Kinderbuch | Samantha Wheeler: Wombat Warriors
Wenn ein sehr schüchternes Kind unerwartet und ohne Eltern aufs Land ziehen muss, sind Abenteuer vorprogrammiert. Ganz besonders dann, wenn man gar keine Abenteuer erleben will. Doch ehe man es sich versieht, soll man kein ausgesetztes schüchternes Kind, sondern Heldin sein. Ob Maus das schafft? Von MAGALI HEIẞLER
Minnie, genannt Maus, ist zum Heulen zumute. Natürlich versteht sie, dass die Eltern nach dem Tod der Großmutter nach Irland fliegen müssen, um alles zu regeln. Dass sie sie nicht mitnehmen, ist trotzdem hart. Sie überdies aus Brisbane in den ländlichen Süden Australiens zu schicken, im Winter noch dazu, ist zu viel. Maus hat Tante Evie seit Jahren nicht mehr gesehen, sie kennt die Gegend nicht und allein beim Gedanken in eine fremde Schule zu gehen, wird ihr übel vor Angst.
Dann trifft sie Miss Pearl. Miss Pearl ist warm, weich, verspielt und verfressen. Das ist lustig und wunderschön, leider auch ein Problem. Miss Pearl ist nämlich ein Wombat und Wombats sind in der Schafzüchtergegend nicht gern gesehen. Ausgerechnet die Mutter von Harry, dem neuen Freund von Maus, verfolgt Wombats unerbittlich. Miss Pearl muss beschützt werden! Wie es so geht, bleibt Miss Pearl nicht der einzige Wombat, der Schutz braucht. Maus steht vor einer sehr großen Aufgabe.
Die Stärke der Schwachen
Man kann diskutieren, wer die eigentlichen Heldinnen und Helden der Geschichte sind. Keine Frage ist es, dass Wheelers kleine Minnie so überzeugend gestaltet ist, dass sie nicht nur im Gedächtnis bleibt, sondern einer nach zwei Sätzen schon ans Herz gewachsen ist. Maus ist ein zartes Ding, sie spricht ganz leise und am liebsten spricht sie Sätze nicht zu Ende. Wozu auch, das tun ihre Eltern für sie. Sehr viel mehr schreibt Wheeler nicht, sie malt auch Minnies Schwächen nicht lange aus. Sie nennt sie kurz und präzise und macht damit auf wenigen Seiten klar, woher Minnies Probleme rühren.
Der energischen und etwas exzentrischen Tante Evie fällt die Aufgabe zu, Maus schleunigst dazu zu bringen, ordentlich zu sprechen und deutlich ihre Wünsche zu äußern. Wie schwer das ist, wird jedes auch nur ein bisschen schüchterne Kind wissen und sich umgehend in Maus wiederfinden. Selbstbewusste Menschen können sich nicht vorstellen, welche Ängste etwa ein Fußweg zu einer fremden Haustür auslösen kann, von einer Begegnung mit wildfremden Menschen gar nicht anzufangen.
Ihre Zartheit und Schüchternheit haben Maus aber auch aufmerksam gemacht für die Sorgen anderer. Sie merkt, wenn etwas nicht stimmt. Wheeler zeigt sehr schön, wie auch Schüchterne lernen können, ihr Mitgefühl zu zeigen und entsprechend zu handeln. Über weite Strecken macht die Geschichte vor allem Mut, sich einzusetzen, auch für sich selbst. Es stellt sich zudem heraus, dass oft die eigenen Ängste ein Gegenüber schlimmer machen, als es die oder der Betreffende ist. Die laute Dakota z.B., ein Mädchen aus Maus’ Klasse, meint es nicht so böse, wie ihre forsche Art bei Maus ankommt. Im Gegenteil erweist sie sich als hilfreich und praktisch denkend. Man merke: Als schüchternes Kind schadet es nicht, auch einmal einen Rat von Lauten anzunehmen. Nicht nur Maus ändert sich. Tante Evies Selbstherrlichkeit bekommt einen Dämpfer und Maus’ bedauernswerte Eltern müssen die Erfahrung machen, dass es für Minnie etwas gibt, das wichtiger ist als sie. Zumindest vorübergehend.
Wheelers Beschreibung von Maus’ Weg zu mehr Selbstbewusstsein und Stärke ist ein erfüllendes Leseerlebnis in zweifacher Hinsicht. Sie lässt Minnie nicht nur reifen, sondern sich bewähren, und zwar als Teil einer Gruppe. Es ist keine individuelle Heldinnengeschichte, es geht um Sozialverhalten und Verantwortung.
Wombatologie
Zu ihren Aufgaben an der neuen Schule gehört es, dass Maus ein eigenes Projekt gestaltet. Welches Thema sie auch wählt, der Name des Projekts muss auf -ologie enden. So kommt Wheeler elegant zum zweiten Schwerpunkt des Buchs und deutlich zu etwas, was ihr ungemein am Herzen liegt. Sie kennt sich mit Wombats und deren Lebensräumen so gut aus, dass sie eine Fülle von Informationen in die Handlung einflechten kann, ohne dass die Spannung nachlässt. Am Ende des Buchs gibt es zudem ein kleines Lexikon mit noch mehr Wissenswertem über Wombats. Selten ist ein Sachthema in einem Kinderbuch derart gründlich abgearbeitet worden, mit einer so gelungenen Mischung aus Lustigem, Rätselhaftem, Traurigem, Verwickeltem, vor allem aber mit solcher Liebe zum Gegenstand.
Zum Gelingen tragen die Zeichnungen von Barbara Korthues bei, die gerade den Wombats das richtige Maß an Putzigkeit verpasst, ohne ins Niedliche abzurutschen. Die Geschichte ist großzügig illustriert, halbseitig, über die gesamte Kopfzeile von zwei Seiten, mit kleinen Porträts und Vignetten von Tier und Mensch. Landschaftsbilder, verdrahtete Wombatlöcher, Wombattunnel, tote Wombats, Sturm und Regen, alles findet sich im Bild. Der Abdruck einer Wombatpfote schmückt jede Kapitelnummer, eine uralte Spielerei, die jedes Mal aufs Neue Spaß macht.
Bild und Text sind darüber hinaus raffiniert verflochten, weil Maus gern und gut zeichnet. Tatsächlich trägt zur Wombatrettung Kunst in hohem Maß bei. Beim Lesen und Anschauen der Geschichte kann man sich leicht vorstellen, dass es Maus selbst war, die die Bilder gezeichnet hat, so, wie die Erzählstimme der Autorin sich hinter Minnies Ich-Erzählung verbirgt. Das gibt dem Ganzen zusätzlich etwas Besonderes.
Die Übersetzung von Rusalka Reh verleiht der klaren Sprache des Originals den treffenden Tonfall auch im Deutschen. Informationen über Wombats sind an keiner Stelle unzulässig vereinfacht, auch Komplexeres kommt zur Sprache. Wheeler kann ausgezeichnet erklären. Etwas problematisch könnte die wörtliche Übersetzung des Worts »gypsy« gleich auf der ersten Seite werden. Da müssen sich Erwachsene eben etwas einfallen lassen, falls Kinder den Ausdruck und die dazugehörige billig romantisierende Beschreibung Tante Evies übernehmen.
Diese sehr gut gemachte Geschichte über Minnie ala Maus und Tierschutz sollte man sich nicht entgehen lassen.
Titelangaben
Samantha Wheeler: Wombat Warriors
(Wombat Warriors, 2017). Übersetzt von Rusalka Reh
Reinbeck: Rowohlt Taschenbuch 2018
223 Seiten. 12,99 Euro
Kinderbuch ab 9 Jahren
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