Kinderbuch | Sigrid Eyb-Green: Alles dreht sich, alles fliegt
365 neue, unverbrauchte Tage liegen vor uns. Ein Rest Winter, ein Frühling, ein Sommer, ein Herbst und wieder ein Winter. »Im Kreise geht die Reise. Und dem Dezember folgt der Januar.« hat Kästner geschrieben. Und all das fängt Sigrid Eyb-Green in ihren Gedichten für Kinder und alle ein. Von ANDREA WANNER
Rund sind viele Dinge in diesem Buch. Das Karussell auf dem Cover, das dadurch, dass ein Teil auf der Vorder-, einer auf der Rückseite abgebildet ist, sich tatsächlich zu drehen scheint. Der rote Teppich, auf dem ein grüner Sessel steht – mit einem lesenden Jungen drin; zu seinen Füßen ein ausgestopftes Krokodil. Die mehrstöckige Torte, die als Sommertagskuchen den Zauber eines solchen Tags zu einem zuckrigen Gesamtkunstwerk zusammenbackt. Das Kaleidoskop, das auf schwarzem Grund magisch leuchtende Ornamentkreise zaubert. Und natürlich das Ringelspiel der Ringelsocken, die sich bei ihrer Fahrt in der Waschmaschine um und um und um drehen. Alles dreht sich, alles fliegt. Und was sich nicht dreht, ist dennoch in Bewegung, hinterlässt Spuren, Zeichen.
Schon in ›Die Sonnenschaukel‹ war der Jahreslauf Inspiration – für das Auftauchen von vier Zwerginnen, die einander abwechselnd auf ganz eigene und poetisch eigenwillige Art davon erzählten, wie die Zeit vergeht. Nun verzichtet die Poetin und Bilderbuchkünstlerin auf das Gerüst der Abfolge der Jahreszeiten. Noch freier, noch bewegter fängt sie Eindrücke ein, fasst sie in Worte und Bilder.
Alles trägt schon sein Gegenteil in sich. Die Bewegung die Ruhe, der Sommer den Winter, das Dunkel das Licht. Alles wird verwoben, gehört zusammen und ergibt erst gemeinsam ein vollständiges Bild.
Schelmisch-spielerisch geschieht das in der Karussellfahrt der Ringelsocken in der Waschmaschine. Die Strümpfe werden zu Wesen, die Spaß an dem Drehen haben, den Schwindel genießen, nur um sich dann schlapp und matt an der Wäscheleine von dem tollen Ritt zu erholen. Eine Momentaufnahme im Stil eines Haiku fasst einen Amselbesuch im Winter in ein stimmiges Bild.
Der »Sommerschlaf« eines Handschuhpaares schlägt den Bogen von der einen zu entgegengesetzten Jahreszeit: gut verwahrt während der Sommerpause in der Schublade träumt der rechte Wollhandschuh von einer Ballonfahrt, hoch droben in luftiger Höhe, während der linke eine seltsame Unterwassergesellschaft nebst Tee trinkendem Hummer besucht. Der Sturmwind verbindet die Monate Mai und Oktober und der strickende Herr Vogelsang verwirklicht im Winter seine ausgefallenen Projekte, die von Flossenwärmern für Fische bis zu einem Schlafsack für den Wurm reichen. Um im Sommer? Klar, da strickt er filigran Luftiges: »Knopflöcher ganz aus Luftmaschen.«
Fundstücke ohne Ende werden über die Monate verteilt, raffiniert, scheinbar planlos und doch kunstvoll eines mit dem anderen verbindend. Überbordende Fantasie und unglaublicher Sprachwitz purzeln durch das Buch, lassen einem bei jedem Lesen Neues entdecken und den Tiefsinn der ganz wörtlich zu nehmenden Hintergrundbilder jedes Mal ein bisschen besser erstehen. Meist doppelseitig füllen sie die Flächen, wären perfekt ohne den Text und nehmen doch jedes Gedicht als ein eigenes Element auf, als ob es nur dort stehen könnte.
Wiederholungen und Ähnlichkeiten in allen Spielarten sorgen in den Bildern für Intensität und ein Verweben von verschiedenen Ebenen. Die lange als grüne Staubfänger verpönte Monstera findet sich nicht nur als Topfpflanze, sondern ziert auch die Gardine; Der Wind treibt nicht nur ein Windrädchen an, sondern gleich einen ganzen Garten voller dieser Spielzeuge; was auf dem Winterbusch wächst, sind weder Blätter noch Blüten oder Früchte, sondern Vögel, in großer Zahl so drapiert, dass sie unwiderruflich Teil der Pflanze zu sein scheinen. Und die Ringelsocken auf der Wäscheleine sehen den Tierspuren im Schnee auf den ersten Blick zum Verwechseln ähnlich.
Alles trägt schon sein Gegenteil in sich. Die Bewegung die Ruhe, der Sommer den Winter, das Dunkel das Licht. Alles wird verwoben, gehört zusammen und ergibt erst gemeinsam ein vollständiges Bild. Ein Bild voller Zauber und Poesie, für das leuchtet und strahlt in ganz besonderen Farben, von Eyb-Green extra dafür erdacht: Herzschlagrot, Schattenblau, Funkelgrün, Gaukelgelb, Möwenweiß.
»Im Kreise geht die Reise. Und dem Dezember folgt der Januar«: Beginnen wir ihn mit diesem hinreißenden Bilderbuch, lassen das neue Jahr jung werden und älter und wieder jung, lassen uns mitdrehen, mitfliegen, mitreißen von diesem sinnlichen Spaß!
Titelangaben
Sigrid Eyb-Green: Alles dreht sich, alles fliegt
Wien: Jungbrunnen Verlag 2018
32 Seiten, 15 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren