Alleine vor dem Klimawandel zu warnen bringt wenig, schreibt der französische Autor und Aktivist Cyril Dion im Vorwort seines Buchs ›Kurze Anleitung zur Rettung der Erde‹ und alle, die schon mal vor etwas gewarnt haben, irgendwas, egal was, wissen, dass er damit recht hat. Warnungen werden gerne in den Wind geschlagen. Warum Dion schon im folgenden Kapitel vor wahrscheinlichen Änderungen durch den Klimawandel warnt, bleibt sein Geheimnis. Von BASTIAN BUCHTALECK
Die klaffende Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Laut Dion wünscht sich die Mehrzahl der Franzosen, dass in der Landwirtschaft auf Pestizide und Kunstdünger verzichtet wird, die Realwirtschaft im Vergleich zur Finanzspekulation gestärkt wird und die erneuerbaren Energien weiter entwickelt werden. Hierbei stützt sich der Autor auf eine Meinungsumfrage. Leider fragt er nicht (und die Meinungsumfrage tat dies scheinbar auch nicht), ob die Menschen auch bereit wären, für die genannten Wünsche auf andere Bedürfnisse zu verzichten.
In der Realität sieht es doch so aus, dass man sich mehr Bio-Landwirtschaft wünscht und gleichzeitig Burger bei McDonalds isst. Man wünscht sich den Ausbau der erneuerbaren Energien und wechselt anschließend zum günstigsten Stromanbieter. Man wünscht sich den Schutz des Regenwaldes und gleichzeitig günstiges Fleisch, faire Produktionsbedingungen und billige Klamotten, saubere Luft und Wochenendreisen. Wunsch und Wirklichkeit klaffen auseinander.
Die Macht von uns Konsumenten und Verbrauchern
Gesucht wird eine neue Haltung, die Wunsch und Wirklichkeit vereint. Dafür müsse, so Dion, das Narrativ geändert werden, was ein gutes Leben sei. Derzeit gelten Wachstum, Investition und Ertrag als Garanten für ein gutes Leben. In politisch-ökonomischen Schlagworten: neoliberale Globalisierung. Oder umgangssprachlich: mehr ist besser! In einer Zeit, in der Öl und Land als noch grenzenlos galten, mag dieses Narrativ gültig gewesen sein. Aber heute, mit schwindenden Ölreserven und zunehmend ausgelaugten Böden, braucht es ein neues Narrativ.
Dion bietet als Vision einer vielversprechenden Zukunft in seinem Buch Folgendes an: Tausch, Entschleunigung sowie Meditation. Das klingt weder vielversprechend noch visionär. Dabei ist klar, dass in Zukunft weniger konsumiert werden muss. Wer das noch nicht verstanden hat, der ist nicht von dieser Welt.
Tatsächlich ist Konsumverzicht im Umfeld des Turbokapitalismus die einzige Sprache, die die Konzerne heute noch verstehen. Solange wir das günstigst mögliche Angebot wollen, so lange wird es Unternehmen geben, die dies auch anbieten. Im Verzicht liegt die Macht der Verbraucher.
Ein attraktives Narrativ wird der von Dion propagierte Konsumverzicht, wenn wir die Augen öffnen für die Zeit und Lebensqualität, die wir dadurch gewinnen. Statt zu shoppen, kann man Freunde treffen und wer sein Geld nicht für häufig überflüssige materielle Dinge ausgibt, kann sich andere, immaterielle Dinge leisten – oder gar weniger arbeiten. Die Vision sollte also nicht Konsumverzicht heißen, sondern Freiheit vom Konsum.
Kann, alles kann – aber nichts muss
Auf 160 Seiten führt der Autor die bekannten möglichen und wahrscheinlichen durch den Klimawandel erzeugten Veränderungen an: Missernten und generell geringere Ernteerträge, auftauende Permafrostböden, Hitzewellen, stärkere Stürme und so weiter. Alles wahrscheinliche Ereignisse. Alles könnte, aber nichts muss. Insofern leidet die Argumentation des Buchs unter dem Problem aller Klimamahner. Der Mensch fürchtet sich vor konkreten, unmittelbaren Gefahren und nicht solchen, die vielleicht eintreten. Er setzt sich ein gegen konkrete negative Folgen seines Verhaltens, nicht gegen möglicherweise wahrscheinliche Folgen. Wenn Dinge eventuell in 20 Jahren eintreten, dann kümmern wir uns in 19 Jahren darum. So ist der Mensch. Dem weiß Dion mit seinem Buch nichts entgegenzusetzen.
Zudem geht es in „Kurze Anleitung zur Rettung der Erde“ nicht nur um Klimawandel, sondern auch um die Digitalisierung und Handysucht, das Geld- und Zinssystem, die Globalisierung und sogar unser aktuelles Demokratieverständnis – ein wenig von allem. Das Buch ist ein Rundumschlag, verzettelt sich in allgemeiner Systemkritik und verliert dabei den Klimawandel aus dem Fokus. Hier bietet das Buch von allem etwas und darum gibt es zu jedem Thema ein anderes Buch, welches tiefergehend und mit mehr Eifer und Liebe geschrieben wurde. Darum sitzt die ›Kurze Anleitung zur Rettung der Erde‹ von Cyril Dion zwischen den sprichwörtlichen Stühlen.
Positiv ist, dass Dion alles, was er schreibt, auch belegen kann und dass die Belege am Ende des Buchs stehen und nicht am Ende einer jeden Seite, wie es bei wissenschaftlichen Publikationen wäre. So hat das Buch wissenschaftlichen Anspruch, ohne wissenschaftlich zu sein und liest sich dennoch flüssig. Es ist also ein Sachbuch im besten Sinne.
Fazit: Ungewissheit lähmt
Insgesamt stößt Dion an eine Grenze, an die viele Bücher kommen, wenn es um den Klimawandel geht. Es ist ungewiss, welche Auswirkungen der Klimawandel haben wird und welche Auswirkungen unsere Bemühungen noch haben werden. Antworten darauf hat Dion jedenfalls keine. Immerhin muss man nicht an den Klimawandel glauben, um zu erkennen, dass der westliche Lebensstil diese Erde auslaugt und somit die Lebensgrundlage aller zerstört.
Titelangaben
Cyril Dion: Kurze Anleitung zur Rettung der Erde
Wofür wir heute kämpfen müssen
Ditzingen: Reclam Verlag 2019
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