Gesellschaft | H.Flassbeck, P.Steinhardt: Gescheiterte Globalisierung
Nach einer Einleitung, die kluge Fragen stellt und den Problemhorizont ausrollt, wird unmissverständlich Stellung bezogen, und das ist äußerst wohltuend. Bei der Gemengelage, die ökonomisch unters Volk gebracht wird, ist es erleichternd, wenn reiner Tisch gemacht wird. Von WOLF SENFF
Seit längerer Zeit schon wird um die Deutungshoheit in der Ökonomie gestritten, in diversen Publikationen – von Joseph Vogl, dem Amerikaner Michael Hudson oder der Wirtschaftsjournalistin Ulrike Hermann – wird über die Lehre an den Universitäten geklagt, die sich wie eine Wagenburg gegen kritische Anfechtungen aufstelle bzw. diese ignoriere, und jene abgeschotteten Elfenbeintürme sind ja als erste gefragt, wenn es um ›Wirtschaftsweise‹ geht, um Politikberatung.
Das Mysterium Markt
Der »vollkommene Markt« der neoklassischen Ökonomie sei ein normatives Gebilde, an dem wider alle Argumente sowohl die universitäre Lehre wie auch die Politik unbeirrt festhalte, vor wenigen Tagen erst outete sich der Vorsitzendenkandidat der CDU, Friedrich Merz, als ordoliberal, brav im Gefolge Wolfgang Schäubles. Flassbeck und Steinhardt zeigen die Unzulänglichkeiten der marktradikalen Position, und auch die Rede vom »Arbeitsmarkt« – der quasi von selbst die Lohnniveaus reguliere – werde der Wirklichkeit nicht gerecht.
Der »Markt« dürfe nicht als eine naturgegebene ökonomische Ordnung beschworen werden, die das Zusammenleben der Menschen selbstständig steuere, der »Markt« werde es schon richten, wie es vom deutschen Ordoliberalismus nach dem Zweiten Weltkrieg und dann vom Neoliberalismus international verbreitet worden sei. Ein »Markt« sei gar nicht vorstellbar, ohne den Staat als wesentlichen Akteur zu berücksichtigen.
Hirngespinste
Flassbeck und Steinhardt verwerfen diese marktradikalen Theorien, sie rechnen argumentativ überzeugend und schonungslos mit diesen Vorstellungen à la Friedrich Hayek und Milton Friedman ab, die zwar seit Jahrzehnten die Wege der Politik leiten, aber besser heute als morgen auf den Müllhaufen der Geschichte gehören.
Folgt man Flassbeck und Steinhardt, so kann man nicht umhin, zuzugestehen, dass es sich bei der herrschenden Ökonomie eher um Hirngespinste handelt, denn um eine realistische Beschreibung wirtschaftlicher Realitäten. Diese Teile lesen sich, als ob Herkules im Begriff sei, einen Augiasstall auszumisten.
Staat und Sozialstaat
De facto nämlich sei der Staat ein wesentlicher Akteur auch der ökonomischen Abläufe und müsse in der Debatte auch so positioniert werden. Er könne gar nicht anders, als einzugreifen, Eckpfeiler zu markieren, Grenzen zu ziehen. Das sei seine ureigene Aufgabe.
Noch deutlich aufschlussreicher wird es, als sie ihre eigenen Markierungen für eine zeitgemäße Politik darstellen, der Bruch zeichne sich vor allem im Übergang vom herkömmlichen kontinentaleuropäischen Sozialstaatsmodell, dem rheinischen Kapitalismus, zum neoliberalen Kapitalismus.
Suche nach Orientierung
Beispiele seien ein systematisches, vonseiten Deutschlands betriebenes Lohndumping, die Lähmung der gewerkschaftlichen Arbeit, die Abschaffung der Flächentarifverträge. Flassbeck und Steinhardt beschreiben zwei Wellen der Deregulierung bzw. Privatisierung – seit 1983 mit der Wahl Helmut Kohls und seit Beginn des neuen Jahrtausends mit der rot-grünen Regierung die Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme.
Die Frontstellungen der aktuellen Debatte werden unmissverständlich deutlich, Flassbeck und Steinhardt nennen eine Reihe von politischen Maßnahmen, um den Staat wieder in die ihm zustehende Verantwortung zu nehmen.
Wir erleben derzeit ein Europa im Umbruch, eine post-neoliberale Suche nach Orientierung, eine Rückbesinnug auf originär staatliche Aufgaben, wir nehmen aber auch den Aufbruch umtriebiger politischer Leithammel wahr, diese besonders aus den USA, etwa Steve Bannon, der sich bemüht, eine internationale, stark rechtslastige Front aufzubauen, oder den hiesigen US-Botschafter Richard Grenell mit besten Drähten zu Jens Spahn (CDU) und Christian Lindner (FDP). In einer solchen Situation ist eine Veröffentlichung, wie die hier rezensierte, äußerst willkommen, zumal sie mit Erfolg um Sachlichkeit und verständliche Sprache bemüht ist.
Titelangaben
Heiner Flassbeck, Paul Steinhardt: Gescheiterte Globalisierung
Ungleichheit, Geld und die Renaissance des Staates
Berlin: edition suhrkamp 2018
415 Seiten, 20 Euro
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