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Bleib erschütterbar!

Peter Rühmkorf: Zwischen den Kriegen, Laß leuchten

Vor 12 Jahren starb der Dichter Peter Rühmkorf. Letztes Jahr, zu seinem 90. Geburtstag gab es eine Ausstellung in Hamburg und den Reprint seiner Zeitschrift ›Zwischen den Kriegen‹, die er in den 50er-Jahren mit Werner Riegel zusammen herausgab. Und nun, zur Ausstellung im Schiller-Nationalmuseum in Marbach, ist noch ein Buch über ihn erschienen, das Marbacher Magazin. Alles zusammen sehr lesenswert. Von GEORG PATZER

»(Arno) Schmidt ist der bedeutendste deutsche Erzähler der Gegenwart. Ich wüßte ihn nicht anders zu bezeichnen, obwohl keine seiner Erzählungen Erzählung genannt werden kann; es ist eine Belletristik, so paradox modern, daß man ihr nur mit barocken Begriffen beikommen kann. (…) Es sind – um einen Titel zu gebrauchen, den Wieland einmal benutzte – »Beiträge zur geheimen Geschichte der Menschheit«; es sind Notizen zu Vorgängen und Ansichten, die in der gesamten sonstigen epischen Bemühung der gegenwärtigen, der zu sehr mit einer »offiziellen« Darstellung dieser Zeit beschäftigten Autoren keinen Platz finden«. Eine mutige Behauptung, zumal 1955, als Schmidt eher ein Gerücht als ein allgemein bekannter Autor war, erfolglos und zudem von der Justiz wegen Gotteslästerung und Pornografie verfolgt. Lothar Leu schrieb seine mehrere Seiten lange hymnische und sehr klarsichtige Besprechung, die Schmidt zwischen Döblin und Stramm ansiedelt, in der Zeitschrift ›Zwischen den Kriegen‹.

Zwischen den KriegenDiese Zeitschrift, herausgegeben und zum großen Teil geschrieben von Peter Rühmkorf und Werner Riegel, ist heute selber nur noch ein Gerücht. 1952 bis 1956 erschienen 26 Ausgaben mit jeweils 12 Blättern, mühsam mit einer Matrize vervielfältigt und mit einem Holzschnitt als Titelblatt versehen – die Auflage betrug 100 bis 150 Exemplare. Die üblichen Verdächtigen erhielten einzelne Nummern: Benn, Andersch, Schmidt, Döblin, Hans Arp und Curtius: interessante Überschneidungen mit einem anderen Zeitschriftenenthusiasten, Rainer M. Gerhardt aus Karlsruhe mit seinen »Fragmenten«, der auch Schmidt hymnisch lobte, mit Arp und Curtius in Kontakt war und ebenso erfolglos blieb – 1954 beging er Selbstmord. Auch Riegel und Rühmkorf erkannten die Erfolglosigkeit ihres Unternehmens, nach drei Nummern schrieb Riegel an Kurt Hiller, die »Folgenlosigkeit« sei »selbstverständlich«. Als Riegel am 11. Juli 1956 starb, starb auch die Zeitschrift. Arno Schmidt schrieb:

Wehe die wankenden Reihen des Geistes! :
Brecht stirbt; Benn ist tot; macht ein Kreuz hinter Riegel.

Es war eine Zeit des Aufbruchs und Neuentdeckungen, die nicht nur Gerhardt dazu brachte, erstmals Ezra Pound ins Deutsche zu übersetzen und Freundschaft mit den amerikanischen avantgardistischen Poeten Charles Olson und Robert Creeley zu schließen, sondern auch Rühmkorf und Riegel, eine politische und ästhetische Zeitschrift herauszugeben. Rühmkorf wohnte damals in Hamburg in einer »Hochleistungs-Kommune« mit Werner Busse, Klaus Rainer Röhl und Peggy Parnass zusammen, sie gründeten den Arbeitskreis Progressive Kunst, eine Studentenbühne mit dem Namen »Die Pestbeule – KZ-Anwärter des 3. Weltkriegs e.V.« und den Jazz- und Literaturkeller »Anarche«, der am 4. Oktober 1952 eröffnet wurde. Dort lernten sich Rühmkorf und Riegel kennen.

Wieso ›Zwischen den Kriegen‹? Im Editorial heißt es: »Die Herausgeber dieser Veröffentlichung sind der Meinung, dass wir heute zwischen zwei Kriegen leben. Sie sind der Meinung, dass der nächste Krieg unmittelbar vor der Tür steht, und dass es Menschen gibt, die sich anschicken, die Tür zu öffnen, um den Krieg einzulassen. Es wird schon wieder hell, sagen die Nachtwächter in allen Erdteilen und zünden die Häuser an.« Durchaus hellsichtig wendet sich die Zeitschrift in der Zeit des Koreakriegs und der deutschen Wiederbewaffnung und der Gefahr eines Atomkriegs zwischen den USA und der UdSSR gegen den Krieg. Und gegen die Feigheit und Dummheit. Wie z.B. auch Arno Schmidt. Und außer ihnen nur wenige andere, auch deswegen blieb die Zeitschrift ›Zwischen den Kriegen‹ folgenlos.

Dennoch ist es aufregend, diese frühen auch ästhetischen Widerständler neu zu entdecken. Man kann das jetzt in aller Ausführlichkeit, weil es seit letztem Jahr einen Reprint aller 26 Ausgaben gibt, begleitet von einem tiefgehenden Nachwort und ausführlichen Kommentaren, die man bei den vielen literarischen, historischen und politischen Anspielungen auch braucht: Sieburg kennt man vielleicht grade noch, aber z. B. Paul Fechter, Kurt Ziesel (ein »österreichischer Scheissnazi«, sagte Rühmkorf) oder Gieselher Wirsing sind zum Glück vergessen.

Mit nur wenigen Autoren, die von außen kamen, (u.a. Kurt Hiller und Hans Henny Jahnn), wurde die Zeitschrift vor allem mit vielen pseudonymen Namen bestückt: Rühmkorf schrieb auch als Leslie Meier, Johannes Fontara und Leo Doletzki, Riegel auch als Conrad Kefer, Lothar Leu und Scharbock. Vom eher politisch-pazifistischen Anfang wurde »Zwischen den Kriegen« dann mehr zu einer literarisch-kulturellen Zeitschrift, in der vor allem der literarische Expressionismus wiederentdeckt wurde, Jakob von Hoddis und der Karlsruher Carl Einstein bekamen Sonderhefte, Heym, Trakl, Werfel und Soergel waren ihre Vorbilder.

Die ästhetische Armut der Gestaltung war dabei auch Programm der Totalverweigerer, die sich gegen die Kulturindustrie mit ihren subtilen Einflussnahmen wandten – Arno Schmidt hätte ihnen anhand des »Pocahontas«-Prozesses auch viel über die nicht so subtilen Drohungen durch die Justiz erzählen können. Für die beiden Jüngeren war die arme Kunst mit dem schlechten Papier eine passende Ausdrucksform »der Verfemten, der Ausgestoßenen, der Exilierten, der Distanzierten, (…) der Unbeugsamen und Eigenen im Geiste«. Und natürlich gab es eigene, frühe Gedichte der beiden zu lesen.

Rühmkorf gab die Zeitschrift bei Riegels Tod auf, wurde Lyriker und Lektor bei Rowohlt und konnte vor allem seine lyrische Produktion fortsetzen. Ihm war zu seinem 90. Geburtstag im letzten Jahr, eine große Ausstellung in Hamburg gewidmet, die jetzt im Schiller-Nationalmuseum in Marbach leider nicht besuchbar ist, dafür gibt es ein Marbacher Magazin, das Rühmkorfs Geschichte schön aufblättert.

Gestützt auf seinen riesigen Vorlass von über 600 Kästen, der in Marbach lagert, hat die Arno-Schmidt-Stiftung, die die Rechte an Rühmkorfs Werk geerbt hat, unter dem Motto »Laß leuchten!« einen intensiven Blick auf diesen Dichter geworfen.

Laß leuchten!
Weißt du noch wie du noch Kletten im Haar,
Knöpfe in der Kollekte …
als das Leben anfänglich war
und nach weiterem schmeckte?
Weißt du noch wie du noch Wasser im Blick,
flußweis oder im Kübel –
Spar dir die Zeit und vertreib nicht das Glück
mit deinem Rückwärtsgegrübel.
Alles ist schon son bißchen Schieschie,
nichts geht mehr lustig vonstatten;
wie sich auf einer Beerdigung die
Lebensbäume begatten.
Langsam bis in die Krone verfilzt;
Ausfälle nicht mehr zu leugnen.
Dabei weißt du genau, was du willst:
einmal dich richtig ereignen –
Aus dem Kopf oder nach der Natur
deine Blätter entrollen …
Ich selber habe auch eigentlich nur
diesen Herzschlag mitteilen wollen.
Wie mir die Welt in die Augen da sticht,
Wünsche, die wir verscheuchten –
Mach nicht son blödes blindes Gesicht.
Laß deine Anlagen leuchten!

Rühmkorf - Lass Leuchten - 750Gesammelt hat Rühmkorf alles, Zettel, Hüte, Dosen und Tüten, vor allem aber Worte und Wörter und Einfälle. Seine Schnipsel und Fragmente, die er überall notierte, nannte er »Lyriden«, »Niederschlagseinheiten« oder »Quanten«, kleine energievolle Einheiten, die er zu Gedichten zusammenfügte, die aus ganz unterschiedlichen Bereichen zusammengefügt sind. Und Auskunft geben über den Dichter und seine Zeit:

›Was ist der Mensch?‹
(sein Wesen?) – schwer zu fassen.
Lauter so Sprenkel, die nicht zueinander passen.
Von wo entsprungen, woraufhin vermengte?
Vielleicht, daß die mal jemand logisch aneinanderhängte …

Für Rühmkorf, der sich auf viele poetische Vorfahren berief, von Brecht, Benn und Brockes über Ringelnatz und Klopstock bis zu Walther von der Vogelweide, »des Reiches genialster Schandschnauze«, sind der Mensch und die Lyrik immer auch politisch, wie er in seinem wohl bekanntesten Gedicht geschrieben hat:

Finsternis kommt reichlich nachgeflossen;
aber du mit – such sie dir! – Genossen!
teilst das Dunkel, und es teilt sich die Gefahr,
leicht und jäh —
Bleib erschütterbar!
Bleib erschütterbar – und widersteh.

Das Marbacher Magazin beginnt mit einigen eher schwächeren Interpretationen seiner Gedichte, bevor es kenntnisreich sein Leben und sein poetisches Schaffen zwischen Politik, Poesie und Liebe nachvollzieht. Die kritische Distanz Rühmkorfs zur politischen Geschichte der Bundesrepublik, auch die zu 1968, als der »Tod der Literatur« ausgerufen wurde, seine Nähe zur SPD – all das wird schön nachgezeichnet. Besonders spannend sind die Ausführungen zu Rühmkorfs intimer Kenntnis der Poesiegeschichte und der Poetologie – er war stets ein eifriger und penibler Handwerker, der seine Gedichte zwar manchmal einer Epiphanie verdankte, aber danach auch sehr viel Zeit, Mühe und Arbeit daran setzte, seine Texte so genau wie möglich zu gestalten, bis in die kleinsten Einheiten von Versmaß und Rhythmus hinein. In der Ausstellung zeigt sich das an den 695 Zetteln, die es zu seinem 6 Seiten langen Gedicht »Selbst III/88. Aus der Fassung« gibt, Vorstufen und Korrekturen. Rühmkorf war, man sieht es auch hier genau, ein Perfektionist.

Und vergessen sollte man auch nicht, dass Rühmkorf schon früh mit Jazz-Musikern aufgetreten ist, dem Pianisten Michael Naura und dem Vibraphonisten Wolfgang Schlüter. Wer ihn wie ich öfter mal in Bielefeld live gehört hat, wird den typischen Rühmkorf-Sound (»Komm raus!«) nicht mehr vergessen und ihn beim Lesen seiner Gedichte im Ohr haben. Auch das wäre in der Ausstellung zu hören …

| GEORG PATZER

Titelangaben
Marbacher Magazin 171/172
»Laß leuchten!« Peter Rühmkorf – selbstredend und selbstreimend
Marbach: Deutsche Schillergesellschaft 2020
192 Seiten. Zahlreiche farb. Abb. 18 Euro

Zwischen den Kriegen
Blätter gegen die Zeit
Eine Zeitschrift von Werner Riegel und Peter Rühmkorf
Herausgegeben von Martin Kölbel
Göttingen: Wallstein Verlag 2019
626 Seiten, 50 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

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