Kommentar | Wolf Senff: Vorsätze
Vorsätze. Den Zusammenhalt fördern, hat Frau Merkel gesagt. Neujahrsansprache. Sonntagsrede. Doch recht hat sie, und wenn sie den Zusammenhalt fördern will, muss sie an jenen Baustellen arbeiten, an denen man uns auseinander treibt. Von WOLF SENFF
Wer ihr einen Vertrauensvorschuss gibt und darüber hinwegsieht, dass sie während dreier Legislaturperioden nicht geschafft hat, Zusammenhalt und Gemeinschaft zu stabilisieren – wer ihr also diesen Vertrauensvorschuss geben will, wird sich zunächst selbst fragen, wo denn diese Gesellschaft auseinanderdriftet.
Null Initiative
Und sie treibt auseinander, das stimmt, genauer noch: sie bricht auseinander. Das wurde während der vergangenen Jahre durch exzessive öffentliche Debatten um Immigration und um LGBT überlagert, doch für den, der aufmerksam hinsieht, ist dieser Zerfallsvorgang so unübersehbar, dass er sich fragen muss, weshalb Politik davor so lange die Augen verschloss.
Es ist schlechterdings unfassbar, dass ein paar Leute Monatsbeträge von diversen Millionen Euro einstreichen, während zahllose andere sich heftigst abstrampeln müssen, um überhaupt annähernd satt zu werden. Empörend ist dabei nicht allein, dass seitens der Politik null Initiative erfolgt, nein, die Politiker und die ihnen zur Seite stehende mediale Öffentlichkeit nehmen das gar nicht als Problem wahr. Meine Güte, ihr erwartet Zusammenhalt, wo der eine kalt lächelnd seine Geldsäcke hortet und sein Nachbar Hunger leidet!
Eltern und Kinder
Frau Merkel, wir zweifeln sehr, doch wir wünschen Ihnen Erfolg dabei, diese Abgründe zu überbrücken, mit welchem Koalitionspartner auch immer.
Es gibt diverse Mauern, die mitten in dieser Gesellschaft errichtet sind und die die Bürger trennen. Man sollte nach der Sinnfälligkeit einer IT-Technologie fragen, die alle paar Jahre neue Systeme auf den Markt wirft. Trennt es die Generationen, dass Eltern ihrem Nachwuchs kaum folgen können? Ist der individuelle Rückzug ins Netz gemeinschaftsbildend? Was wäre zu tun?
Ohne Sinn und Verstand?
Wie steht es mit der Gesundheitspolitik? In Hamburg wurden die Krankenhäuser, seinerzeit entgegen einem ablehnenden Bürgervotum, an private Eigner verkauft. Das wirft weitere Fragen auf. Weshalb soll die Pflege unserer Gesundheit für deren Betreiber denn eigentlich Geld abwerfen? Gemeinschaftsbildend ist das nicht. Wie sinnvoll ist es, dass es für einige die privaten Krankenkassen und für die vielen anderen die öffentlichen Krankenkassen gibt? Fragen über Fragen.
A propo Rentner. Wie gehen Sie mit den Mitbürgern um, die ihr Arbeitsleben hinter sich haben und in den Ruhestand gehen? Vielfach wird vor der diesen Mitbürgern drohenden Armut gewarnt. Sie sind darüber informiert? Welche Pläne hat die Politik?
Rüstungsausgaben erhöhen
Es gäbe diverse weitere Themen, mit denen Sie Abgründe überbrücken, Misstrauen beseitigen und einem Bröckeln des Zusammenhalts vorbeugen. Bildungspolitik. Langfristige demographische Tendenzen. Klimapolitik. Regulierung des Arbeitsmarkts. Plündern öffentlicher Haushalte durch BER und Stuttgart 21. Verkehrs-Infrastruktur. Luftreinheit. Steuerbetrug. Gefährdung der Böden und des Grundwassers. Mietpreise. Versorgung des ländlichen Raums. Ein Thema so wichtig wie jedes andere.
Ojeh, was für eine Liste. Haben wir Armut dabei? Kinderarmut? Obdachlosigkeit? Europa? Meine Güte, Frau Merkel, das nimmt ja kein Ende. Sie haben vielleicht zuvor nicht besonders viel getan? Ach, Ihre Verteidigungsministerin möchte die Ausgaben für Rüstung erhöhen? Das kommt ein wenig zur Unzeit.
Der UN-Generalsekretär erklärt ›Alarmstufe Rot‹ für unseren Planeten. Der Papst warnt vor den »zersetzenden Banalitäten des Konsums«. Da darf ernsthaft gefragt werden, ob die heimische Politik- und Medienwelt versteht, wovon die Rede ist. Nein, morgen ist es zu spät. Wir wünschen Ihnen Erfolg!
| WOLF SENFF