Nach dem Tod des sich Eumenides nennenden Killers in Zhou Haohuis erstem 18/4-Roman Der Hauptmann und der Mörder scheint der Albtraum für Chengdus Ordnungshüter erst einmal vorbei. Doch es dauert nicht lange, bis wieder Todesanzeigen auftauchen und Menschen ermordet werden. Erneut hat die Sondereinsatzgruppe »18/4« unter Hauptmann Pei Tao alle Hände voll zu tun. Denn an Zielen mangelt es dem mit einer Rasierklinge lautlos tötenden Mann, der der Polizei immer um einen Schritt voraus zu sein scheint, nicht. Und obwohl man schon bald weiß, wen Pei Taos Studienfreund Yuan Zhibang zur unaufhaltsamen Killermaschine ausgebildet hat – immer wieder entgeht das Phantom Eumenides mit äußerster Raffinesse den ihm gestellten Fallen. Und das nicht zuletzt deshalb, weil der Mann eine Gefährtin findet, die im dritten Band der 18/4 – Reihe dann im Mittelpunkt steht und das Geschäft der Rache übernimmt. Von DIETMAR JACOBSEN
Es ist noch lange nicht vorbei. Der Killer, der sich nach dem griechischen Rachegöttinen-Trio »Eumenides« nennt, mordet weiter. Und wieder muss Hauptmann Pei Tao ein Phantom jagen, das er einst als Student selbst mit ins Leben gerufen hatte, ehe es sich in Gestalt von Peis Studienfreund Yuan Zhibang zu einem kaum greifbaren Rächer entwickelte. Letzterer hatte es auf diejenigen Straftäter abgesehen, die sich der Justiz der chinesischen Millionenstadt Chengdu geschickt zu entziehen wussten.
Dass sich Yuan Zhibang am Ende von Der Hauptmann und der Mörder selbst in die Luft sprengte, hat das Rachedrama freilich nicht beendet. Denn Eumenides 2.0 setzt das Werk seines Vorgängers genauso blutig fort, wie der es begann. Und bevor der Nachfolger zuschlägt, erreichen auch seine Opfer in Schönschrift verfasste Anzeigen, in denen sie über den Grund ihrer Verurteilung und den Tag ihres Todes kurz und knapp informiert werden.
Eumenides 2.0
Mit Der Pfad des Rächers setzt der chinesische Bestsellerautor Zhou Haohui (Jahrgang 1977) seine 18/4-Trilogie fort. Und Band 2 steht dem ersten in nichts nach. Wieder kann sich Hauptmann Pei Tao auf die junge Psychologin Mu, den eigenwilligen, aber genialen Computerexperten Zheng sowie Yin, den Assistenten des ehemaligen Leiters der Sondereinsatzgruppe Han, und Liu, das schlagkräftige Mitglied der Spezialeinheit der Polizei, verlassen.
Dass er selbst einst beargwöhnt wurde, als er aus der Provinzstadt Longzhou in die mehr als 20 Millionen Einwohner zählende Metropole Chengdu, Haupstadt der südwestchinesischen Provinz Sichuan, kam, um der Spezialeinheit 18/4 mit seinem Wissen über die Vergangenheit des gesuchten Killers zu helfen, ist Geschichte. Nachdem Han, der die Einheit zunächst leitete, selbst zum Verräter und Mörder wurde, ist man unter Peis Leitung inzwischen hinter beiden her: dem in der Bevölkerung einen Robin-Hood-ähnlichen Ruf genießenden Rächer und dem sich auf der Flucht befindenden Polizeihauptmann.
Zwei Flüchtige im Visier
Zhou Haohui versteht es meisterhaft, seine Leser wieder und wieder auf falsche Fährten zu locken. Dass bei dem ganzen Hin und Her, in das er seine Figuren stürzt, deren psychologische Tiefenschärfe leidet, nimmt er dabei in Kauf. Hauptsache Action. Hauptsache Spannung. Hauptsache Bars und Restaurants mit geheimnisvoll-exotischen Namen wie »Grüner Frühling« oder »Schwarze Magie«. Hauptsache Verfolgungsjagden wie die durch das weitverzweigte U-Bahn-Netz Chengdus und Morde an Orten, die von ganzen Polizei-Bataillonen vorher hermetisch abgeriegelt wurden. Was den hochintelligenten Killer Eumenides nicht davon abhält, seinen tödlichen Job zu erledigen und hinterher ebenso laut- wie spurlos wieder zu verschwinden.
Das Phantom und die blinde Geigerin
Mit der blinden Geigerin Zhen Jia begegnet Zhou Haohuis Killer schließlich ein Mensch, in dem er sich selbst wiedererkennt. Und auch die junge Frau fühlt sich zu dem Mann hingezogen, der ihr schon bei einer ihrer ersten Begegnungen anbietet, eine nur in den USA mögliche Operation zur Heilung ihres Augenleidens für sie zu arrangieren. Völlig absurd ist es deshalb für sie, den Mann, der am Anfang ihrer Bekanntschaft stets wie ein Phantom aus dem Nichts in ihrer Nähe auftaucht und bald schon ihr24 Vertrauen genießt, an die Polizei zu verraten. Stattdessen lässt sie sich Stück für Stück in seine Welt hineinziehen, ohne vorerst zu ahnen, dass er der Mörder ihres Vaters ist und eigentlich mehr ihren Hass als ihre Liebe verdient.
Der die Trilogie beschließende Band Die blinde Tochter weicht insofern von seinen beiden Vorgängern ab, als nach dem Verschwinden von Du Mingqiang alias Wen Chengyu alias Eumenides im Ersten Gefängnis von Chengdu vorerst keine Todesanzeigen mehr die Polizei der Millionenstadt in hektische Aktivitäten versetzen. Stattdessen muss sich der Rächer in Zelle 424 des Provinzgefängnisses seines Lebens erwehren. Mit Hilfe eines Zellengenossen bereitet er schließlich seinen Ausbruch vor, der, wie das nicht anders bei diesem Gefangenen zu erwarten ist, auf spektakuläre Weise vor sich geht.
Ausbruch aus Zelle 424
Derweil haben Hauptmann Pei Tao und die Seinen draußen alle Hände voll zu tun, um einen aufflammenden Bandenkrieg nicht nur unter Kontrolle zu bekommen, sondern ihn vielleicht sogar dazu zu benutzen, ein für allemal mit der Unterwelt Chengdus aufzuräumen. Dass dabei nicht alles so funktioniert, wie es eigentlich sollte, liegt nicht zuletzt daran, dass nicht nur die Polizei die rivalisierenden Gruppierungen gegeneinanderhetzt, sondern bald auch Eumenides seine Hände wieder im Spiel hat.
Gelegentlich lässt Zhou Haohui seine Ermittler darüber sinnieren, was sie von den Killern, die sie jagen, eigentlich unterscheidet. Es ist nicht allzu viel, stellen die Polizisten dann jedesmal fest. Denn stünden sie selbst auf der anderen Seite des Gesetzes, sie würden ähnlich handeln wie die, denen sie das Handwerk legen müssen. Oder wie es Pei Tao durch den Kopf geht, als er in Band 2 der Trilogie über einen ehemaligen Kollegen nachdenkt, den noch zehn Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Polizeidienst ein unabgeschlossener Fall umtreibt, für dessen endgültige Lösung er bereit wäre, jedes Gesetz zu brechen: Es ist »eine beängstigend vertraute Herangehensweise«, deren sich die einen wie die anderen bedienen.
Titelangaben
Zhou Haohui: 18/4. Der Pfad des Rächers
Aus dem Englischen von Julian Haefs
München: Wilhelm Heyne Verlag 2022
576 Seiten. 14 Euro
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Zhou Haohui: 18/4. Die blinde Tochter
Aus dem Englischen von Julian Haefs
München: Wilhelm Heyne Verlag 2022
702 Seiten. 14 Euro
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Reinschauen
| Der Pfad des Rächers: Leseprobe
| Die blinde Tochter: Leseprobe
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