Tote gibt es noch in Bernhard Aichners neuem Thriller – aber keine Totengräber(innen) mehr. Stattdessen lässt der Tiroler Autor in Bösland zwei Männer aufeinander los, deren Freundschaft einst ein Verbrechen auseinanderbrachte. Aber hat sich die brutale Ermordung der damals dreizehnjährigen Matilda tatsächlich so abgespielt, wie es die ganze Welt aus den Nachrichten erfuhr? Als Ben, der als minderjähriger Mörder 1984 in der Psychiatrie verschwand, nach drei Jahrzehnten an den Ort des Verbrechens zurückkehrt, findet er Beweise für seine Unschuld. Aber wie soll er sich dem wahren Täter gegenüber verhalten? Von DIETMAR JACOBSEN
Ben und Felix Kux, der Arztsohn, sind Freunde. Bis zu jenem Tag, da Matilda, die Apotheker-Tochter, in die die beiden Dreizehnjährigen verliebt sind, ermordet wird. Ben, der über dem toten Mädchen mit einem blutbeschmierten Golfschläger angetroffen wird, wandert in die Psychiatrie. Kux bleibt draußen und macht Karriere.
Als sich die beiden nach 30 Jahren wiedersehen, ist der eine steinreich und steht an der Spitze eines weltweit operierenden Pharmakonzerns. Der andere aber hat in seinem Elternhaus einen Super-8-Film gefunden, der den Mord an dem Mädchen in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt – und die Handlung in Bösland so richtig ins Rollen bringt.
Tödliche Spiele
Sauber verteilt erscheinen die Rollen in Bernhard Aichners neuem Thriller von Anfang an. Hier der in seiner Kindheit vom übergriffigen Vater gedemütigte Ben, dessen Martyrium erst mit dem Suizid des verhassten Alten endet. Da der in geordneten Verhältnissen aufwachsende Sohn des Dorfarztes, Bens einziger Freund und in dessen Verständnis der Grund dafür, jeden Morgen aufzuwachen und sich erneut den Herausforderungen des Lebens zu stellen. Dass sich dieses Verhältnis irgendwann einmal umkehren wird, ahnt man als Leser schnell. Und die perversen Spiele, in die Kux Ben hineinzieht – Eintrittsgeld verlangen die beiden Jungen von der Dorfjugend, damit die erschauernd Bens Vater am Seil hängen sehen darf -, deuten bereits die Richtung dieser Umkehr an.
Auch als Chef eines weltweit operierenden Pharmaunternehmens hat Kux dreißig Jahre später nichts von seiner bösartigen Hintertriebenheit verloren. Und so beginnt er, als Ben eines Tages in seiner protzigen Villa auftaucht, um ihn mit seinen neu gewonnenen Erkenntnissen über die Tat von damals zu konfrontieren, ein weiteres perverses Spiel mit dem alten Freund. Und bald sieht der sich nicht nur mit den alten Vorwürfen konfrontiert, sondern wird auch verdächtigt, an einer Reihe von neuen Verbrechen die Schuld zu tragen.
»Komm mit mir ins Bösland!«
Bösland hat Bens Vater einst den Dachboden seines Hauses genannt, wo der Lkw-Fahrer, Nebenberufsbauer und schwere Trinker den Sohn bis zu dessen zehntem Lebensjahr züchtigte und missbrauchte. Als die 13-jährige Matilda drei Jahre später just dort oben erschlagen wird, macht Bösland seinem Namen noch einmal alle Ehre. Ben, als minderjähriger Täter in die Psychiatrie verfrachtet, nimmt sich deshalb vor, nie mehr zurückzukehren an jenen Ort des Grauens. Und dennoch kommt er auch als erwachsener Mann – weiterhin unterstützt von seiner Psychotherapeutin – nicht los von seiner Vergangenheit. Denn er ahnt, dass die anders gewesen sein muss, als er sie in Erinnerung hat. Als er schließlich Beweise dafür findet, dass nicht er der Mörder des jungen Mädchens war, weitet sich plötzlich die ganze Welt zu einem Bösland aus, das ihn für immer zu verschlingen droht.
Bernhard Aichner lässt als auffälligstes stilistisches Mittel das Erzählen aus der Ich-Perspektive seines Helden sich abwechseln mit die Handlung vorantreibenden Gesprächsparts zwischen verschiedenen Personen – von der Psychotherapeutin Therese Vanek über einen Kriminalpolizisten, den neue Verbrechen auf den Plan rufen, bis zu Kux und Soy, der unglücklichen thailändischen Frau des Industriellen. Kurze bis kürzeste Kapitel – das Buch hat viele leere Seiten – sorgen dafür, dass die Lektüre an einem Tag erledigt werden kann. Mehr Zeit sollte man aber auch nicht unbedingt investieren.
Denn schräge Bilder wie »Sie umspielte mich mit ihrer Nähe« und »Arme, die um Hilfe schrien« zeigen doch mehr als deutlich die sprachliche Limitiertheit des Autors. Und auch die Spannung bleibt, weil – bis auf ein paar drastische Effekte, um den holpernden Plot wieder hochzufahren – nur das vom Leser längst Erwartete geschieht, allmählich auf der Strecke. Zu einer richtig guten Pointe, vielleicht sogar einem die Hoffnung auf mehr erweckenden Cliffhanger reicht es dann am Ende aber beim besten Willen nicht mehr.
Titelangaben
Bernhard Aichner: Bösland
München: btb Verlag 2018
448 Seiten. 20.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander
Reinschauen
| Leseprobe