Gesellschaft | Jürgen Wiebicke: Zehn Regeln für Demokratie-Retter
Das Buch ›Zehn Regeln für Demokratie-Retter‹ von Jürgen Wiebicke ist mit 112 Seiten nicht dick, aber sein Inhalt ist gewichtig. Denn das Buch geht ganz explizit auf die jüngsten politischen Verschiebungen ein und gibt Hinweise, wie man damit umgehen kann. Es zeigt: Moralische Empörung hilft nicht und führt eher zum Gegenteil, wie der Rechtsruck bei der letzten Bundestagswahl (2017) klar gemacht hat. Von BASTIAN BUCHTALECK
Der Ausgangspunkt für dieses Buchs war allerdings die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA und die zwingende Frage, wie dies in einer Demokratie geschehen konnte. Der Aufstieg der AfD stellt einen vor dieselbe Frage. Der Autor gibt auf diese Fragen kluge Antworten und er hat das Buch geschrieben, um den Sinn der kommenden Generation, »die ausbaden muss, was wir heute versäumen«, für die Demokratie, für das Wesen der Demokratie zu schärfen.
Die stets unfertige Demokratie
Die Demokratie ist aktuell gefährdet, weil sie so lange so gut funktioniert hat. Seit mehr als einer Generation wird die Demokratie von der Mehrheit der Gesellschaft als ein fertiges Haus wahrgenommen und man macht es sich darin bequem. Aber – so Wiebicke – Demokratie ist immer unfertig, an ihr muss immer gearbeitet werden. So wie in der Schule Mathematik, Grammatik und Photosynthese immer neu gelernt werden müssen, obwohl alle Antworten schon bekannt sind, so muss auch Demokratie immer wieder gelernt werden. »Wer die Vergangenheit nicht kennt«, so ein bekanntes Sprichwort, »ist gezwungen, sie zu wiederholen« (George Santayana). Für die Demokratie könnte man sagen: wer sie als gegeben annimmt, der ist drauf und dran, sie zu verlieren.
Hierbei sieht Wiebicke die Teilnahmslosigkeit vieler Menschen als das zentrale Problem. Aber es gibt auch noch das Gefühl der Ohnmacht des Einzelnen, Wiebicke spricht von »fehlender Selbstwirksamkeit«. Es ist das Gefühl, »Getrieben zu sein, statt selbst gestalten zu können«. Alles geht so schnell, man findet keine Zeit zum Nachdenken und was man auch tut, es scheint sich nichts zu verändern. Diese diffuse Gefühlslage der Machtlosigkeit kulminiert aktuell in einem Denkzettel für die etablierten Parteien und Medien, da deren schwache Führung zu dieser Situation führt. Hierbei ist festzuhalten, dass die hohe Zahl an Wählerstimmen für die AfD nicht zwingend zeigt, dass es viele Menschen gibt, die rechts denken, sondern dass es viele Menschen gibt, die sich eine Alternative zur etablierten Politik wünschen. Es ist mehr Vertrauenskrise und weniger rechtes Denken.
Dabei ist der Wunsch, die Demokratie zu retten gleichzeitig der Wunsch, diese Gesellschaft zu retten: »Denn bei allem, was an dieser Gesellschaft zu kritisieren ist: Eine bessere gab es historisch noch nicht.«
Was zur Rettung zu tun ist
Passivität öffnet nur Räume für die Demokratieverächter. Man muss aktiv werden, handeln – und zwar zuerst im Kleinen. Denn im Kleinen kann man die eigene Selbstwirksamkeit am Besten wieder entdecken. Dazu gehört, sich in der Nachbarschaft zu engagieren, gemeinsam den Stadtteil aufzuwerten, sich kennenlernen. »Liebe deine Stadt« ist also die erste und wichtigste der zehn Regeln. Die eigene Stadt oder den eigenen Stadtteil als Ausgangspunkt für Veränderung zu machen, hat verschiedene Vorteile.
Zuerst werden Erfolge schneller sichtbar, da die eigene Lebensqualität steigt und somit erlebt man sich anschließend als selbstwirksam. Einfach anfangen ist das Eine, sich ein Projekt in der richtigen Größe zu suchen das Andere. Entsprechend fordert das Buch im zweiten Kapitel: »Mache dir die Welt zum Dorf«. In diesem Kapitel geht es darum, »wie wichtig die Beziehungsebene für gelingendes Handeln ist«. Wenn sich etwas im eigenen Stadtteil ändern soll, dann geht das nur gemeinsam. Wiebicke geht sogar soweit, dass er sagt, die Beziehung sei zunächst wichtiger als das Projekt. Das Netzwerk muss tragfähig sein und erst dann soll man ein Problem angehen. »Lokale Demokratie benötigt, wenn sie von unten her erneuert werden soll, tragfähige Strukturen, um Phasen der Ermüdung überstehen zu können«.
Was zu vermeiden ist
Eine ganz andere Richtung schlägt das folgende Kapitel ein: »Bleibe gelassen im Umgang mit Demokratie-Verächtern«. Es bezieht sich direkt auf die AfD, kann aber generalisiert werden. Demokratieverächter ziehen ihre Energie daraus, dass sie von anderen beleidigt und verunglimpft werden. Erst das schweißt sie zu einer festen Gruppe zusammen. Darum solle man sich Gefühlswallungen verkneifen und Menschen mit wenig Achtung vor der Demokratie gelassen begegnen. Es gilt nicht zu beleidigen, sondern zu fragen, welche Alternative habt ihr zu bieten?
Dazu gehört, den Kontakt zu Menschen nicht zu verlieren, die nicht derselben Meinung sind (Kapitel 5). Hierbei dürfen existierende Probleme nicht verschwiegen werden, auch wenn sie wie z.B. die Flüchtlingsproblematik unangenehm sind, man muss sie zumindest ansprechen (Kapitel 6). Andernfalls überlässt man die Benennung der Probleme den Rechten und die benennen die Probleme dann auf ihre Weise.
Fazit
Alle zehn Regeln sind gut gewählt und begründet, aber es könnten auch nur acht Regeln sein oder auch zwölf. Es sind wohl zehn Regeln, weil es an die 10 Gebote der Bibel erinnert und auf einem Buchcover besser klingt. Aber das ist schon der einzige Punkt, an dem sich das sehr gelungene Buch anbiedert. Überall sonst wird faktenbasiert und leidenschaftlich argumentiert. Wenn das Buch ›Zehn Regeln für Demokratie-Retter‹ etwas deutlich macht, dann, dass die Demokratie nur mit Engagement gerettet werden kann. Denn – so ein alter politischer Kampfspruch – »Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren«. Alle, die sich nicht engagieren, haben also schon verloren. Wer die Demokratie retten will, der muss sich für sie einsetzen.
Letztlich kann das Buch ›Zehn Regeln für Demokratie-Retter‹ zwar nicht erklären, wie Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl hat gewinnen können. Aber es erklärt, wie wir hier vor unserer eigenen Haustür die Demokratie stärken können.
| BASTIAN BUCHTALECK
Titelangaben
Jürgen Wiebicke: Zehn Regeln für Demokratie-Retter
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2017
112 Seiten, 5.- Euro
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