Roman | Peter Härtling: Tage mit Echo
Wieder einmal thematisiert Peter Härtling – ein Meister des biographischen Erzählens – das Getriebenwerden der künstlerischen Existenz. Tage mit Echo hinterlassen einen melancholischen und dennoch tröstlichen Nachhall. Von INGEBORG JAISER
Seit Jahrzehnten tingelt Robert Brodbeck schon durch die Republik, als Vorleser, Rezitator, Hörfunksprecher. Ein müder, alter Mann ist er inzwischen, längst jenseits des Pensionsalters, bereits mehrfacher Großvater, von zahllosen Vortragsreisen und zwei Herzinfarkten geschwächt, häufig erkältet, insgeheim erschöpft.
Und dennoch tobt immer noch das »alte Bühnentier« in ihm, auch wenn es seiner Agentin inzwischen erhebliche Mühe kostet, dem schon etwas abgehalfterten Künstler noch halbwegs lukrative Engagements zu vermitteln.
Nicht so laut vor Jerichow
In melancholischer Abschiedslaune kapriziert sich Brodbeck auf die Idee, aus den letzten Werken großer Schriftsteller vorzulesen: aus Joseph Roths Legende vom heiligen Trinker, aus Fontanes Stechlin oder Johnsons Jahrestage. Und so spült ihn genau dieser Einfall ins ländliche Mecklenburg-Vorpommern, in das Dörflein Klütz – Vorbild für den Ort Jerichow in Johnsons literarischem Werk. Einen Sommer lang soll Brodbeck dort allabendlich aus den Jahrestagen lesen, einem fast 2000-seitigen, vierbändigen Mammutwerk. Bis »die Puste ausgeht oder die Pumpe versagt«.
Trotz aller Erfahrung und professioneller Abgeklärtheit ist Brodbeck gerührt von den örtlichen Gegebenheiten: der kargen Privatherberge, den eifrigen »Hüterinnen« des Literaturhauses, der kleinen treuen Anhängerschaft, nebst einem jugendlichen Groupie. Dabei könnte die ernsthafte Gymnasiastin Sabrina fast seine Enkelin sein. Jeglichem Zeitempfinden entfremdet, von einer erneuten Herzattacke geschwächt, von vager Leidenschaft überwältigt, taumelt Brodbeck durch den Sommer. Könnte dieser unbändige Lese-Marathon vielleicht auch sein letzter sein?
Romantiker in Rom
Und dennoch entdeckt Brodbeck erneut einen Wesensverwandten, einen von den Künsten Getriebenen, dem Fernweh und Aufbruch schon früh zum Verhängnis wurden. Der Ende des 18. Jahrhunderts geborene Heidelberger Carl Philipp Fohr erkennt bereits in jungen Jahren seine Leidenschaft zur Malerei, entwindet sich den akademischen Vorgaben und prägt seine eigene Handschrift. Hinaus zieht es ihn, ins Weite und Fremde. Er will »Landschaften einsammeln« und Ausblicke festhalten. Von der sehnsuchtsvollen Rastlosigkeit einer neuen Epoche getrieben, macht sich der fast Zwanzigjährige auf den Weg – wie vor ihn bereits Hölderlin, Seume, Waiblinger.
Euphorisiert strandet er in Rom, schließt sich den Künstlern im Café Greco an und malt wie ein Besessener. Als ob er gewusst hätte, dass ihm nur noch wenig Zeit bleibt. Als er bei einem tragischen Badeunfall im Tiber ertrinkt, hinterlässt er letzte Bilder für ein letztes Buch.
Melancholischer Nachklang
Kurz vor Härtlings 80. Geburtstag erscheinen diese beiden Erzählungen über den fiktiven Vorleser Brodbeck (unschwer als Alter Ego des Autors zu deuten) und Fohr, dem Landschaftsmaler der beginnenden Romantik. Wie in vielen seiner zahlreichen Künstlerromanen überzeugt Härtling auch hier mit seinen einfühlenden Annäherungen, seinem sorgsamen biographischen Erzählen. Unbehaustsein und ehrgeiziges Getriebenwerden, Aufbruch und Abschied schmieden als verbindende Motive beide Geschichten zusammen. Und trotz bittersüßem Nachgeschmack hinterlassen diese Tage mit Echo eine Ahnung von Sehnsucht und Zuversicht.
| INGEBORG JAISER
Titelangaben:
Peter Härtling: Tage mit Echo
Zwei Erzählungen
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2013
256 Seiten. 18,99 Euro
Reinschauen
Leseprobe