Roman | Markus Orths: Max
In seinem jüngsten Roman ›Max‹ beleuchtet der deutsche Schriftsteller Markus Orths die privaten, künstlerischen und politischen Wechselfälle des Malers, Grafikers und Bildhauers Max Ernst. Von BETTINA GUTIÉRREZ
Betritt man das Max Ernst-Museum in Brühl, trifft man auf ein helles, großzügig angelegtes Gebäude, das in harmonischer und sorgfältiger Anordnung einen Großteil der Werke dieses bedeutenden surrealistischen Künstlers und Vetreters des legendären Dadaismus zeigt. Auf zwei Etagen kann man in dieser ruhigen, ja fast idyllisch anmutenden Umgebung die Kunst von Max Ernst betrachten: seine Ölgemälde, Skulpturen, D-paintings und seine feinen Zeichnungen und Collagen, die sich zum Teil auch etwas düsteren Themen widmen. Dem Betrachter erschließt sich der Kosmos eines begnadeten und vielseitig begabten Künstlers, dessen Kunst, so ausgefallen und bizarr sie auch sein mag, eine gewisse Harmonie ausstrahlt.
Ein ganz anderes Bild des Menschen Max Ernst zeigt dagegen Markus Orths jüngster Roman ›Max‹, der auf umfangreichen, präzisen und gründlichen Recherchen basiert. Hier zeichnet der Autor das Porträt eines Künstlers, der ein äußerst bewegtes und unruhiges Leben geführt hat, das vor allem von den Wechselfällen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts, den Beziehungen zu seinen Ehefrauen und Musen und seinem grenzenlosen Selbstverwirklichungs- und Freiheitsdrang geprägt war.
Hätte Markus Orths nicht den Akzent auf Ernsts vier Ehen und sechs Lieben gelegt, wäre dies eine klassische Künstlerbiographie. So begleitet der Leser diesen Ausnahmekünstler ab seinem 23. Lebensjahr bei all seinen Stationen, die nicht nur durch seinen unbändigen Schaffensdrang, sondern auch durch seine Lieben und Verhältnisse zu verschiedenen Frauen bestimmt wurden.
Als junger Student heiratet er die jüdische Kunsthistorikerin Louise Straus, genannt Lou, mit der er einen gemeinsamen Sohn hat. Bald darauf folgt eine leidenschaftliche Beziehung zu Gala, der russischen Ehefrau des französischen Dichters Paul Eluard, die schließlich in einer Dreiecksbeziehung mit ihrem Ehemann mündet. Im Gegensatz zu Lou, die zwar für damalige Verhältnisse als emanzipiert gilt, aber bescheiden auftritt, wird Gala als eine etwas exzentrische und selbstbezogene Frau geschildert, die gerne im Mittelpunkt steht, sich bewundern lässt und Max Ernst bei seinen Kunstwerken inspiriert.
Diesem Frauenbild folgen auch seine nächsten Lieben: Seine zweite Ehefrau Marie-Berthe Aurenche ist zwar eine junge strenge Katholikin, doch auch sie genießt es im Zentrum des Geschehens zu stehen und führt sich bisweilen wie eine Schauspielerin auf. Dem steht seine anschließende junge Geliebte und große Liebe, die Künstlerin Leonora Carrington, in nichts nach. Allerdings ist sie, im Gegensatz zu Marie-Berthe, selbstbewusst und begabt.
Als Leonora in den Wirren des Zweiten Weltkriegs aus dem gemeinsamen Haus im französischen Saint- Martin- d’Ardèche fliehen muss, verbündet er sich mit der amerikanischen Kunstmäzenin Peggy Guggenheim, die ihn bei der Flucht in die USA unterstützt und seine dritte Ehefrau wird. Diese Ehe bleibt allerdings eine folgenlose Episode im Leben von Max Ernst, was nicht zuletzt an ihrem einfältigen und zugleich selbstsüchtigen Charakter liegen mag, den Markus Orths nicht ohne eine gewisse Ironie und Eindringlichkeit schildert.
Im Exil in den USA lernt Ernst schließlich seine vierte Ehefrau Dorothea Tanning kennen, mit der er bis zu seinem Lebensende verheiratet ist. Auch sie ist, wie Leonora, eine Künstlerin, die es jedoch vermag, Ruhe und eine Art von Bodenständigkeit in das Leben dieses von sich selbst und der Kunst getriebenen Künstlers zu bringen.
Doch nicht nur die Schilderungen dieses intensiven Lebens und »Liebens« von Max Ernst machen aus Markus Orths Roman eine interessante und lesenswerte Lektüre. Der Leser erfährt außerdem viel über den Aufbruch zur Moderne in der zeitgenössischen europäischen Kunst und Malerei, die damalige Bohemeszene um die französischen Surrealisten und Dadaisten und ihre schillernden Protagonisten wie Marcel Duchamp, André Breton und Hans Arp. Und er wird erneut durch die historischen Turbulenzen des Ersten und Zweiten Weltkriegs geführt, die aus dieser Perspektive bisweilen in einem anderen, neuen Licht erscheinen.
Daher ist ›Max‹ am Ende nicht nur ein kurzweiliges, lebendiges und gut geschriebenes Künstlerporträt, sondern auch ein Zeugnis einer zeitgeschichtlich und künstlerisch bedeutenden Epoche des Umbruchs und ein äußerst gelungener Roman.
Titelangaben
Markus Orths: Max
München: Hanser Verlag 2017
576 Seiten, 24 Euro
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