der Arzt macht«), eines für Medikamente und sonstige Verordnungen (»was der Arzt gibt«) – und das dritte für die Selbsthilfe, das aktive Mitwirken des Patienten selbst. Wie dies aussehen kann, zeigt uns ›Der Selbstheilungscode‹ auf sehr eindrückliche, motivierende Weise. Oder, um in Erich Kästners Worten zu sprechen: »Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.«
Nominiert als Wissensbuch des Jahres
Achtsamkeit gilt als elementarer Ansatz, auch wenn dieser Begriff inzwischen reichlich abgenutzt ist und der Autor ihn zuweilen treffender mit »Gewahrsein« oder »Bei-Sinnen-sein« übersetzt. Bewegung, Entspannung und Ernährung sind weitere wichtige Faktoren, die uns allesamt bekannt vorkommen. Doch entgegen aller ärztlichen Ratschläge, der gut gemeinten Hinweise von Freunden und den bekannten Gesundheitskursen macht die Lektüre dieses Buches Spaß und fordert tatsächlich zum Nach- und Umdenken auf.
Das liegt unter anderem daran, dass Esch als Mediziner und Wissenschaftler über das seltene Geschick verfügt, komplexe Zusammenhänge anschaulich und verständlich zu erklären, geradezu bildhaft darzustellen. Nicht umsonst ist ›Der Selbstheilungscode‹ für die Auszeichnung »Wissensbücher des Jahres 2017« nominiert, ausgerufen von der Zeitschrift ›Bild der Wissenschaft‹. Dass das Buch unter der Rubrik »Überraschung« läuft, spricht für sein unkonventionelles, humorvolles und originelles Konzept.
Titelangaben
Tobias Esch: Der Selbstheilungscode
Die Neurobiologie von Gesundheit und Zufriedenheit
Weinheim: Beltz, 2017
335 Seiten, 19,95 Euro
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