Mehr von Tambora

Textfeld | Wolf Senff: Mehr von Tambora

Weit hergeholt, oder?

Daß in Bayern Brotunruhen ausbrechen, weil auf einer Sunda-Insel ein Vulkan ausbricht?

Genau. Der Ausguck grub seine Hand in den heißen Sand. Wie gern er tagelang in dieser Lagune ausspannen würde! Die Besatzungen der Schaluppen waren vom letzten Fang noch nicht genesen, das kam ihm zupaß, das Leben kennt Phasen, da geht es großzügig mit uns um.

Ziemlich an den Haaren herbeigezogen, meinst du nicht? Der Ausguck stand auf, nahm drei Schritt Anlauf und schlug einen Salto.

Aber die Fakten, Ausguck! Thimbleman stützte sich auf die Ellenbogen, lachte und applaudierte.

Die Fakten, wiederholte der Ausguck: Die Fakten, was wissen wir von den Fakten!

Gramner hat davon erzählt.

Glaubst du ihm?

Weshalb sollte ich seinen Worten nicht glauben? Er ist weit herumgekommen und hat eine Menge gesehen. Es gibt Zusammenhänge, verstehst du? Ein Schmetterling, der in Shanghai mit seinen Flügeln wackelt, könnte damit einen Wirbelsturm in New York auslösen.

Das ist Chaostheorie, Thimbleman. Ein Thema aus dem Sommerloch der selbstverliebten Moderne. Von Gramner?

Von wem sonst? Nach dem Ausbruch war der Himmel mehrere Kilometer im Umkreis des Tambora verdunkelt, sagt er, drei Tage lang. Aus den USA wurde im Mai 1816 berichtet, daß der Himmel sich mit einem dichten Schleier überzogen habe. Die Informationen sind lückenhaft. Der kürzlich erwähnte Goethe las am 20. Februar 1817 einen Artikel über den Ausbruch des Tambora, doch über dessen desaströse Auswirkungen auf das Klima in Asien, Westeuropa und Nordamerika war nichts gesagt.

Das kann man weder Goethe noch der Zeitung anlasten.

Nein, kann man nicht, Ausguck. Nur daß sich diese Zusammenhänge nicht abstreiten lassen. Heute wissen wir mehr.

Die Ereignisse hängen zusammen, und wir müssen die Dinge verstehen, nicht wahr?

Die Hungerwinter 1816/17 waren schlimm, die Versorgung brach ein, die Nachfrage nach Getreide war riesig. Das südliche Rußland wurde zur Kornkammer; Frankreich, Italien und die Schweiz ließen Getreide von Odessa anliefern, und ebenso Ungarn, Österreich, Süddeutschland, Spanien. Bayern stellte drei Millionen Gulden für den Ankauf von Getreide bereit.

Das hört sich doch gut an, Thimbleman. Der Ausguck probierte einen Handstandüberschlag und kam sehr unsicher zurück in den Stand, doch er war’s zufrieden.

Das waren Maßnahmen gegen das Elend, Ausguck, der Planet war im Aufruhr, auch Nordamerika litt unter der ausbleibenden Sonne. Du redest zu leichtfertig daher.

Was hätte man tun können?

Das ist gut gefragt, Ausguck. Besser noch fragst du, ob der Mensch daraus lernt, wenn das Klima plötzlich einbricht.

Was sollte er lernen, Thimbleman? Sein Leben ist abhängig von einem ausgeglichenen Klima. Wenn es einbricht, hat er schlechte Karten.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein schmaler Grat zwischen Fiktion und Wirklichkeit

Nächster Artikel

Fantasy-Metal-Abenteuer der Extraklasse

Weitere Artikel der Kategorie »TITEL-Textfeld«

Leben

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Leben

Ob das schwer zu verstehen sei.

Gut gefragt, Farb.

Doch sei das nicht jedem bekannt.

Das sollte man annehmen.

Der Mensch müsse sich ändern, Tilman, grundlegend ändern, nicht nur daß er seine Energieversorgung neu gestalte, nein, er müsse sich in seinem Umgang mit dem Planeten neu orientieren, er tue sich schwer damit und habe die Tragweite dieser Umwälzung längst nicht hinreichend verarbeitet.

So wird es sein, Farb.

Maskerade II

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Maskerade II

Interessant, spottete Wette.

Wer sich auf dieses Thema einlasse, sagte Farb, öffne ein Faß.

So verstanden sei der US-Präsident fremdgesteuert, sagte Wette, ohne jeden Zweifel, sagte er, unübersehbar, nicht Herr seiner Sinne, er lachte, und als sei er vom Teufel geritten.

Wer sich auf dieses Thema einlasse, wiederholte Farb, öffne ein Faß, und man müsse dasselbe für den russischen Präsidenten gelten lassen, das Streben nach Macht – ebenfalls eine dämonische Kraft – werfe einen Menschen aus der Bahn und schädige den Charakter, er erkenne sich nicht wieder, er sei auf dem falschen Weg, er werde sich selber fremd.

Fremdbestimmt durch dämonische Energie, sagte Wette.

Miami

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Miami

Miami, USA, wir waren in Miami, wann war das. Tilman erinnerte sich. Das dürfte drei, auch vier Jahrzehnte her sein, sagte er, Rucksacktouristen, sagte er, die Zeiten waren anders, wir waren zu viert, irrten ziellos vom Flughafen in Richtung Stadt, es wurde Nacht und wir rollten Schlafsäcke auf einem weitläufigen Rasen aus, Gelände noch des Flughafens, weit waren wir nicht gelangt zu Fuß, wir schliefen drei, vier Stunden, bis wir vom grellen Scheinwerfer einer Polizeipatrouille geweckt wurden, freundlich aber bestimmt, dies sei kein Platz zum Übernachten, außerdem lebten hier Schlangen, das sei nicht ungefährlich, und wir sollten zusehen, in die Stadt zu kommen.

Ferne III

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ferne III

Seltsam, sagte Sut, sei, sich gegen Zukunft abzugrenzen.

Bildoon verstand das Problem nicht. Ein Problem? Jedenfalls klang es danach. Und überhaupt, wie kam Sut dazu, sich gegen die Zukunft abzugrenzen – das war starker Tobak, auf diesen Gedanken mußte jemand erst einmal kommen. Bildoon wurde neugierig.

LaBelle sah eine Sternschnuppe aufblitzen.

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.

Die Flammen schlugen hoch.

Ferne II

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ferne II

Weshalb sprechen wir ihnen ab, daß sie das Leben genießen?

Sie genießen nicht, Bildoon, es täuscht, die Moderne ist ein Zeitalter im Irrtum.

Absurd, widersprach der Rotschopf, wie soll sie im Irrtum sei, sie handelt nicht anders als wir, unsere 49er beuten die Goldminen aus und feiern ihren Reichtum, was soll daran falsch sein, gut, sie trinken und schlagen über die Stränge, aber wir tun das doch auch.

Nicht auf Scammons Walfänger, sagte Eldin und legte einen Scheit Holz ins Feuer.