/

Übrig

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Übrig

Was ihnen denn zu tun bleibe.

Gut gefragt, Ausguck.

Sie leben in einer Zeit, deren Gefüge krachend einstürzt, ein gigantisches Feuerwerk.

Danach wird es keine Zeit geben?

Danach wird es keine Zeit geben, weder wird der Planet die eigenen Umdrehungen zählen noch wird er seine Entfernung zum Zentralgestirn messen, Lichtjahre oder nicht Lichtjahre, welche Rolle sollte das für ihn spielen, er ist auf ewig verwoben in die zeitlosen Kreisläufe, doch der Mensch, Thimbleman, was bleibt dem armseligen Menschen zu tun.

Ist das denn unser Thema, Ausguck, die Gegenwart jener Epoche liegt beinahe zwei Jahrhunderte voraus, wir werden das nicht erleben.

Sind wir mitverantwortlich? Wir beginnen die Kohlevorräte systematisch auszubeuten, sagt Gramner, weil die Bahnlinien bis zum pazifischen Ozean ausgebaut werden, und die Schiffahrt wird auf Dampfantrieb umgestellt. Der Mensch greift mit Gewalt nach Herrschaft über den Planeten.

Wenn Gramner das so sagt.

Und was wird der Mensch tun, nachdem er sich annähernd zwei Jahrhunderte lang der Schätze des Planeten schamlos bedient haben wird?

Nun wird wenig davon übrig sein?

Du sagst es, Thimbleman. Er wird erbittert um die Restbestände streiten, Kriege werden erneut ihre häßliche Fratze hervorkehren, denn er wird unbedingt in jenen verbliebenen Regionen leben wollen, wo die Luft sauber ist und das Wasser trinkbar. Wie sich sein Alltag gestalten wird dort, wo diese materiellen Voraussetzungen noch gewährleistet sind? Was wird er tun?

Er wird vielleicht versuchen, die Schäden, die er angerichtet hat, zu bereinigen? Wird zum behutsamen Umgang mit dem Planeten aufrufen und die fehlerhaften Strukturen rückbauen, wird ›renaturalisieren‹, wie er es nennt, wird seinen technologischen Revolutionen unverzüglich ein Ende bereiten?

Das wäre vernünftig, gewiß, die einzig sinnvolle Reaktion, um die eigene Lebensgrundlage, den Planeten, zu pflegen. Doch das Gegenteil wird der Fall sein, weshalb auch immer, er schlägt nicht den einleuchtenden Weg ein, mehr noch, er wird gar nicht ernsthaft erwägen, umzukehren, denn seine eigenen Technologien – mit Glanz und Gloria ziehen sie ihn ein hinterhältiges Spiel, das ihn instrumentalisiert, so daß er eine bombastische Freizeitindustrie gestaltet, Traumfabriken, tückische Köder, er stellt sich selbst eine Falle, und ist dem ausgeliefert als ein ohnmächtiger Konsument – wie du es nimmst, er ist eingespannt in unnachgiebige Strukturen und steht seiner eigenen Freiheit im Wege.

Gramner?

Ja, Gramners Worte. Nüchtern betrachtet, sei der Mensch ausgezehrt wie die ihn umgebende Natur, er nehme das jedoch kaum wahr, wie realitätsblind könne man sein, die professionell arrangierten Bilderwelten würden ihm ausgewählte Schönheiten des Planeten beinahe täglich zur Hauptsendezeit vor Augen führen, und in den Spielfilmen seien Verhältnisse ohne Fehl und Tadel entworfen, lustig, um alles auf der Welt wird sich erfolgreich gekümmert, und im Zweifel würden Szenen auf Youtube beweisen, daß der Mensch sich rührend um verletzte Mitgeschöpfe bemühe, alles sei gut, es bestehe nicht der geringste Anlaß zur Sorge, akF.

So werde er getäuscht?

So werde er getäuscht, Thimbleman, es herrschen die Blender, die Fälscher, die Wichtigtuer, und nun erkläre mir, weshalb wir an solche Zeitläufte einen einzigen Gedanken verschwenden sollen, was geht es uns an.

Du hast selbst gesagt, wir seien mitverantwortlich für jene Zustände, wirf einen Blick auf die Stadt, Ausguck, sieh die unersättliche Gier der Goldgräber, den Rassismus im Umgang der Menschen, die Vigilantenkommitees im Kampf um die Macht, und nicht der Mensch werde es sein, der sich verändere, sondern die äußeren Lebensumstände.

Der Mensch hat nichts dazugelernt?

Nichts. Jetzt? Mitte des neunzehnten Jahrhunderts? Er ist dabei, die letzten der prächtigen Windjammer zu entsorgen, und werde sie durch Dampfschiffe ersetzen. Wie? Wären wir je schlecht voran gekommen auf unseren Seglern? Weshalb solch ein Umbruch? Sind wir denn gänzlich falsch auf Scammons ›Boston‹?

Dieses wäre ein geeigneter Moment, Thimbleman, die Dinge aufzuhalten, das Verhängnis auszubremsen?

Exakt. Es wird viele derartiger Momente geben, jede der so lauthals gepriesenen technologischen Revolutionen ein solcher, doch der Mensch, vom Glanz geblendet, werde diese Gelegenheiten vorüberziehen lassen.

Der Ausguck nickte, nahm einige Schritte Anlauf und schlug einen Salto, Thimbleman ging zum Wasser und erfreute sich am Anblick der Wale, die ihren mächtigen Kopf aus dem Wasser schnellten. Diesen majestätischen Wesen  blieben mehrere ungestörte Tage, bevor die Walfänger erneut die Jagd eröffnen würden.

| WOLF SENFF
| TITELFOTO: NASA’s Goddard Space Flight Center/SDO/S. Wiessinger

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die Magie der Petersilie

Nächster Artikel

Transatlantische Beziehungen

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Abschied

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Abschied

Die finalen Feierlichkeiten sind eröffnet.

Das hat aber niemand bemerkt?

Du sagst es, Annika, das fällt kaum besonders auf, niemand faßt mehr einen klaren Gedanken. Die große Abschlußsause tobt, Bilder leuchten in allen erdenklichen Farben, Lärm und Getöse sind unsäglich, jeder Pulsschlag null auf hundert, weshalb, ein Event jagt das andere.

Pausenlos.

Ohne ihn

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ohne ihn

Mittendrin, sagte Farb, wir stecken mittendrin.

Keine Chance, sagte Wette.

Annika schenkte Tee nach, Yin Zhen, sie hatten wie immer das Service mit dem Drachendekor aufgedeckt, rostrot, das Tilman aus Beijing mitgebracht hatte, wo er einen Halbmarathon auf der Großen Mauer gelaufen war, diese Wettbewerbe, fand er, seien völkerverbindend, zumal in Zeiten wie diesen, ich komme darauf zurück.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Tilman reichte ihm einen Löffel Schlagsahne.

Der Planet balanciere sich neu.

Der jugendliche Camus

Menschen | Abel Paul Pitous: Mon cher Albert Wird Albert Camus noch gelesen? Die Pest? Camus stand stets im Schatten von Jean Paul Sartre. Oh, sie begründeten die Tradition der schwarzen Rollkragenpullover, dafür sei beiden gedankt, Camus kam leider früh zu Tode. Der hier veröffentlichte Brief fand sich im Nachlass des 2005 verstorbenen Abel Paul Pitou, eines Jugendfreundes von Camus, und wurde 2013 von dessen Sohn zur Veröffentlichung gegeben – die unscheinbarsten Manuskripte erreichen die Welt auf den kompliziertesten Pfaden. Pitous und Camus spielten in diversen Schulmannschaften gemeinsam Fußball, das verleiht dem Text spezielle Würze in diesem Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft.

Erzähler und Zuhörer

Kurzprosa | Uwe Timm: Montaignes Turm »Ich bin überzeugt, dass wir in unserer Seele einen besonderen Teil haben, der einem anderen vorbehalten ist. Dort sehen wir die Idee unserer anderen Hälfte, wir suchen nach dem Vollkommenen im anderen«, erklärte der männliche Protagonist Eschenbach in Uwe Timms letztem Roman Vogelweide (2013). Mit diesem äußerst anspielungsreichen Buch hatte Timm nicht nur einmal mehr seine immense Vielseitigkeit unter Beweis gestellt, sondern den Gipfel seines bisherigen künstlerischen Schaffens erklommen. Jetzt ist sein Essayband Montaignes Turm zu seinem 75. Geburtstag am 30. März erschienen. Von PETER MOHR

Ferne III

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ferne III

Seltsam, sagte Sut, sei, sich gegen Zukunft abzugrenzen.

Bildoon verstand das Problem nicht. Ein Problem? Jedenfalls klang es danach. Und überhaupt, wie kam Sut dazu, sich gegen die Zukunft abzugrenzen – das war starker Tobak, auf diesen Gedanken mußte jemand erst einmal kommen. Bildoon wurde neugierig.

LaBelle sah eine Sternschnuppe aufblitzen.

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.

Die Flammen schlugen hoch.