Kleiner Vogel, großer Krieg

Comic | Little Bird 1 – Der Kampf um Elder's Hope

Darcy van Poelgeests und Ian Bertrams preisgekrönter Comic ›Little Bird‹ zeichnet ein dystopisches Amerika am Abgrund eines Glaubenskriegs. ›Der Kampf um Elder’s Hope‹, der erste Band der Miniserie, liegt bei Cross Cult in deutscher Übersetzung vor. CHRISTIAN NEUBERT hat ihn gelesen – und ist dabei vom Glauben an Vorschusslorbeeren abgefallen.

Little Bird Bd.1Der ewige Kampf um die Geschicke der Welt – das ist der Sprudel, der große Teile der Gattungen Science-Fiction und Fantasy nährt. Natürlich auch innerhalb des Mediums Comic, siehe ›Nausicaä aus dem Tal der Winde‹ vom Studio Ghibli-Gründer Hayao Miyazaki oder die ›John Difool‹-Reihe vom legendären Schöpferduo Alejandro Jodorowski und Jean Giraud alias Moebius. Ein aktuelles Beispiel für den immerwährenden Kampf liefert die Comicreihe ›Little Bird‹, die von dem kanadischen Regisseur Darcy van Poelgeest geschrieben und von Ian Bertram gezeichnet wurde.

Ihr erster Band ›Der Kampf um Elder’s Hope‹ ist das Comicdebüt des Filmemachers. Er liegt neu in deutscher Übersetzung bei Cross Cult vor.
Als Preisträger des diesjährigen Eisner Awards in der Kategorie ›Best Limited Series or Story Arc‹ sowie als Harvey-Award-Nominee zieht ›Little Bird‹ schon mal mit Vorschusslorbeeren in den Kampf. Ausgetragen wird er hier in Nordamerika, wo die USA in einer nicht näher bestimmten Zukunft zum Gottesstaat wurden. Von ihrem New Vatican aus führen sie einen Heiligen Krieg, einen Kreuzzug gegen die Ungläubigen.

Nordamerika in Flammen und Blut

Der Widerstand wächst derweil in Kanada und den Rocky Mountains. Eine kurze Exposition verfrachtet einen dorthin – und lässt Little Bird, die zentrale Figur der Miniserie, direkt mal die große Schlacht zwischen den Kreuzrittern und den Widerstandkämpfern in einem Bunker verbringen. Dem entkommen, blickt sie auf die Trümmer ihrer einstigen Heimat. Mit der vagen Hoffnung auf eine Zukunft in Freiheit, die an einen legendären Krieger geknüpft ist, macht sie sich auf, um eben diesen aus einem Hochsicherheitsgefängnis zu befreien.

Natürlich muss Little Bird bald erkennen, dass ihr Plan sie keineswegs schnurstracks von A nach B führt. Dass auch die Oberen des Kirchenstaats nicht konsequent sind, wenn es um die Verheißungen der Gentechnik auf der einen und bedingungslosem Glauben auf der anderen Seite geht. Und dass das Blut ihrer Familienbande nicht nur die Schlachtfelder Nordamerikas tränkt, sondern auch dicker als Weihwasser ist.

Als Leser wiederum erkennt man schnell die geistige Verwandtschaft des Comics zur eingangs erwähnten »John Difool«-Reihe – zumindest auf grafischer Seite. Die Statisten des Bands und die technisierten Kulissen des New Vatican scheinen direkt jener berühmten Schachtstadt auf Terra 21 entkommen zu sein. Und analog zu John Difool, der stets von seinem Betonvogel Dipo umflattert wird, wandert Little Bird in Begleitung einer Eule umher. Auch Matt Hollingsworths Kolorierung atmet deutlich den Odem des unsterblichen Moebius – was allerdings mit Hochachtung gemeint ist, denn initiativloses Epigonentum kann man hier niemandem unterstellen. Weiterhin lässt sich, Gott zum Gruße, eine Verwandtschaft zu Margaret Atwoods ›A Handmaids Tale‹ erkennen.

Ewiger Kampf, aktuelle Bezüge

›Little Bird 1: Der Kampf um Elder’s Hope‹ verquickt ältere und moderne Zeichenschulen und unternimmt einen mit dem Streithammer ausgeführten Brückenschlag zwischen frankobelgischen und nordamerikanischen Comic-Traditionen. Leider bleibt der Textanteil hinter der epischen Wucht der Bilderwelten zurück. Die Erzählung knüpft schon arg dünne Fäden zu Handlungssträngen, die zwar immer wieder Platz für angenehm spinnerte Detailfreude finden, sich aber letztendlich doch nur von Blutbad zu Blutbad hangeln.

So liegt es eben vorrangig in den Händen der verdienten Zeichner Bertram und Hollingsworth, den sprichwörtlichen Ring dieses Bands zum Feuer seines Finales zu tragen. Glücklicherweise schaffen sie es, man mag den Comic nicht weglegen. Nur sind es neben dem schalen Gefühl, sich gerade durch Bekanntes und Halbgares gerungen zu haben, hier einzig die Bilder, die bleibend beeindrucken.

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Darcy van Poelgeest (Text) / Ian Bertram: Little Bird 1 – Der Kampf um Elder’s Hope
Übersetzung: Peter Schadt
Ludwigsburg: Cross Cult 2020
208 Seiten, 35 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Auf einem Baum sitzen

Nächster Artikel

Kamera einpacken und raus in die Natur

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Die (Bild-)Sprache der Unterdrücker

Comic | Anton Kannemeyer: Papa in Afrika Bei Avant ist unter dem Titel ›Papa in Afrika‹ eine Werkschau des südafrikanischen Comickünstlers und provokanten Satirikers Anton Kannemeyer erschienen. Die Ähnlichkeiten mit dem ersten Band von Tim und Struppi sind natürlich alles andere als zufällig – und gut dazu geeignet, einem Hergé-Fan wie BORIS KUNZ die Schamesröte ins Gesicht zu treiben.

Ein Preis für den König

Comic | Internationaler Comic Salon Erlangen 2014: Max und Moritz-Preis 2014   Mit Ralf König wurde auf dem Comic-Salon 2014 zum ersten Mal ein deutscher Comic-Künstler mit dem Max und Moritz-Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Auch in den weiteren Kategorien sorgten die Gewinner für Überraschungen. Von CHRISTOPHER FRANZ

Jungenphantasien in einem erwachsen gewordenen Medium

Comic | Daniel Clowes: Der Todesstrahl Kann es bei all den postmodernen Superheldengeschichten der letzten Zeit (Kick Ass, Superior, den wiederbelebten Watchmen etc.) überhaupt noch möglich sein, einen weiteren originellen Ansatz zu finden, von Superhelden im wirklichen Leben zu erzählen? BORIS KUNZ hat mit Staunen festgestellt, dass es dem vielseitigen Comic-Künstler Daniel Clowes tatsächlich gelungen ist.

Ein haariges Vergnügen

Comic | Stephen Collins: Der gigantische Bart, der böse war Ein Bart als Ursache einer Katastrophe: Stephen Colllins findet in seinem philosophisch-märchenhaften Comic ›Der gigantische Bart, der Böse war‹ viel Humor zwischen den Trümmern, die kein geringeres Monster als wild wuchernde Gesichtsbehaarung hinterlässt. Von CHRISTIAN NEUBERT

Vielfältige Fortsetzungen

Comic | Aya – Leben in Yop City / Der Schatz der Tempelritter 2 / Gung Ho 2 / Hexe total 2 Eine Seifenoper von der Elfenbeinküste, eine historische Heist-Story aus dem Mittelalter, irre Drogengeschichten aus einem kranken Fabuland, Teenie-Romanzen in einer postapokalyptischen Zukunft – so unterschiedlich diese Comicserien auch sein mögen, sie haben etwas gemeinsam: Sie haben einen furiosen Start hingelegt und BORIS KUNZ Lust auf mehr gemacht. Höchste Zeit also, einen Blick in den jeweiligen zweiten Band zu werfen.