Ein verschwundener schottischer Verfassungsrechtler, Nicholas Wilson, der sich mit jedem anlegte: In Stuart MacBrides zwölftem Logan-McRae-Roman geht es um Politik und Fanatismus. Nationalisten gegen Unionisten, Brexitgegner gegen Brexit-Befürworter, Schotten gegen Engländer. Und mittendrin: McRae, nach einem Jahr der Rekonvaleszenz zurück in seinem Job bei den Internen Ermittlern in Aberdeen und, weil DI King, der mit der Aufklärung des Wilson-Falles befasst ist, leider politisch ein bisschen zu nationalistisch getickt hat in seiner Jugend, dazu verdonnert, dem ungeliebten Kollegen zur Seite zu stehen. Kein einfacher Job, zumal sich zu Professor Wilson bald noch andere glühende Befürworter des Verbleibs der Schotten in der britischen Union gesellen. Von DIETMAR JACOBSEN
Professor Nicholas Wilson, Verfassungsrechtler an der Aberdeen University, ist verschwunden. Das abendliche Gassigehen mit seinem altersschwachen Jack-Russell-Terrier nahm ein offensichtlich böses Ende. Was blieb, sind eine große Blutlache auf dem Küchentisch und zahlreiche Schmäh-Tweets auf seinem Smartphone. Denn Wilson als Unionist und geschworener Gegner der schottischen Separationsbestrebungen war bei niemandem beliebt. Sogar die eigenen Kollegen mieden ihn, so gut es ging.
Nun muss sich Detective Inspector King mit seinem Team um den heiklen Fall kümmern. Dass der nicht unbedingt ein Freund von Logan McRae ist, weiß man. Doch weil King eine Vergangenheit besitzt, die ihn angreifbar macht, darf McRae ihm als »Sündenbock für einen Sündenbock« nicht von der Seite weichen.
Feinde, Fehden, Drohungen
Einen Mann im Auge zu behalten, der als 16-Jähriger einer terroristischen Gruppierung von schottischen Nationalisten beitrat, um einem Mädchen zu imponieren, hat Stuart MacBrides Serienhelden in seinem zwölften Fall freilich gerade noch gefehlt. Ist der Inspector der schottischen North East Division (NED) doch eben erst nach einer einjährigen Rekonvaleszenz infolge einer Messerattacke in den Dienst zurückgekehrt und muss sich erst langsam wieder an einen Alltag gewöhnen, den er inmitten einer Gruppe von höchst gewöhnungsbedürftigen Mitarbeitern zu bestreiten hat.
Doch der Fall des verhassten Professors mit den schroffen Umgangsformen und der festen Überzeugung davon, dass sich Schottland ohne England auf verlorenem Posten wiederfinden würde, eilt. Denn ein an das Aberdeener Studio von BBC Scotland adressiertes Paket enthält außer einem Zettel mit den geheimnisvollen Worten »DER TEUFEL FINDET ARBEIT« auch Wilsons säuberlich vom Körper abgetrennten Hände. Also machen sich McRae und die Seinen in einem für Aberdeen viel zu heißen Sommer auf die Strümpfe, um Schlimmeres, sprich: das Kidnapping weiterer prominenter Unionisten, zu verhindern. Was nur zum Teil gelingt, denn von den irgendwo im Nordosten Schottlands aufgestellten fünf Gefriertruhen erfüllen bis zum Ende nicht alle den ihnen zugedachten Zweck.
Willkommen in der postfaktischen Welt!
Aber wer ist es, der hier die Sache des schottischen Nationalismus mit derart brachialen Methoden vertritt? Und wann platzt die Bombe, dass der mit dem Fall beauftragte Polizist in seinen frühen Tagen selbst einer schottisch-nationalistischen Terrorgruppe angehörte und sehr wahrscheinlich an der brutalen Exekutierung eines Verräters in den eigenen Reihen beteiligt war? Eile ist geboten und wie immer, wenn Vorgesetzte und eine blutleckende Journaille aufs Tempo drücken, tun sich erst einmal ein paar Wege auf, die ins Nirgendwo führen. Bis McRae in einem Seniorenheim auf den schwerkranken Alt-Nationalisten Gary Lochhead – genannt »Galic Gary« und in seinen besten Tagen vor nichts zurückschreckend, wenn es um die Freiheit für sein »von den Engländern geknechtetes« schottisches Heimatland ging –, dessen Begeisterung für megalithische Steinkreise und die Verachtung, die er gegenüber seinem Sohn Haiden empfindet, stößt.
Von da an entwirrt sich Stück für Stück ein irrwitziges Drama um Geschichte und Gegenwart, Alt-Nationalisten und ihre Kinder, überforderte Ordnungshüter und publicitysüchtige Fanatiker. Ein Fall, in dem die Wahrheit schließlich auf der Strecke bleibt, weil sie für niemanden mehr einen wirklichen Wert darstellt. Und so kommt es, dass am Ende des Romans eine seiner Figuren nüchtern resümieren kann: »Willkommen in der postfaktischen Welt, Inspector. Willkommen in der Welt der alternativen Fakten und der Verschwörungstheorien, der Echokammern und Filterblasen. Die Leute interessieren sich nicht mehr dafür, was wahr ist, sondern nur für das, was sie in ihren Überzeugungen bestärkt.« Dass das beileibe kein nur auf das heutige Schottland beschränktes Phänomen ist, sollte jeder nachvollziehen können, der die Pandemiejahre hierzulande nicht mit verschlossenen Augen und Ohren verbracht hat.
Titelangaben
Stuart MacBride: Die dunkle Spur des Blutes
Aus dem Englischen von Andreas Jäger
München: Goldmann Verlag 2022
542 Seiten, 12 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander
Reinschauen
| Leseprobe