Die Macht der Leisen

Kinderbuch | M. Lembcke, M.Neumann: Pardon Bonbons

Geschieht Unrecht, muss man einschreiten, am besten laut und deutlich. Sonst begreifen es die Bösen nicht. Richtig? Falsch. Es geht anders. Von MAGALI HEIẞLER

Kinderbuch: Pardon BonbonsEinen Süßwarenladen besitzen ist es etwas Feines, für den Besitzer wie für die Kundschaft. Herr Hoi, der als junger Mann aus Thailand gekommen ist, hat einen Süßwarenladen. Die Leute kaufen gern bei ihm, besonders die Kinder. Der Laden ist verlockend ausgestattet und Herr Hoi ist immer freundlich. Da kann man schon einmal den falschen Eindruck bekommen und glauben, dass Herr Hoi zu freundlich ist.

Das läßt sich ausnützen, denkt manch eine, die Süßes gern ohne Bezahlung genießen möchte. Gedacht, getan und nicht nur einmal.
Doch Herr Hoi hat seine eigenen Überzeugungen, eigene Erziehungsmethoden und vor allem viel Geduld.

Gegenmeinung

Lembcke erzählt ihre Geschichte schlicht. Die Handlung ist geradlinig, birgt aber ein beeindruckendes Spannungspotential allein schon durch die mehrfache Wiederholung der bösen Tat. Dazu gesellt sich die Charakterzeichnung der Hauptfigur, Herr Hoi, dessen Verhalten alles andere als so naiv ist, wie es zunächst den Anschein hat.

Dieser Anschein wiederum ergibt sich aus den Erwartungen der Leserin, die mit ganz anderen Verhaltensweisen rechnet. Die Verblüffung angesichts dessen, was Herr Hoi tut, empfinden nicht nur die kleinen Diebe und die kleine Betrügerin in der Geschichte, sondern zugleich alle, die die Geschichte lesen. Ehe man es sich versieht, stellt man die eigene Denkungsweise infrage.
Lembcke stellt das andere Weltbild konsequent in den Mittelpunkt und erzählt ihre Geschichte analog dazu. Das geschieht mit eben der Selbstverständlichkeit, die die größte Überzeugungskraft hat. Es gibt Einreden und Gegenreden, an denen man sich messen kann. Man kennt sie bestens, weil man eben diese Denkweise gewöhnt ist. Laut werden, das Böse ins Visier nehmen und am Kragen packen. Oder gleich zuschlagen. Nur so wird man fertig damit!

Hier jedoch wird die Frage gestellt, was denn »das« Böse ist. Herr Hoi macht seine Ansicht in nur wenigen Sätzen klar. Mehr wird auch nicht gebraucht, um den anderen Maßstab in den Mittelpunkt zu rücken. Schon sind die neuen Werte da. Aufmerksamkeit, Höflichkeit, Geduld sind die Mittel des Mahnens. Klar aussprechen, was falsch ist, kann man auch mit ruhigen Worten. Intelligenz gehört dazu und das Verständnis, das echte Einsicht in menschliches Verhalten hervorbringt. Auf der anderen Seite steht die Fähigkeit, begangenes Unrecht einzusehen und einzugestehen. Das ist ein Thema, das leider seltener geworden ist in den letzten Jahren.

Zart, sacht und doch Bodenhaftung

Die Kernaussage der Geschichte und die Illustrationen von Malin Neumann ergänzen sich perfekt in der Sache wie in der Grundaussage. Die große Welt ist recht grau und düster gestaltet. Herrn Hois Welt ist das kleine warme Licht. Es strahlt verhalten, zieht aber umgehend die Aufmerksamkeit auf sich. Das beginnt schon auf dem Vorsatz, drei Laternen leuchten sacht im Grau. Bunt sind die Süßigkeiten, verlockend einerseits, aber auch tröstend. Und sogar in der Süße verbirgt sich eine Botschaft. Ein Bonbon kann auf den Weg der Einsicht führen. Alles Helle und Bunte ist gleichsam magisch in dieser gemalten Geschichte, so wie die ruhigen Worte Herrn Hois verbunden mit seinen feinen Gesten in der Handlung geradezu magische Folgen haben. Und doch ist alles realistisch. Der Zauber besteht in der Fähigkeit von Menschen, umdenken, sich ändern zu können. Erkenntnisse zu gewinnen und sich zu entwickeln.

Neben der mit ebenso viel Verständnis wie Wärme ausgeführten Gestaltungen der Hintergründe und der Realia der Geschichte, bestechen vor allem die Gesichter und das Mienenspiel der Figuren. Freundlichkeit, stiller Vorwurf, Mahnung, Hoffnung, Durchtriebenheit, Spott, Herablassung, Besserwisserei, alles läßt sich im jeweiligen Gesichtsausdruck ablesen. Eine solche Vielfalt menschlicher Mimik bei allen auftretenden Figuren, auch den Nebenfiguren, sieht man selten in Büchern für kleine Kinder.

Die unterliegende Botschaft des Texts, nämlich dass man nicht von Vorannahmen über Menschen ausgehen soll, wird von der Illustratorin genauso ernst genommen wie von der Autorin. Die feine Charakterisierung, die zur Handlung gehört, findet sich auch im Zeichenstift. Das Layout tut ein Übriges, es gibt selbstverständlich noch eine Überraschung in der Handlungsentwicklung und das wird weidlich genützt.

Abbildung: Bohem Verlag
Abbildung: Bohem Verlag
Zusätzlich gibt es zeichnerisch noch so manche Zusatzinformationen zu Herrn Hoi, aber auch zu anderen Figuren zu entdecken. Dass die Bilder Appetit auf Süßes machen, versteht sich. Dass die ganze Gestaltung wie aus einer Traumwelt zu kommen scheint, entspricht nur der vertrauensvollen Überzeugung Herrn Hois, dass seine Herangehensweise die rechte ist. Kombiniert mit der realistischen Geschichte entwickelt die vermeintliche Illusion eine überzeugende Bodenhaftung in ihrer ganz anders gearteten Sicht auf die Dinge. Vorbildlich, nicht nur für das sehr junge Publikum.

| MAGALI HEIẞLER

Tietelangaben
Marjaleena Lembcke, Malin Neumann: Pardon Bonbons
Münster: Bohem Verlag, 2018
42 Seiten, 16,95 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
|Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

You Disco I Freak: New Single Reviews

Nächster Artikel

Wenn alles zweimal geschieht

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Rosarote Herzchen und Schmetterlinge im Bauch

Kinderbuch | Martin Baltscheit: L wie Liebe

»Was ist das eigentlich, die Liebe?«, fragt sich die kleine Anna. Und fängt an, darüber nachzudenken und zu philosophieren. Schnell merkt sie, dass die Liebe jede Menge Facetten hat. ANDREA WANNER hat sie auf ihrem Streifzug durch das, was Liebe sein kann, begleitet.

Tierische Freundschaft

Bilderbuch | Doreen Cronin: Brumm, Pieps und Glitschi

So schwer ist es gar nicht, zu erraten, wer wohl hinter den Namen Brumm, Pieps und Glitschi stecken mag: Richtig, ein Bär, ein Vogel und eine Schnecke. Was die drei für ganz junge Leser erleben, das beschreibt Doreen Cronin. Und wunderbar in Szene gesetzt hat es die Illustratorin Renata Liwska. BARBARA WEGMANN hat sich das kleine Bilderbuch angeschaut.

Schwere Versuchung

Kinderbuch | Dorit Linke: Fett Kohle Wer träumt nicht davon, auf einen Schlag viel Geld zu haben? Mit Geld lassen sich Probleme spielend lösen. Das ist allerdings auch ein Traum. Hat man unvermutet viel Geld in der Hand, fangen die Probleme erst richtig an. Niklas kann ein Lied davon singen. Von MAGALI HEIẞLER

Was dahinter steckt

Kinderbuch | Marcin Szczygielski: Hinter der blauen Tür Verschlossene Türen zu öffnen, ist unwiderstehlich. Manchmal muss man nur die Klinke hinunterdrücken, ein anderes Mal einen Schlüssel im Schloss drehen. Dann gibt es noch die besonderen Türen, die sich öffnen, wenn man ein bestimmtes Wort sagt. Oder auf eine bestimmte Weise klopft. Marcin Szczygielskis kleiner Held klopft. Was hinter dem Klopfen und hinter der Tür steckt, ist rundum unerwartet und verblüfft nicht nur Kinder. Von MAGALI HEISSLER

Ungeahnte Freiräume

Kinderbuch | Marc-Uwe Kling: Der Tag, an dem die Oma das Internet kaputt gemacht hat Das Internet, so meinen manche, hat durch seinen grundsätzlichen Wandel unseres Kommunikationsverhaltens und der Mediennutzung zu einer Veränderung in der Gesellschaft geführt, die mit der Erfindung des Buchdrucks verglichen werden kann. Was, wenn es nicht funktioniert. Von ANDREA WANNER