Was wirklich zählt…

Jugendbuch | Julie Murphy: Dumplin’

Dick aber selbstbewusst? Übergewichtig aber glücklich? Über ein spannendes Thema für ein Jugendbuch freute sich ANDREA WANNER und war neugierig auf den ›New York Times‹-Bestseller.

Julie Murphy: DumplinWenn die eigene Mutter einstmals Schönheitskönigin war, hat man es als dralle Tochter nicht leicht. Und wenn die eigene Mutter als Organisatorin des immer noch existierenden Schönheitswettbewerbs jährlich die Mädchenherzen höher schlagen lässt, wird das Ganze nicht einfacher. Genau in dieser Situation steckt die 16jährige Willowdean. Ihre Mutter nennt sie »Dumplin’«, was man mit »Pummelchen« übersetzen könnte. Nachdem aber Dumplings schlicht Knödel sind, könnte man auch weniger nette Worte dafür finden.

Will, wie ihre Freunde sie nennen, kann angeblich selbstbewusst damit umgehen. Meisten. Schwieriger wird es, wenn der gutaussehende Bo (klar, Nomen est Omen), ehemaliger Privatschüler und Sporttalent, sich für sie interessiert. Irgendwie schafft sie es dann doch nicht so hundertprozentig, zu ihrem Körper und den Speckröllchen zu stehen. Was ist die Lösung? Sie meldet sich für genau den Schönheitswettbewerb an, den sie schon immer das Allerletzte fand. Es soll eine Art Botschaft an die Welt werden: Auch dicke Mädchen haben es verdient, groß rauszukommen. Dem schließen sich schnell weitere Mädchen an, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen.

Okay, Julie Murphy kann durchaus schreiben. Ihr Stil ist ebenso witzig wie flüssig, die Gedanken, die sie der Ich-Erzählerin in den Mund legt, kommen authentisch daher, beschönigen nicht und sind teilweise sehr erfrischend. Die Botschaft, dass jede auf ihre ganz eigene Weise schön ist und dass es auf das Aussehen letztlich gar nicht ankommt, wäre durchaus eine, über die junge Leserinnen nachdenken könnten. Was das Buch vermittelt, ist schlicht das Gegenteil. Das behauptete Selbstbewusstsein von Willowdean ist so dürftig, dass es stellenweise fast schon wehtut. Wenn sie Bo nicht traut und nicht glaubt, dass es wirklich sie meint, ist ihr heimliches Rumgeknutsche mit ihm schlicht traurig. Letztlich dreht sich alles auf diesen knapp 400 Seiten um Gewicht und Aussehen. Dafür, dass beides keine Rolle spielen soll, ganz schön umfangreich.

Will ist Dolly-Parton-Fan. Auch das ist originell geschildert. Wenn man aber daran denkt, dass sich die US-amerikanische Country-Sängerin seit ihrem 22. Lebensjahr unzähligen Schönheitsoperationen unterzogen hat – und das bis heute tut –, darf man wieder irritiert sein. Warum reicht es einer nicht, wenn sie singen, Songs schreiben und schauspielern kann. Geht es denn immer nur darum, wie eine aussieht?

In diesem Buch ja. Das Zitat aus dem Buch auf dem Cover hatte Hoffnung gemacht: »Badeanzüge haben so etwas an sich, das einen denken lässt, man müsste sich erst das Recht verdienen, sie zu tragen. Aber eigentlich ist doch die entscheidende Frage: Hast du einen Körper? Dann zieh ihm einen Badeanzug an.« Irgendwie geht diese Botschaft im Laufe des Buches verloren. Leider.

| ANDREA WANNER

Julie Murphy: Dumplin’. Go big or go home
(Dumplin’, 2015). Aus dem amerikanischen Englisch von Kattrin Stier
Frankfurt am Main: Fischer 2018
394 Seiten, 18,99 Euro
Jugendbuch ab 13 Jahren

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Das Fremde verstehen, mal wieder

Nächster Artikel

Psychoanalyse einer Gesellschaftsarchitektur

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Der Wunsch nach Normalität

Jugendbuch | Rindert Kromhout: Anders als wir Ein kleines Mädchen hat einen besonderen Wunsch: Sie möchte in einer ganz normalen Familie leben. Wenn man Angelica Bell heißt, wird das schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Von ANDREA WANNER

Keine Rettung in Sicht

Jugendbuch | Lindsay Galvin: Abgründige Geheimnisse Zwei Schwestern, Aster und Poppy, sind nach dem Tod ihrer Mutter auf dem Weg nach Neuseeland. Dort sollen die beiden bei ihrer Tante, einer renommierten Krebsmedizinerin, leben. Was ein neuer Anfang sein könnte, wird zum Alptraum. Von ANDREA WANNER

Bequeme Lösung

Jugendbuch | Carrie Mac: 100 schlimme Dinge, die mir bestimmt passieren Ängste kennen wir alle. Überstarke Ängste, häufig und lähmend, sind eine Krankheit, die den Betroffenen großes Leid bringt. Das kann man zum Thema eines Romans machen. Was man nicht tun sollte, ist, sich am Ende für die bequeme Lösung zu entscheiden. Von MAGALI HEIẞLER

Der Igel ermittelt wieder

Jean-Claude Mourlevat: Jefferson tut, was er kann

2020 erschien ›Jefferson‹, die erste Geschichte in der der junge Igel in einem Mordfall, bei dem sein Friseur ums Leben kam, ermitteln musste. Schließlich ging es darum, die eigene Unschuld zu beweisen. Jetzt hat Jefferson einen neuen Fall, freut sich ANDREA WANNER.

Alles unter Kontrolle?

Jugendbuch | Jenny Jägerfeld: Der Schmerz, die Zukunft, meine Irrtümer und ich Erwachsenwerden ist eine Herausforderung und es ist oft nicht leicht, zu erkennen, wo die eigenen Probleme aufhören und die der Erwachsenen anfangen. Die 17jährige Maja sucht und findet ihren eigenen Weg. Von ANDREA WANNER