Wenn etwas ins Auge geht

Roman | Irene Dische: Schwarz und Weiß

Nur selten ist ein Titel so aussagekräftig wie beim neuen opulenten Epos ›Schwarz und Weiß‹ der überwiegend in Berlin lebenden amerikanischen Schriftstellerin Irene Dische. Sie erzählt in ihrem sechsten Roman von der unkonventionellen Liebesgeschichte zwischen einem ungebildeten, dunkelhäutigen jungen Mann aus Florida und der Tochter einer intellektuellen jüdischen Emigrantenfamilie aus New York. Aufsteigergeschichte, Familienroman und Gesellschaftspanorama hätte es werden können, doch über weite Strecken fühlt man sich in eine rasante Woody Allen-Komödie versetzt. Von PETER MOHR

Diesche - Schwarz und weiss - 9783455404777 - 350Duke Butler, der junge Mann aus Florida, lernt in den frühen 1970er Jahren Lili Stone kennen, Tochter eines Komponisten und einer unglücklichen, den Drogen und den Seitensprüngen zugeneigten Essayistin. Lili stellt ihren Eltern den neuen Geliebten als Urenkel von Thomas Jefferson vor.

Und plötzlich öffnen sich für den armen Duke Butler die Türen zur großen Glamour-Welt, ein neues, geradezu paradiesisches Leben scheint zu beginnen. »Seidiger Sonnenschein, der Himmel so blau wie das Kleid der Madonna, eine verführerische, dennoch kühle Straße, ein Baum, der geduldig darauf wartet, Schatten zu spenden.« Die 65-Jährige Irene Dische bewegt sich hier in schwindelerregende Höhen des Kitsches, und man weiß als Leser nicht so recht, ob bewusst oder unbewusst.

Duke liest fortan den Kulturteil der ›New York Times‹, lässt sich von Ezra Pounds Lyrik inspirieren (zumindest gibt er es vor) und avanciert zum gefeierten Weinkenner der New Yorker Schicki-Micki-Szene. Er schwadroniert vor laufenden Fernsehkameras über samtige Nuancen der erlesenen roten Tropfen und gefällt sich in seiner neuen Rolle als »Turbo«-Aufsteiger. En passant wird die unattraktive Lili auch noch als Model entdeckt. Das Paar steigert sich in einen wahren Lebensrausch hinein – größer, höher, exzessiver könnte das Motto lauten.

Man ahnt es früh, dass eine solche Geschichte nicht gut ausgehen kann, dass die vermeintlich heile Welt voller Makel steckt, doch Irene Disches Wendungen verlangen dem Leser ein Höchstmaß an Goodwill ab. Lilis Mutter Bucky kann das Leben ohne Drogen kaum noch ertragen, ihr Mann Vlado outet sich in fortgeschrittenem Alter als homosexuell, irgendwo explodiert noch ein Haus, und dann gibt es da noch die tragische Szene zwischen Lili und Duke: »Die Gabel stieß in dem Hummergelenk auf Widerstand, und Lilis Hand rutschte seitlich ab, genau in dem Moment, als Duke sich nach vorn beugte, um sich den zweiten Hummer zu holen. Das Schicksal … zielte jetzt mit dem Gabelzinken auf Dukes rechtes Auge.«

›Schwarz und Weiß‹ ist tatsächlich das Programm. Gegensätze, wie sie krasser nicht sein können, Klischees, die an Plattheit kaum zu überbieten sind – und das auf einem kapitalen Umfang von fast 500 Seiten.
Oder hat uns Irene Dische eine ellenlange Satire vorgelegt, ohne Scheu vor effektvollen Slapstick-Einlagen? Wenn es das war, was sie wollte, dann – aber nur dann – ist ›Schwarz und Weiß‹ ein großer Wurf. Zweifel sind aber diesbezüglich angebracht, denn der Klappentext offeriert etwas anderes.

So ist es leider nur ein oberflächlicher, mit Kitsch und Klischees überladener Unterhaltungsroman geworden, den man an langen Winterabenden schnell weg lesen kann. Außer einigen (je nach Mentalität) mehr oder weniger kräftigen Lachern wird wenig in Erinnerung bleiben.

| PETER MOHR

Titelangaben
Irene Dische: Schwarz und Weiß
Aus dem Englischen von Elisabeth Plessen
Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag 2017
489 Seiten, 26.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein modernes Künstlerleben

Nächster Artikel

Lust auf Süßes

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Bruderliebe

Roman | Jo Nesbø: Ihr Königreich

Gelegentlich platziert der norwegische Bestsellerautor Jo Nesbø zwischen die Bände seiner weltweit erfolgreichen Harry-Hole-Reihe zur Auflockerung einen Standalone. Ihr Königreich heißt der neueste und er erzählt die Geschichte der Brüder Carl und Roy Opgard, die, auf einem norwegischen Gebirgsbauernhof unter der Fuchtel eines unnachgiebigen Vaters aufgewachsen, nach 15-jähriger Trennung wieder ein Zusammenleben versuchen. Aber der Jüngere, Carl, hat in der Fremde nicht nur geheiratet, sondern auch Pläne im Gepäck, deren Verwirklichung den ganzen Ort reich machen soll. Und allgemach steuert das Verhältnis der beiden ungleichen Männer auf eine Katastrophe zu, deren Ursachen nicht nur in der Gegenwart liegen. Eine Rezension von DIETMAR JACOBSEN

Blick zurück ohne Zorn

Roman | Klaus Modick: Klack Klaus Modicks Zeitreise durch das Nachkriegsdeutschland. Gelesen von PETER MOHR

Nicht ganz bei Trost

Roman | Christian Kracht: Eurotrash

Der Schriftsteller Christian Kracht lässt es wieder krachen und inszeniert – zweieinhalb Jahrzehnte und fünf Romane nach seinem Debüt Faserland – einen grotesken Roadtrip mit einer medikamentensüchtigen, alkoholkranken und dementen Mutter durch eine trostlose Schweiz der Gegenwart. Eurotrash nennt sich sein neuestes Werk, das in diesem Frühjahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert wurde. Von INGEBORG JAISER

Meister der Verstellung

Roman | Javier Marías: Tomás Nevinson

»Wer hätte an seiner Stelle nicht ebenso gehandelt, hätte nicht überlegt, den Abzug gestreichelt und die Versuchung empfunden, kaltblütig abzudrücken«, heißt es zu Beginn des letzten Romans des am 11. September verstorbenen großen spanischen Schriftstellers Javier Marías. Wir werden gleich wieder hineingezogen in diesen absolut singulären Strudel aus Geheimdienststory, Liebesroman und philosophisch-narrativem Epos. Von PETER MOHR

Einmal London und zurück

Roman | Judith Kuckart: Wünsche Judith Kuckarts Roman ›Wünsche‹ steckt voller Sehnsüchte und Wünsche, ist allerdings kaum ein sentimentales »Wunschkonzert« – findet PETER MOHR