Bücher, Bücher überall!

Kulturbuch | Nina Freudenberger: BiblioStil

Vom Glück und der Leidenschaft, sich mit Büchern zu umgeben, schwärmen Nina Freudenberger und Shade Degges im opulenten, reich illustrierten und detailverliebten Bildband BiblioStil. Am liebsten möchte man in einem der plüschigen Lesesessel versinken, in die überquellenden Bücherregale greifen und die Zeit vergessen. Von INGEBORG JAISER

BiblioStil Vom Leben mit Buechern von Nina FreudenbergerWohin nur mit all den Büchern, werden viele von uns regelmäßig seufzen. Wenn die Stapel fast hüfthoch wabern und die Regale bereits zweireihig bestückt sind, gerät man leicht an physikalische Grenzen.

So wie der Protagonist aus Nick Hornbys Roman High Fidelity in jeder Lebensphase seine Plattensammlung neu ordnet, mag auch das Arrangement literarischer Bestände Ausdruck individueller Persönlichkeit sein und sich bisweilen dynamisch verändern.

Wie anregend und inspirierend kann da der Blick in eine fremde Bibliothek, ein anheimelndes Lesezimmer sein. Die Innenarchitektin Nina Freudenberger und die Fotografin Shade Degges haben bislang verschlossene Türen aufgestoßen und gewähren uns Einblicke in die Räume von bibliophilen Sammlern, Schriftstellern, Verlegern – oder Menschen, die ihre Liebe zum gedruckten Wort einfach sichtbar in ihrem Ambiente ausleben.

Mal Dekoration, mal Inspiration

»Bücher sind an sich ästhetisch – ihre Einbände, ihre Umschläge – und ihre Anordnung im Regal oder ein Stapel auf dem Beistelltisch verleihen jedem Raum Balance und Struktur,« findet Freudenberger, auch wenn die von ihr porträtierten Leser und Sammler, Möbel und Häuser nicht immer diesem feinsinnigen Ideal folgen.

Denn die Gründe, sich mit Büchern zu umgeben, sie zu präsentieren, zu ordnen, aus- und aufzustellen, könnten vielfältiger nicht sein: Für den einen sind sie Dekoration, für den anderen Inspiration, Dokumentation oder wilde Leidenschaft.

Welch außergewöhnliche Symbiose Mobiliar, Kunstgegenstände, Designstücke und ganz gewöhnliche Alltagsgegenstände mit Büchern eingehen können, wie Kollektionen und Obsessionen zusammenspielen, lässt sich auf gut 270 großformatigen Seiten sehr eingehend studieren. Mattgrüner Leineneinband, kontrastierende Vorsatzblätter und Exlibris machen diesen üppigen, geschmackvoll gestalteten Bildband ohnehin zur Augenweide.

Ein eigener Raum für Gedanken

»Die Hauptregel in diesem Haus heißt: Niemals wird ein Buch weggeworfen«, beteuert das New Yorker Künstlerehepaar Hackett/Antonson, deren wachsende Bücherstapel selbst den Fernseher verdecken, der bei Bedarf eben freigeschaufelt werden muss. Weitaus aufgeräumter hat der Schriftsteller Jonathan Safran Foer dagegen seine persönliche Bibliothek eingerichtet, die ein »eigener Raum für Gedanken« sein soll und mit maßgeschneiderten Regalen, geblümtem Sofa und plüschigem Teppich ein Gefühl von wohliger Behaglichkeit verbreitet. »Ich bin davon überzeugt, dass verschiedene Räume unterschiedliche Gedanken und Erfahrungen hervorbringen«, versichert der Autor, der grundsätzlich nur in seinem Bibliotheksraum liest, aber andernorts die Bücher aufbewahrt, der er noch lesen könnte (ein »literarischer Optimismus«).

Von intensiver Lebenslust zeugt das Arbeitszimmer von Karl Ove Knausgård, mit überquellenden Aschenbechern, benutztem Geschirr und vollgestopften Bücherregalen – das chaotische Bilderbuchrefugium eines Besessenen. Mangelnde Ordnung und verteilte Aufstellung führen offenbar immer wieder zu langem Suchen, aber auch zu überraschenden Zufallsfunden. Weitaus strenger geht es in systematisch geordneten Fachbibliotheken oder in sorgsam kuratierten Sammlungen wie die des italienischen Verleger-Ehepaars Ricci zu, das in einem neoklassizistischen »Heiligtum der Typografie« residiert.

Einige Dutzend Privatbibliotheken und literaturverliebte Persönlichkeiten werden in BiblioStil vorgestellt, von der Innenarchitektin und Designkennerin Freudenberger charmant und detailreich beschrieben, von Shade Degges gekonnt fotografisch in Szene gesetzt, mit klarem Blick für Individualität und unverwechselbarem Formgefühl. Eine überbordende Inspirationsquelle für alle bibliophilen Einrichtungsenthusiasten und leidenschaftlichen Büchermenschen.

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
Nina Freudenberger mit Sadie Stein: BiblioStil
Vom Leben mit Büchern
Fotos von Shade Degges
München: Prestel 2020
270 Seiten, 36 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Eine spannende Reise

Nächster Artikel

Farb

Weitere Artikel der Kategorie »Kulturbuch«

Spacegirl Matha auf dem Mars

Kulturbuch | Cristina De Middel: The Afronauts Als der Wettlauf zum Mond in den 1960er Jahren auf dem Höhepunkt war, triumphierte eine Zeitung mit der Überschrift: »We’re going to Mars! With a Spacegirl, two Cats and a Missionary.« Verfasser des Artikels war ein ambitionierter Exzentriker namens Edward Makuka Nkoloso, ehemaliger Aktivist für die Unabhängigkeit von Sambia, Lehrer und Direktor seiner eigenen Akademie der Wissenschaft, Weltraumforschung und Philosophie – Sambias inoffiziellem Raumfahrtprogramm. Von SABINE MATTHES

China, China, China!

Kulturbuch | Jing Liu: Chinas Geschichte im Comic Die internationalen Beziehungen verändern sich rasant. Was gestern noch unverrückbar erschien, bricht heute zusammen, das betrifft vor allem die globalen Machtzentren: eine zerstrittene EU, eine sich zerlegende USA, ein bedrängtes Rußland und ein noch immer eher rätselhaftes, aber kontinuierlich aufstrebendes China. Von WOLF SENFF

Leerlaufkompetenz

Kulturbuch | Ehn / Löfgren: Nichtstun Die Muße einer Siesta wird heute immerhin nicht mehr überall als unproduktiver Gegensatz zur Arbeit verteufelt. Auch Nicht-Tätigkeit hat ihre sozialkompatiblen Funktionen. Aber wie sieht das bei den vielen anderen kleinen und größeren »Leerzeiten« aus – Rumstehen an Bushaltestellen oder vor Supermarktkassen beispielsweise? Ist das nicht »verlorene Zeit« fürs Individuum wie fürs Kollektiv? Im Gegenteil, zeigen Billy Ehn und Orvar Löfgren in ihrer fulminanten Studie Nichtstun. Eine Kulturanalyse des Ereignislosen und Flüchtigen. Von PIEKE BIERMANN

Vom Startschuss in schwindelnde Höhen

Kulturbuch | Kay Schiller: WM 74. Als der Fußball modern wurde Brasilien wirft Schatten voraus, düstere Schatten, die FIFA ist zu einem geldfressenden Ungeheuer mutiert, bewohnt von hirn- und seelenlosen Greisen – ein Trojan horse relaunched, das von einem triumphalen Einzug nach Brasilien träumt. Da fragen wir uns jetzt schon, wie das ausgehen wird. Nein, wir reden diesmal gar nicht von Fußball, Fußball ist ein schönes Spiel. Von WOLF SENFF

Ein Monument für Mordechai

Kulturbuch | Uwe von Seltmann:Es brennt Mit ›Es brennt‹ würdigt Uwe von Seltmann den bekannten jüdischen Dichter und Liedermacher Mordechai Gebirtig und dessen Lebenswerk, etwa 120 bis heute gesungene jiddische Volkslieder. Von FLORIAN BIRNMEYER