Jugendbuch | Rebecca Westcott: Fünf Dinge, die dir niemand verrät (außer Martha)
Wenn Eltern sich trennen, ändert sich das Leben der Kinder grundlegend. Egal, wie bemüht alle sind, es tut weh, dass nichts mehr ist, wie es war. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten damit umzugehen, Fehler und Umwege gehören dazu. Von ANDREA WANNER
Für Erin ist es eine Katastrophe, die das Leben in ein »Vor« und ein »Nach« der Trennung zerfallen lässt. Sie ist bei ihrem Vater geblieben. Nicht, weil sie sich für ihn oder gegen ihre Mutter entschieden hat, sondern für Picasso, den Hund der Familie.
Noch zählt Erin die Tage, die seit dem Auszug der Mutter (die eine neue Familie hat) vergangen sind. Lange ist es noch nicht her, Tag 37, aber das Leben hat schon eine gewisse Normalität wiedergewonnen. Der Sommer und damit die Ferien stehen vor der Tür und die gemeinsamen Aktionen mit ihren Freundinnen Nat und Lauren versprechen Ablenkung von dem tristen Ohne-Mom-Alltag.
Vorher allerdings will sich Erin noch irgendwie an den Eltern rächen – und begeht eine Dummheit. Die Folgen sind für sie ein einziger Alptraum: Sie muss in den Ferien ihren Vater zu seiner Arbeit begleiten. Er ist Gärtner in einem Altersheim und Erin findet nichts schrecklicher als alte Menschen. Zu spät. Es ist entschieden, wie ihr Sommer aussehen wird.
Natürlich kommt alles ganz anders. Die Begegnung mit zwei Menschen ändert den Sommer, ändert die Haltung der Heranwachsenden. Zum einen ist da Lucas, ein ausgesprochen süßer Junge mit Strubbelhaaren, der dort seinen Großvater besucht. Und zum anderen Martha, eine schlecht gelaunte, nörgelnde Alte, die ständig gegen die Regeln verstößt. Die junge Erin und die alte Martha sind sich dabei gar nicht so unähnlich. Und der Sommer wird alles, nur nicht langweilig.
Rebecca Westcott hat sich für Erins Erinnerungen an diesen Sommer etwas Besonderes ausgedacht. Es ist die Aufgabe der Kunstlehrerin, ein Projekt, in dem sich die Schülerinnen und Schüler selbst Kunstwerke aussuchen und ihre Meinung darüber zu Papier bringen sollen. Nur das erste Kunstwerk ist vorgegeben: die Skulptur Family Group von Henry Moore. Ausgerechnet eine Mutter-Vater-Kind-Szene, die Erin sich in einer moderneren Variante ganz anders vorstellt.
Erins Auswahl wird zu einem abwechslungsreichen Gang durch die Kunstgeschichte und einer Innensicht ihrer Situation. Der Schrei, Skrik, von Edward Munch, Forêt et colombe von Max Ernst, Landscape From a Dream von Paul Nash, Waterfall von Arshile Cork oder I’m Too Sad to Tell You, einem Selbstporträt von Bas Jan Ader.
Es ist ein schmerzhafter Prozess, die Veränderungen im Leben zu akzeptieren. Vor allem zu merken, dass sich das Leben ständig ändert, dass nichts bleibt, wie es war. Erin lernt, nicht nur auf sich zu schauen. Sie fängt an zu begreifen, dass es auch andere nicht immer leicht haben. Dass auch ihr Vater unter der Trennung leidet. Und ihre Mutter, obwohl sie die Familie verlassen hat. Und sie lernt von Martha, dieser zornigen alten Frau, die mit vielem hadert, aber auch vieles in ihrem Leben richtig gemacht hat.
Einen zwölfjährigen Teenager über das nachdenken zu lassen, was im Leben wirklich zählt, ist eine Herausforderung. Mit Hilfe von Martha und der Kunst gelingt das tatsächlich.
Titelangaben
Rebecca Westcott: Fünf Dinge, die dir niemand verrät (außer Martha)
(Five Things They Never Told Me, 2015) Aus dem Englischen von Barbara Lehner
München: dtv 2018
238 Seiten 14,95 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
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