Kinderbücher | T. Hussung: Der Brückentroll und die Zugbrückentrollwohngemeinschaft; M. Orths, K. Meyer: Der reichste Junge der Welt
Da hat man es sich endlich gemütlich gemacht und dann geschieht etwas, das alle Gemütlichkeit wegwischt. Wie soll man mit dem Schreck umgehen? Thomas Hussung und Markus Orths erzählen aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln, was im Leben wirklich zählt. Von MAGALI HEIẞLER
Thomas Hussungs Geschichte ist Fantasy, er erzählt vom Brückentroll. So ein Brückentrollleben ist etwas ganz Feines. Man hat einen Platz zum Wohnen, eine Arbeit, einen Freund. Dass der Freund richtig klug ist, macht das Ganze nur besser. Trolle selbst denken nicht gern nach. Noch weniger mögen sie es, wenn ein zweiter Troll aufkreuzt und auch bleiben will. Der Fremde muss wieder weg, ganz klar!
Der böse Plan hat jedoch einen Haken. Und der tut richtig weh!
Markus Orths erzählt keine Fantasy-Geschichte, sondern eine aus dem modernen Alltag. Jakob lebt bei seinem Vater in einem riesigen, neuen Haus. Zu groß sei es, findet Jakob. Aber das sagt er nicht, denn sein Vater ist sehr glücklich damit. Sein Vater ist auch glücklich mit dem Leben, das er neuerdings führt. Seit er einen wichtigen Architektur-Preis gewonnen hat, erhält er viele Aufträge und hat entsprechend viel zu tun. Leider kommt Jakob in dem schönen neuen Leben kaum vor.
Gut, dass es die Oma gibt. Sie kocht nicht nur prima, sondern ist auch immer für etwas Neues gut. Es scheint eigentlich nur logisch, dass sie Ayasha und ihren Sohn Bassam eingeladen hat, die neuerdings in der Turnhalle wohnen. Jakob findet beide nett, auch wenn Bassam nicht spricht und sich manchmal seltsam aufführt. »Traumatisiert«, erklärt Oma, was Jakob nicht recht versteht, aber ist es kein Grund, nicht mit Bassam zu spielen.
Am liebsten würde er mit seinem Vater spielen: Fußball. Fußball ist Jakobs große Leidenschaft. Vergangene Spiele, Mannschaftsaufstellungen, Spieler – Jakob kennt jeden Namen, jedes Tor, das je gefallen oder nicht gefallen ist.
Aber dann passiert’s. Als Papa und Jakob doch einmal gemeinsam weggefahren sind, stehen sie bei ihrer Rückkehr vor einem leeren Haus. Richtig leer. Einbrecher haben es ausgeräumt.
Der Umgang mit dem Fremden
Hussung erzählt das Aufeinanderprallen eines ortsansässigen und eines auswärtigen Trolls. Ohne Umschweife legt er die keineswegs unkomplizierten Gefühle dar, die man durchmacht, wenn man mit einem plötzlich aufgetauchten Fremden nicht zurechtkommt. Angst, Abwehr, Hilfsbereitschaft, Misstrauen, Freundlichkeit, Eifersucht, Freigebigkeit und Egoismus wirbeln chaotisch durch das Trollgemüt – bis hin zum schlechten Gewissen, das einer bösen Tat unweigerlich folgen muss. Die sehr junge Zielgruppe wird diese Gefühle nicht immer selbst benennen können. Was sich im Inneren des Trolls abspielt, ist aber so gut beschrieben, dass sie es bis ins Kleinste nachfühlen können.
Die Bedrohung entpuppt sich am Ende als die eigene Angst des Trolls vor Verlust und Veränderung. Er muss lernen, dass Veränderung auch ein Gewinn sein kann – und zwar für alle Beteiligten.
Durch gekonnte Sprachspielerei mit längeren, zusammengesetzten Begriffen und Variationen im Druckbild macht die Geschichte sowohl beim Zuhören als auch bei ersten Leseversuchen viel Spaß.
Bei Orths ist das Auftauchen von Fremden ebenfalls etwas, das das Gegebene verändert. Während Jakobs Großmutter und auch Jakob mit den Neuankömmlingen ohne größere Schwierigkeiten zurechtkommen, weiß Jakobs Vater nichts mit ihnen anzufangen. Er bleibt höflich, es wird aber deutlich, dass er sein Leben ungestört weiterleben will. Diese Ansicht ändert sich erst, als er auf einen Schlag verliert, was er an Materiellem besitzt. Die Bedrohung ist hier um so gefährlicher, weil sie völlig unerwartet eintritt.
Der Autor verliert kein Wort über die Brutalität, die ein solcher Raubzug für die Betroffenen darstellt, denn ein derartiger Eingriff ins Leben ist emotional nicht leicht zu verkraften. Der Fingerzeig in Richtung der Geflüchteten ist zart.
Orths verankert seine Lösung direkt im hiesigen Alltag. Jakob und sein Vater finden sich wieder und auch für Ayasha und Bassam sieht die Zukunft danach besser aus. Das ist zwar ziemlich rosarot gedacht, aber insgesamt ist die Aussage klar: Wenn man die Veränderung nicht nur als Verlust des Gegebenen betrachtet, kann sie als Gewinn für alle Beteiligten betrachtet werden. Und das trotz der Schmerzen, die sie einem zufügt.
Bilder überall
Orths lässt Jakob erzählen und die An- und Einsichten des Kleinen sind überzeugend. Wenn Ayasha und Bassam auftreten, rückt der pädagogische Zeigefinger immer wieder gefährlich nah. Jakobs unverblühmte Ehrlichkeit rettet die Geschichte jedoch jedes Mal.
Das Gebiet, aus dem Jakob seinen Maßstab zur Beschreibung als auch Deutung seiner Welt nimmt, ist Fußball. Es wird dabei nichts ausgelassen, was die Geschichte für Fußballfans besonders attraktiv und witzig werden lässt. Aber auch wer sich nicht auskennt, wird aufgeklärt. So ist Papas Preis natürlich die »Champions League«, sich an fremdartiges Essen zu gewöhnen erinnert an Lewandowskis Eingewöhnungszeit bei den Bayern und das Wunder von Bern kommt sowieso aufs Tapet.
Zu den sprachlichen Illustrationen gesellen sich wunderschöne, aufs Wesentliche reduzierte und eben deswegen ausdrucksstarke Illustrationen von Kerstin Meyer. Viele der im Text angerissenen Gefühle werden im Mienenspiel der Figuren und in der feinen Farbgebung lebendig. Lesen und Anschauen dieser aktuellen Vater-Sohn-Geschichte sind hier gleichermaßen ein Gewinn.
Hussungs Trollgeschichte ist dem Sujet entsprechend deftig illustriert. Trolle sind eben nicht niedlich. Bestechend sind die nächtlichen Szenen, der Umgang mit Schatten – den schwächeren wie den tiefen, und dem Spiel des Lichts. Vermeintlich schlicht sind die Bilder mit Raffinesse ausgeführt. Je genauer man sie betrachtet, desto mehr entdeckt man. Das gilt nicht nur für Details, sondern für die ganze Atmosphäre eines Trolllebens unter einer Brücke. Es ist ein wunderbarer Einblick in etwas Fremdes.
Beide Bücher kann man mit Genuss für das nehmen, was sie auf den ersten Blick bieten: spannende, märchenhaft wie aktuelle und für das junge Publikum gut erzählte Geschichten über den Umgang mit einer plötzlichen Veränderung im Leben. Man kann aber auch genauer hinlesen und dabei etwas über Wünsche und Wunschvorstellungen und den Zusammenprall mit der Realität erfahren. Oder über Zusammengehörigkeit, Zuneigung und Liebe. Eben über das, was wirklich wichtig ist für Menschen.
Titelangaben
Thomas Hussung: Der Brückentroll und die Zugbrückentrollwohngemeinschaft
Aachen: Edition Pastorplatz 2018
34 Seiten. 12,00 Euro
Kinderbuch ab 5 Jahren
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Markus Orths, Kerstin Meyer: Der reichste Junge der Welt
Frankfurt/Main: Moritz Verlag 2018
80 Seiten. 9,95 Euro
Kinderbuch ab 6 Jahren
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