Comic | Lucas Harari: Der Magnet
In ›Der Magnet‹ beschwört der junge französische Comic-Künstler Lucas Harari in seiner ersten längeren Erzählung den Geist der berühmten Therme Vals. Er erhebt den Bau zur Hauptfigur – und lässt ihn mörderische Absichten verfolgen, festgehalten in der klar umrissenen Optik der Ligne Claire. CHRISTIAN NEUBERT tauchte in den Comic ein.
Der Berg ruft. Oder besser: ein Klotz im Berg. Das berühmte, denkmalgeschützte, von Peter Zumthor entworfene Thermalbad im Graubündner Kurort Vals. Ein Architektur gewordener Betonkoloss, der sich wie ein Felsblock in das Gestein fügt. Der sich aus ihm erhebt und dennoch Teil von ihm zu sein scheint. Und der den jungen Pariser Architekturstudenten Pierre magnetisch anzieht. Eigentlich arbeitet er an seiner Abschlussarbeit über die Therme. Bis er unversehens sein Studium schmeißt. Sich auf den Weg zur Therme macht. Und sich in ihr verliert. Wobei: Es scheint, dass es sich anders herum verhält. Dass es vielmehr die Therme ist, die ihn gewinnt. Macht das Sinn?
Es ergibt zunächst insofern Sinn, als dass Pierre die sinnliche Erfahrung sucht, weil er am Schreibtisch nicht weiterkommt. Er muss sich der Therme stellen, um ihr auf die Schliche zu kommen. Mit Bleistift und Block versucht er, sie zu erschließen. Was ist ihr Geheimnis? Was bergen ihre geometrischen Muster? Die besondere Wirkung, die die Architektur des Baus auf Pierre ausübt, lässt einen an den Lovecraftschen Erzählkosmos denken, bei der das Unheil aus unmöglichen Winkeln ins Jetzt und Hier tritt. Doch während der Einsiedler aus Providence das Undenkbare mit der adjektivischen Abrissbirne beschwört, wählt der französische Zeichner Lucas Harari für seine erste längere Comic-Geschichte die reduzierte, klar umrissene Optik der Ligne Claire.
Undurchsichtige Vorgänge in klaren Linien
Ähnlich wie ihre nordamerikanischen Vertreter Daniel Clowes oder Charles Burns lässt Harari das Fremdartige, Unwirkliche und Beklemmende seiner Erzählung innerhalb formaler Strenge gedeihen. Der abgesteckte narrative Rahmen seiner Bilder ist »in Ordnung« und birgt daher im Grunde keinen Platz für mysteriöse Ausreißer – streng genommen. Doch manchmal lädt sicherer Grund einen geradezu dazu ein, ihn zu verlassen. Harari weiß das. Und beweist bruchlos, dass er es versteht, Spannung im Kleinen gedeihen zu lassen.
Das Unheimliche der Hyperrealität seiner klaren Linien wird jedoch nicht nur auf grafischer Seite genährt. Denn Pierre trifft auf Menschen, die seinen Aufenthalt in Graubünden gehörig mitbestimmen: Der steinalte Eremit, der an die Legende vom ›Schlund des Berges‹ glaubt, der immer wieder Opfer fordern würde. Der einflussreiche Architekt Philipe Valeret, der wohl ähnliche Ziele wie Pierre verfolgt. Und die schöne Ondine, in die sich Pierre verguckt. Er verfällt ihr – natürlich – beim Baden.
Eintauchen und verschwinden
Ihr Auftauchen lässt die Handlungsfäden in verschiedene Richtungen wuchern, die dem Leser anschlussfähig erscheinen, die er weiterspinnen kann und ihm Deutungsmöglichkeiten suggerieren. Die Therme indessen schweigt steinern. Sie spuckt keine eindeutigen Lösungen aus, so wie sie einmal Pierre draußen im Schnee ausspuckt, als er versucht, in ihr Inneres zu gelangen, indem er durch eine (Geheim-)Tür tritt, die sie – für ihn? – öffnet. In den toten Winkeln der Thermenarchitektur bleibt vieles verborgen, auch wenn man die Schwärze ihrer Schatten intensiv durchsucht. Das gilt für Pierre und für den Leser gleichermaßen.
›Der Magnet‹ – selbst der Titel des Comics bleibt Teil des Rätsels – ist ein abgründiger Mystery-Krimi, der sich nicht als schneller Witz inszeniert, sondern intensiv erlebt werden will. Wie eben auch die Therme Vals kein Spaß-, sondern ein Erlebnisbad ist.
Titelangaben
Lucas Harari: Der Magnet
Aus dem Französischen von Christoph Schuler
Zürich: Edition Moderne 2018
144 Seiten, 32 Euro
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