Alles kann man drehen, selbst wenn’s eckig ist

Kinderbuch | Werner Holzwarth: Der kleine Käfer Skarabäus

Immer dasselbe, jede Stunde, jeden Tag, jede Woche. Immer runde Pillen. Wie langweilig. Aber dann hat der Pillendreher Skarabäus endgültig die Schnauze voll. Und macht auf einmal etwas, das sich gar nicht gehört. Und das hat GEORG PATZER sehr gefallen.

Käfer SkarabäusEin geduldiges Tierchen ist er: Stunde für Stunde, Tag für Tag dreht er seine Pillen, Woche für Woche, Monat für Monat. Das ist seine Aufgabe. Skarabäus ist ein Pillendreher, und er ist, wie alle anderen Pillendreher auch, fleißig bei seiner Arbeit. »Rollte sie bergauf und bergab. Nach links und nach rechts. Bis sie wunderbar groß und absolut kugelrund waren.« Ein Perfektionist eben. Wie alle anderen auch.

Aber dann passiert es. Grade dreht er wieder eine Pille den Weg hinunter, anfangs noch gut gelaunt und freudig, sieht, wie seine Nachbarin das gleiche macht, und dann wird es ihm auf einmal langweilig. Erst lässt er entmutigt und frustriert den Kopf hängen und trottet davon, dann aber stellt er forsch seine Fühler auf, verschränkt die Arme vor seinem runden Pillendreherkörper und grummelt: »Ich drehe jetzt – was Eckiges.« Gesagt, getan. Sofort stürzen die anderen Pillendreher auf ihn zu und schreien. Nur Kugeln gelten, nicht irgendwas Eckiges! »Sonst würden sie ja Eckendreher heißen«, knurrt ein älteres Pillendrehermännchen. »… oder Würfeldreher«. Nein, das geht nicht. Das haben wir immer schon so gemacht, das haben wir noch nie so gemacht, da könnte ja jeder kommen.

Aber Skarabäus interessiert das nicht. Zufrieden grinst er und antwortet: »Gute Idee«, und dreht einen Würfel. Und als ihn ein Pillendrehermädchen anlächelt und meint: »Oder Herzchendreher«, dreht er auch das und schenkt es ihr. Das sehen die anderen und denken: Das kann ich auch. Und haben plötzlich Tausende Ideen: Nudeldreher, Würstchendreher, Kissendreher, Igeldreher. Und dann geht mit ihnen die Phantasie durch: Hüte, Brezeln, Männchen, Matten, Sitzkissen, Räder … alles wird gedreht und verziert … Häschen, Kuchen, Sessel, Skateboards, Schleppen … alles, alles, alles.

Werner Holzwarth, der berühmte Erfinder des Maulwurfs, der wissen will, wer ihm auf den Kopf gemacht hat, hat ein neues Bilderbuch geschrieben, das einmal ganz ohne Fäkalien auskommt. Seine manchmal drastische Sprache, für die er auch bekannt ist, hat ihm schon viel Schelte von besorgten Eltern eingebracht, die ein bisschen mehr etepetete sind als er (»Scheiße sagt man nicht«) – zwei seiner letzten Streiche waren der kotzende Dackel in ›Mag ich! Gar nicht!‹ und das Liederbuch ›Leise pieselt das Reh‹.

›Der kleine Käfer Skarabäus‹ ist dagegen auch für politisch überkorrekte Mütter und Lehrerinnen geeignet, es ist eine süße, kleine Geschichte über die Macht der Phantasie und wie sie das Leben bereichert. Das ist nichts Neues, aber wie Holzwarth es erzählt, hat es einen besonderen Charme. Weil sich der kleine Skarabäus nicht erst durch Widerstände winden muss, sondern sein einfaches Beispiel fast sofort die anderen ansteckt. Und weil zum Schluss ein anderer Pillendreher auf die Idee kommt, eine runde Pille zu drehen, »wunderbar groß und kugelrund« – damit man schön Fußball spielen kann.

Auch die Illustrationen von Sabine Kranz tragen dazu bei, dass das Bilderbuch eine rundum (oder eckig) gelungene Sache ist: Überschäumend von Einfällen zeichnet sie die Wiesen und Wege, die eifrigen Pillendreher mit ihren Fühlern und durchsichtigen Flügelchen, treffend charakterisiert sie die erstaunten, erbosten, glücklichen Gesichter der kleinen Tiere, die sich einmal so richtig auslassen können, statt immer dieselben langweiligen runden Pillen zu drehen. In kräftigen Farben, mit direktem Strich und vielen kleinen witzigen Einzelheiten am Rand erschafft sie eine kleine Welt für sich, die einfach Spaß macht. Und das ist ja bei Pädagogik immer noch die Hauptsache.

| GEORG PATZER

Titelangaben
Werner Holzwarth: Der kleine Käfer Skarabäus
Stuttgart: Thienemann Verlag 2018
32 Seiten. 14,99 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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