Margaret Atwood schrieb ihren legendären ›Report der Magd‹ auf einer geliehenen mechanischen Schreibmaschine. Astrid Lindgren stenografierte all ihre Texte. Und Zadie Smith benutzt einen Computer ohne Internetzugang, um sich nicht abzulenken. Wer sich schon immer fragte, wie seine Lieblingsschriftstellerinnen und -schriftsteller arbeiten, wohnen, leben, findet in den von Alex Johnson aufbereiteten ›Schreibwelten‹ erstaunliche Antworten und Inspirationen. Von INGEBORG JAISER
Dass Friedrich Schiller zur Anregung stets faule Äpfel in der Schreibtischschublade hortete, gehört schon zum kulturellen Allgemeinwissen. Und manch zeitgenössischer Autor legt seine Arbeitsgewohnheiten in Homestorys offen, die einem Popstar würdig wären. Dennoch schwebt ein Schleier des Geheimnisvollen, Faszinierenden über dem Schöpfungsakt des Schreibens. Worin liegt das Rätsel der Inspiration? Welche Stimulanzien helfen der Kreativität auf die Sprünge? Wie sehr beflügelt das Schreibgerät – Bleistift oder Füller, Schreibmaschine oder Laptop – die Produktivität? Und wie unerlässlich ist ein privater Rückzugsort, ganz im Sinne von Virginia Woolfs ›Zimmer für sich allein?‹
Alex Johnson lüftet in ›Schreibwelten‹ den Vorhang zu den Refugien berühmter Schriftsteller, seien es Häuser, Hütten oder Hotelzimmer. Neugierig spürt er dem Interieur der Räume nach, ihrer Architektur und ihren Ausblicken. Bei diesen virtuellen Werkstattbesuchen sind wir eingeladen, im kreativen Ambiente von über vier Dutzend Literaten zu Gast sein: von Isabel Allende bis William Wordsworth, von Michel de Montaigne, dem Philosophen und Essayisten der Spätrenaissance, bis hin zu quicklebendigen, zeitgenössischen Autoren wie Zadie Smith, Haruki Murakami oder Stephen King. Hier wird wohl jeder Literaturbegeisterte mehr als einen seiner Lieblingsautoren wiederfinden. Und möglicherweise eine gänzlich unbekannte Seite an ihm kennenlernen.
Jazz, Kaffee, Drinks
Nicht jedes Schriftstellerdomizil ist so berühmt und vielbesucht wie Ernest Hemingways Finca Vigía auf Kuba. Und nicht jeder (temporäre) Schreibraum hatte Bestand. Erstaunlich viele literarische Werke sind in Flugzeugen, Zugabteilen, Gartenlauben, Bibliotheken oder Gefängnissen entstanden – oder in Kaffeehäusern (dessen schreibendes Wiener Stammpublikum hier leider keine Erwähnung findet). Dennoch zieht es uns Leser zu den Entstehungsorten großer Werke, vielleicht in der Hoffnung, dem Genius Loci nachzuspüren, einen Hauch des Zaubers zu erhaschen.
Doch ganz unbenommen, ob ein Autor kreatives Chaos bevorzugt oder akribisch seine »magischen Objekte« um sich schart, ob er absolute Stille einfordert (Emily Dickinson, Bernard Shaw) oder es liebt, bei Jazz-Untermalung zu schreiben (Haruki Murakami) – ein strikter Zeitplan und ein straffes Arbeitspensum scheinen unerlässlich zu sein. Frühes Aufstehen, große Koffeinmengen und eine durchgetaktete Tagesstruktur gehören offenbar zu den Grundvoraussetzungen literarischen Schaffens. Gepusht von sehr persönlichen Zeremonien und Ritualen. So schreibt man Margaret Atwood und dem James-Bond-Schöpfer Ian Fleming die ambitionierte Tagesleistung von 2000 Wörtern zu, dem jungen Mark Twain gar bis zu 3000.
Stimmungsvolle Illustrationen
Die von Alex Johnson präsentierten ›Schreibwelten‹ (im Originaltitel sehr stimmig: ›Rooms of Their Own. Where Great Writers Write‹) fokussieren sich hauptsächlich auf britische und amerikanische Literaturschaffende des 19. und 20. Jahrhunderts. Vergeblich wird man hier deutschsprachige Autoren suchen (von einem Thomas-Bernhard-Zitat abgesehen). Dafür kann man sich über einen aufschlussreichen Anhang mit Besucherinformationen zu Museen, Archiven, Wohnhäusern und Gedenkstätten freuen – soweit die beschriebenen Orte nicht in Privatbesitz und für das interessierte Publikum unzugänglich sind.
Einen großen Teil seines Charmes bezieht dieses Buch aus den lebendigen Illustrationen von James Oses, mit weichem, voluminösem Pinselstrich, farbenfroh und detailverliebt aquarelliert. Stimmungsvoll fängt der Londoner Illustrator seine Vorstellungen von Colettes blauem Zimmer genauso ein wie eine skurrile Kollektion von Schreibmaschinen und Computerterminals, an denen Stephen King gearbeitet hat. An diesen warmherzigen, die Fantasie anregenden Darstellungen kann man sich kaum sattsehen!
Und letztendlich holen uns all diese Einblicke wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: Viele Bestseller sind schlichtweg das Ergebnis ambitionierter Arbeit, ganz ohne Magie und Kunstgriffe. Oder, wie es Agatha Christie einst lakonisch ausgedrückt hat: »Die beste Zeit, ein Buch zu planen, ist beim Geschirrspülen«.
| INGEBORG JAISER
Titelangaben
Alex Johnson: Schreibwelten
Mit Illustrationen von James Oses
Aus dem Englischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer
Darmstadt: wbg Theiss, 2023
192 Seiten, 28 Euro
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