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Nein, keiner verrät’s

Kommentar | Wolf Senff: Kulturbruch

»Kulturbruch«, was ist das, kürzlich war in Anspielung auf die IT-Kultur von einem Kulturbruch die Rede. Der angesehene Ägyptologe Jan Assmann sieht einen Kulturbruch zwischen der zwanzigsten und der einundzwanzigsten Dynastie. Interessant. Klar doch, wir greifen das auf. Ein Kommentar von WOLF SENFF

Es handelt sich, nur dass wir das eben zeitlich einordnen, dabei um Ramses XI., den letzten Ramessiden und letzten Pharao der zwanzigsten Dynastie, dessen Ende der Archäologe in 1075 datiert, danach war Schluss, und zwar – folgen wir Jan Assmann – war Kulturbruch.

Failed State

BuchstabensturmÄgypten, lesen wir, war unter jenem Ramses XI. ein zerfallender Staat, im Süden um die Stadt Theben herrschte Amunhotep, ein Armeegeneral und Hohepriester des Amun, und durch die einundzwanzigste Dynastie wurde die dritte Zwischenzeit – die Epoche ca. 1070-664 zwischen dem Neuen Reich und der Spätzeit – eingeleitet, der erwähnte Kulturbruch setzte ein, die einundzwanzigste Dynastie gilt als libysch geprägte Theokratie, als ein Gottesstaat, der Gott Amun regierte mittels der Entscheidungen des Orakels.

›Kulturbruch‹ beschreibt eine grundlegende Umgestaltung der gesellschaftlichen Ordnung, sie betrifft im alten Ägypten zuerst stets die Religion und die Vorstellungen vom Jenseits und, dadurch vermittelt, die sozialen Strukturen der staatlichen Ordnung. Es geht um Untergang und Neugestaltung der Welt, um die Menschheit als ziellos, als eine verirrte Herde.

Wir wissen’s halt nicht

Weit hergeholt? Im Gegenteil. Manchmal hilft eben doch der Abstand, um einen ungetrübten Blick auf das zu gewinnen, was sich auf dem Blauen Planeten abspielt. Eine verirrte Herde? Das ist noch zurückhaltend formuliert. Ziellos? Das trifft’s präzise. Niemand weiß, wohin, und vor allem wird täglich eine neue Sau durchs Dorf getrieben – massiv Gewese ist angesagt, und Hauptsache niemand kommt drauf, dass im Grunde überhaupt gar nichts geschieht und alles so läuft wie gehabt.

Und wie steht’s nun mit ›Kulturbruch‹? Schwierig. Wir wissen ja eher nicht, was auf uns zukommt – wenngleich die Auguren Unheil verkünden und wir manches Menetekel am liebsten ignorieren möchten, wir wissen’s halt nicht. Vermutlich ist es treffend, zu sagen, wir leben in einer Zwischenzeit.

Plastik und seltene Erden

Im Selbstbedienungsladen ›Planet‹ werden allerletzte Vorräte geplündert, Böden Wasser Luft sind gründlich verdreckt – diverse Spezies werfen die Flinte ins Korn, für sie ist kein Leben mehr möglich auf diesem Planeten –, die Energieversorgung stockt, staatliche Strukturen werden aufgelöst, Kriege sind an der Tagesordnung, Flüchtlinge suchen Asyl in lebenswerten Restregionen, die Menschheit eine verirrte Herde – Zwischenzeit.

Und, ach so, ja, die IT-Kultur. Was sagt man dazu? Ist es nicht eh falsch, von ›Kultur‹ zu reden, genau wie es falsch ist, davon zu reden, ein Gerät könne ›lesen‹? Die Schachtel aus Plaste und seltenen Erden heißt mich ›Willkommen‹ und zeigt meinen Namen an, als hätte sie eine Ahnung von freundlichen, höflichen Umgangsformen. Ein strunzdummer Kasten. Die Algorithmen, wer denkt sich so etwas aus, sind auf Schleimspur ausgerichtet.

Vom Fortschritt besoffen

Der Computer ist nur ein neues Beispiel der Verirrung, ziemlich abgefahren zwar, ein Hype, aber eben der auf die Spitze getriebene Technowahn. Wir müssen uns das vorstellen wie bei den Zuhältern, die mit Vorliebe ihren dicken Boliden chauffieren, und alles vor dem Hintergrund einer Spaßgesellschaft, die ihre Netze zuallererst nach Kindern auswirft, den wehrlosen, unbedarften Opfern, plus seitens der Thiel, Zuckerberg & Co, ein kaltblütiges Marketing, das die Sprache kolonisiert.

Mit Bezug auf die IT-Technologie von einem ›Kulturbruch‹ zu reden, das wäre vermutlich hysterisch, doch sie ist ein Symptom des Kulturbruchs. Anders gesagt, die IT-Technologie ist ein Abgesang auf die ›Moderne‹, und natürlich ist sie eine Schnapsidee,

Kollateralschäden

Eine Schnapsidee geboren aus einem Fortschrittsrausch, der die Kollateralschäden, sprich: Folgekosten, großzügig ignoriert, für jedermann ersichtlich an Fukushima und genauso am Zustand des Individualverkehrs. Kernenergie, das dürfen wir zurecht feststellen, war ein Schuss in den Ofen, und der Individualverkehr droht gegenwärtig voll in die Hose zu gehen.

Was nottut, ist eine nüchterne Bestandsaufnahme. Wie hoch werden denn nun die Folgekosten der Kernenergie? Gibt ja reichlich AKW auf dem Globus. Keiner verrät’s. Sie haben das Kind in den Sumpf geritten, nun herrscht Schweigen im Walde. Wie teuer kommt uns eine Stilllegung zu stehen? Der Schaden, der durch einen GAU wie Fukushima angerichtet wird, ist nicht wiedergutzumachen, nicht wahr? Nein, nicht möglich, und jeder weiß das, doch keiner verrät’s.

›Zwischenzeit‹

Auch die IT-Technologie dürfte sich schon überlebt haben, bedenkt man, wie sie die Umgangsformen vergiftet und dass sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt auflöst, von den zähl- und messbaren Kollateralschäden ganz zu schweigen, etwa der Instandsetzung von gehackten Strukturen, den Folgekosten bei Stromausfällen. Wie hoch die Rechnung sein wird? Und wird sie bezahlbar sein? Keiner verrät’s.

Während dieser ›Zwischenzeit‹ dürfte es für Politik vor allem wichtig werden, sich einen Überblick zu verschaffen, Kontrolle wiederzugewinnen und den Auswüchsen konsequent gegenzusteuern. Das zu erreichen wäre schon lobenswert. Was nach der ›Zwischenzeit‹ einsetzt, unter Bedingungen eines kollabierenden Klimas, das ist kaum absehbar.

| WOLF SENFF

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