/

Erfolge, Teilerfolge

Gesellschaft | Lisa Vollmer: Strategien gegen Gentrifizierung

Gentrifizierung ist der Bevölkerung mittlerweile teils aus eigenem Erleben, teils aus der medialen Information bekannt geworden, es geht um die Verdrängung von Mitbürgern aus städtischen Regionen, in denen sie die erhöhten Mietforderungen nicht länger zahlen können. Das löst weitreichende soziale Umschichtungen und Konflikte aus. Von WOLF SENFF

GentrifizierungAufgrund der neoliberalen Durchdringung auch der Kommunalpolitik werde das Wohnen als Grundbedürfnis politisch schlichtweg nicht wahrgenommen, der Staat habe das Wohnen als staatliche Aufgabe nur zu gern abgegeben und sein Wohneigentum an Finanzmarktakteure wie Vonovia (NordrheinWestfalen, 350.000 Wohnungen) oder Deutsche Wohnen (Berlin, 150.000 Wohnungen) verscherbelt.

Wohnen ist Politik

Gentrifizierung, so Lisa Vollmer, spiegele den Konflikt zwischen der sozialen Funktion des Wohnens und seiner Instrumentalisierung für die »Wohnungswirtschaft«, also seine ökonomische Bedeutung. Hier greife eine kapitalistische Ökonomie, die auch im Bauen und Wohnen ihre zyklischen Krisen, ›Immobilienblasen‹, produziere. Die Sorge um das Wohnen sei jedoch als Bevölkerungspolitik zu begreifen und verlange eine politische Antwort.

Gentrifizierung erkläre sich sowohl aus Angebot (Gallus in Frankfurt/Main, Hamburg-Wilhelmsburg) wie aus Nachfrage nach Wohnraum (Städtetourismus AirBnB Berlin). Zwar sei die Wohnungsnot unter kapitalistischen Rahmenbedingungen, die Wohnung als eine Ware definieren, nicht zu lösen, doch Vollmer sieht Möglichkeiten, den Wohnungsmarkt mit politischen Instrumenten zu regulieren.

Profitorientierte Logik

Unmissverständlich sei das Vorgehen der Kommunalpolitik etwa in Freiburg, wo privaten Grundeigentümern einer bestimmten Größenordnung, anstatt ihnen eine Baugenehmigung zu erteilen, angeboten werde, die Grundstücke zum Verkehrswert zu kaufen. Auf diese Weise werde der Wohnungsbau der Profitorientierung des Marktes entzogen und in kommunale Verfügung gestellt.

Das Ziel müsse sein, die Privatisierung und die Renditeorientierung von Wohnungspolitik zu verhindern, die private Wohnungswirtschaft dürfe vom Staat nicht länger als Partner begriffen werden, sondern deren profitorientierte Logik müsse von der Bereitstellung des Grundbedürfnisses Wohnen ausgeschlossen sein.

Klassenkampf von oben

Lisa Vollmer verweist auf zahlreiche Mieterinitiativen, die sich dagegen wehren, die von ihnen geschaffene nachbarschaftliche Lebensqualität für ökonomische Verwertungsinteressen opfern zu müssen, und sie weist darauf hin, dass sogar das Ziel einer ›sozialen Mischung‹ bestimmter Wohnviertel letztlich auf Gentrifizierung ziele; denn wer hätte vernommen, dass für feinere Viertel wie Pöseldorf/Hamburg oder Wilmersdorf/Berlin eine ›soziale Mischung‹ gefordert würde?

Letztlich verberge hinter der ›sozialen Mischung‹ die Absicht, ärmere Haushalte zu verdrängen – es sei das alte Spiel: Klassenkampf von oben. Vollmer verweist auf heftige Konflikte um die Kreuzberger Mieterinitiativen ›Kotti & Co.‹, ›Bizim Kiez‹ und ›Stadt von unten‹, die gegen hochpreisigen Neubau protestieren, der einer vermeintlich ›sozialen Mischung‹ diene.

Krösusse auf der Durchreise

Sie macht darauf aufmerksam, dass Gentrifizierung ein internationaler Prozess sei, und rührt damit an einen besonders empfindlichen Nerv der internationalen Geldsammler-Society. Eine Hamburger Initiative, den örtlichen Wohnbesitz öffentlich zu machen, wurde unlängst schroff abgelehnt. Eine Hand, Sie wissen schon, hackt der anderen kein Auge aus.

Dabei wäre doch aufschlussreich, zu wissen, wie viel Wohneigentum etwa in der Hafencity als Zweit- oder Drittwohnsitz dient oder als Asyl, sofern es den Krösussen angesichts des kollabierenden Klimas in der Heimat zu heiß wird, zu stürmisch, zu feucht. Das Interesse der hier ansässigen Bürger, eine derartige Klientel zu beherbergen, tendiert vermutlich gen null. Das dürfte ebenso für andere Städte gelten, deren Wohnungsangebot knapp ist, und das sind nicht wenige. Und übrigens, Politik – gibt’s dich noch?

Selbstbestimmung und Partizipation

Lisa Vollmer schildert Erfolge von Selbstbestimmung und Partizipation in den Auseinandersetzungen um das Gängeviertel/Hamburg, um das Kulturcampus Frankfurt-Bockenheim, das Tempelhofer Feld Berlin, die Mietenvolksentscheidinitiative Berlin, die Planbude St. Pauli u. a. – es sind Erfolge oder Teilerfolge, die in den Presseorganen des Mainstreams wenig Gehör finden.

Sie legt eine informative und sorgfältige Untersuchung vor, deren Lesbarkeit durch gegenderte Sprache beeinträchtigt ist. Sich gruppen- oder geschlechtsspezifische Sonderregeln auszudenken, das ist bestenfalls noch naiv. Auch die föderale Kultusbürokratie versuchte sich ja darin, mit einer Rechtschreibreform an der Muttersprache herumzudoktern, die erbärmlichen Ergebnisse sind bekannt. Und nicht zuletzt die Lektüre von George Orwells 1984 und Victor Klemperers LTI sollte Anlass sein, von diesen und ähnlichen Verschlimmbesserungen der Sprache abzusehen.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Lisa Vollmer: Strategien gegen Gentrifizierung
Stuttgart: Schmetterling 2018
168 Seiten, 12 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Eine gealterte Justice League

Nächster Artikel

Buntes Chaos in Berlin

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Revolutionäre des 20. Jahrhunderts

Kulturbuch | Felix Wemheuer: Linke und Gewalt Gewaltdiskussion? Hat das nicht so’n Bart? Die Welt steckt voller Gewalttätigkeit. »Der reißende Strom wird gewalttätig genannt / Aber das Flußbett, das ihn einengt / Nennt keiner gewalttätig.« (Bertolt Brecht). Ist damit alles gesagt? Nicht? »Nichts auf Erden ist so weich und schwach / Wie das Wasser. / Dennoch im Angriff auf das Feste und Starke / Wird es durch nichts besiegt.« (Lao-tse) Auch nicht? Hm. Von WOLF SENFF

Verpuffter Aktivismus

Gesellschaft | Jan Philipp Albrecht: Finger weg von unseren Daten Der grüne EU-Parlamentarier Jan Philip Albrecht hat ein Plädoyer für mehr Datentransparenz geschrieben. Herausgekommen ist ein Buch, das an den parlamentarischen Strukturen scheitert. Von JAN FISCHER

Ein aufschlussreicher Blickwinkel

Gesellschaft | Joseph Vogl: Der Souveränitätseffekt Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015 Exakt, gelegentlich fehlen uns die Worte. Immer häufiger fehlen sie uns, die richtigen Worte. Joseph Vogl, jener Literaturwissenschaftler, der im Jahr 2010 mit seinem ›Gespenst des Kapitals‹ erfolgreich war und von dem wir annehmen, dass gerade er weder Ökonomielatein noch Politiksprech formuliert, spricht im Kontext der Finanzkrise lapidar von einem »Staatsstreich« und einem neuen »finanz-ökonomischen Regime«. Von WOLF SENFF

Rufer in der Wüste

Kulturbuch | Remo H. Largo: Wer bestimmt den Lernerfolg: Kind, Schule, Gesellschaft? Remo Largo, seines Zeichens renommierter Professor für Kinderheilkunde und Autor so bekannter Bücher wie Babyjahre, Schülerjahre und Jugendjahre hat eine Flugschrift herausgebracht. In Wer bestimmt den Lernerfolg hält er uns Eltern den Spiegel vor und plädiert einmal mehr für einen realistischen, liebevollen Umgang mit unseren Kindern. VIOLA STOCKER ließ sich gerne überzeugen.

Öffentliche Debatte! Bitte!

Gesellschaft | Geraldine Edel: Ideologie der Technologie Die Materie ist vielschichtig, und jeder tut sich schwer, den ökonomischen und gesellschaftlichen Beitrag der Internettechnologie einzuschätzen. Gewinn? Für wen? Für unsere heißgeliebten Teenies, die ihre Smartphones gern aus dem Säckel der Eltern begleichen und ihre Wochenenden in den ›sozialen‹ Medien verpulvern? Von WOLF SENFF