»Hollywood war nicht einmal in unserem Rückspiegel«

Film | Black Cinema

Das Münchner Filmfest widmete dem afroamerikanischen Black Cinema eine eigene Reihe – von Klassikern der ›L.A. Rebellion‹ bis Arthur Jafa. Sie faszinieren durch ihre rohe Energie und traumwandlerisch-poetische Bilder. Von SABINE MATTHES

Das diesjährige 37. Internationale Filmfest München (27.06. – 06.07.2019) widmete eine eigene Reihe dem afroamerikanischen Black Cinema. Kuratiert wurde die Auswahl der 14 Filme von dem afroamerikanischen Künstler, Kameramann und Filmemacher Arthur Jafa. Auf der Biennale in Venedig 2019 wurde ihm im Mai der Goldene Löwe als bester Künstler verliehen. Seine Fotos und Installationen werden im Münchner Museum Brandhorst präsentiert, drei seiner Filme liefen auf dem Filmfest. Neben Arthur Jafa gaben die Filmemacher Larry Clark (›Passing Through‹, 1977), Dennis Dortch (›A Good Day to be Black and Sexy‹, 2008) und Christopher Alexander bei Panelgesprächen spannende Einblicke in die Geschichte des Black Cinema.

Jafa - Dreams are Colder than Death

Arthur Jafa wurde während der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung 1960 in Tupelo, Mississippi, geboren. Seine Arbeiten befassen sich mit ›Blackness‹ als einer generellen Erfahrung des Ausgeschlossenseins von der westlichen Welt, wie sie nicht nur Schwarze, sondern auch Homosexuelle oder Frauen erleben. Mississippi sei für ihn ein interessanter Ort zum Aufwachsen gewesen, sagt er – die größte Konzentration von Schwarzen und der Geburtsort schwarzer Musik, also ›Ground Zero‹ der amerikanischen schwarzen Kultur – eine Gegend größter Armut und Gewalt, reich an Kultur.

Jafas Film ›Dreams are Colder than Death‹ (2014) entstand als Auftrag, einen Film zum 50. Jahrestag des Marsches auf Washington zu machen. Es ist eine Collage aus Interviews über das Erbe von Martin Luther Kings berühmter Rede »I have a dream«. Damit, sagt er, wollte er seinen Interviewpartnern wie Kathleen Cleaver oder seinem Vater eine Plattform geben, um über ihre Strategien des Überlebens zu sprechen. Schwarzes Kino sei für ihn auch ein Angebot an Weiße, besonders weiße Männer, Erfahrungen in einer anderen Haut zu machen. Wie ein Muskel für Empathie, den man trainieren müsse.

LA RebellionDie Filme sind visuelle Musik. Beseelt und getrieben von einem rhythmischen Puls, traumwandlerisch, surreal und poetisch entwickeln sie einen magischen Sog. ›Bush Mama‹ (1975) war der Abschlussfilm von Haile Gerima.

Aus Äthiopien kommend gehörte er zur Gruppe der farbigen Studenten, die zwischen den späten 1960er und den späten 1980er Jahren an der UCLA in Los Angeles Film studierten und als »L.A. Rebellion« bekannt wurden. Der schwarz-weiß Film folgt der arbeitslosen, schwangeren Dorothy bei ihrem kafkaesken Überlebenskampf durch den Großstadtdschungel. Ihr Mann T.C. wird plötzlich grundlos verhaftet und auch sie ist allein im Gefängnis ihrer Gewissensängste: soll sie der demütigenden Aufforderung des Sozialamts folgen und ihr ungeborenes Kind abtreiben, um Staatskosten zu sparen? An der Zimmerwand hängt das Poster einer angolanischen Freiheitskämpferin, mit Kind und Kalaschnikov im Arm.
Am Ende wird auch Dorothy sich befreien, zumindest von der Perücke über ihrem krausen Haar. Der Film changiert zwischen Dokumentar- und Experimentalfilm, neorealistischem Melodram und revolutionärem Agitprop im Stil von Godard. Dorothys Frustration ist hautnah auf ihrem schönen Gesicht abzulesen und wird gesteigert durch das faszinierend-quälende Potpourri ständiger irritierender Geräusche, Stimmen und Musik, wovon es keinen Ausweg zu geben scheint. Das mechanische Stakkato der Stimme vom Sozialamt: ›Do you understand? Do you agree?‹, weicht am Ende dem zärtlichen Flüstern von Dorothy, die einen Liebesbrief an T.C. vorliest: »I know you´re in jail, T.C., and angry. But most of the time I don`t understand your letters. Talk to me easy, T.C., coz I wanna understand.«

Wo ›Bush Mama‹ angesichts der real existierenden Polizeigewalt und sozialen Ungleichheit Wut und einen Aufruf zur militanten Revolution signalisiert, ist das am stärksten gefeierte Meisterwerk der »L.A. Rebellion«, Charles Burnetts ›Killer of Sheep‹ (1978), kontemplative visuelle Poesie, schwarzer Surrealismus, voll Hingabe und Zuneigung.

Burnett, 1944 in Vicksburg, Mississippi, geboren, zog 1947 mit seiner Familie nach Watts, einer überwiegend schwarzen Gegend im Süden von Los Angeles. Watts erlangte 1965 traurige Berühmtheit, als es bei gewalttätigen Ausschreitungen zu 34 Toten und über 1000 Verletzten kam. Es ist der Schauplatz von ›Killer of Sheep‹, wo ein junger Schwarzer in einem Schlachthof Schafe töten muss. Die Watts Ausschreitungen und sozialen Turbulenzen 1967 und 1968 waren, in Zusammenhang mit der Bürgerrechtsbewegung und dem eskalierenden Vietnam Krieg, Ende der 1960er Jahre ein Auslöser für die Gründung der Gruppe afrikanischer und afroamerikanischer Filmstudenten an der UCLA.

Bush Mama - Haile GerimaZur Bewegung dieser Schwarzen unabhängigen Filmemacher der »L.A. Rebellion« gehören unter anderen Charles Burnett, Larry Clark, Julie Dash, Haile Gerima, Ben Caldwell und Billy Woodberry. Sie teilen die utopische Vision einer besseren Gesellschaft, ihre Identifikation mit den Befreiungsbewegungen in der 3. Welt und einen Ausdruck von Schwarzer Würde und Stolz. 

Die Filmemacher der »L.A. Rebellion« wollten »Schwarzes Qualitäts-Kino« machen – als Alternative zum Weißen Hollywood und zum Schwarzen Blaxploitation-Genre der 1970er Jahre. Im traditionellen Hollywood Kino fehlte ihnen eine authentische Schwarze Perspektive. Den Blaxploitation-Filmen fehle es, laut Charles Burnett, an Empathie. Die UCLA Filmstudenten halfen und inspirierten sich gegenseitig, lernten voneinander. Burnett arbeitete als Kameramann bei Haile Gerimas ›Bush Mama‹, den Ton dafür machte ein 13-jähriges Mädchen aus der eigenen Community. Die Filme wurden für und mit der eigenen schwarzen Community gemacht. Larry Clark erzählt, dass er in Cleveland, Ohio, nahe dem Cinema Paradiso aufwuchs, ehe er zum Filmstudium an die UCLA nach Los Angeles kam. Technisch habe man dort von schlechten »old wood« Professoren, die nie selbst Filme gemacht hatten, wenig gelernt. Aber ein Professor habe ihnen das Kino der 3. Welt vorgestellt, japanische Filme, Kurosawa, afrikanische, lateinamerikanische, kubanische Filme und italienischen Neorealismus – da wussten sie, in diese Richtung wollten sie gehen.

»Hollywood war nicht einmal in unserem Rückspiegel – so viele gute Filme haben wir gesehen.« (Larry Clark) Er sieht es als glückliche Fügung, dass ihnen keine Professoren »im Weg standen« und sie »den ganzen Candy Store«‹ für sich alleine hatten. So experimentierten, improvisierten und erfanden sie, was das Zeug hielt. Clark war der Erste, der auf Fuji Film in Amerika drehte – um afroamerikanische Hauttöne besser zu treffen, als mit Kodak. Auch den finanziellen Mangel sieht er als Vorteil, um eine rohe Energie der Ästhetik zu bewahren. Das grobkörnige Schwarz-Weiß von Burnetts ›Killer of Sheep‹ verstärkt diesen widerspenstigen Charme, einen traumartig-surrealen Zauber. Gerade die handwerkliche Imperfektion macht für Larry Clark die menschliche Hand, das Menschliche, sichtbar: »Die Fehler sind Teil seiner Schönheit. Du musst herausfinden, wie Du die Fehler zu Deinen Gunsten nutzen kannst.«

Larry Clarks ›Passing Through‹ (1977) ist ein weiteres zentrales Werk der »L.A. Rebellion«. Nachdem der afroamerikanische Jazz Musiker Eddie seine Strafe wegen Mordes an einem weißen Gangster abgesessen hat, kommt er frei. Im Kampf gegen die weißen Mafiosi der Clubs und Aufnahmestudios macht er sich auf die Suche nach einem »Sound«. Um ein Gefühl für den Look des Films zu bekommen, der in wilden psychedelischen Farben lodert, hatte sich Clark viele Jazz Alben angesehen. Es war ein Low Budget Film, der 13.000 Dollar gekostet hat, mit einer kleinen Crew von 14 Leuten und der Mitwirkung von Julie Dash. Der Film ist eine Hommage an den Jazz als zentrale Ausdrucksform afroamerikanischer Kultur und als eine Form politischer Praxis.

Cry of jazzAuf die Frage, was Black Cinema sei, antwortet Clark: »Du kannst es mit Jazz vergleichen.« In dem halbdokumentarischen Film ›The Cry of Jazz‹ (1959) von Ed Bland wird neben den Auftritten wichtiger Jazz-Künstler wie Sun Ra genau diese Frage nach dem spezifisch »Schwarzen« im Jazz verhandelt. Eine Gruppe von schwarzen und weißen Jugendlichen diskutiert aus ihrer unterschiedlichen Lebenswelt die Bedeutung des Jazz als Grundpfeiler afroamerikanischer Identität und als Seele Amerikas. Der Film war sowohl inhaltlich als auch in seiner collageartigen Form eine maßgebliche Inspiration für Arthur Jafas Auseinandersetzung mit »Blackness« als kollektiver Erfahrung.

| SABINE MATTHES

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