Rettung durch die magische Kugel

Jugendbuch | Siri Pettersen: Bubble

Kine ist ein normaler Teenie, und ihr stinkt die Schule, und ihre Mutter geht ihr auf die Nerven. Dann findet sie eine Kugel, in die sie sich retten kann. Aber auch das hat seinen Preis. Und das muss Kine auch erst mühsam und unter Lebensgefahr lernen. Von GEORG PATZER

Bubble - Die magische Kugel 9783961770700 - 750Kine hat es nicht leicht. In der Schule wird sie gemobbt, ihre Mitschülerin Viktoria ist eine eingebildete Zicke, Jarle ist einfach nur unausstehlich, Monrad zündet alles an, was ihm unter die Finger kommt, am liebsten die Mützen von »Förderbedarf-Aslak«. Der Busfahrer frisst rohen Knoblauch, ihr Vater interessiert sich nur für Geologie und Erdbeben, und ihre schrillstimmige Mutter ist wie »eine meckernde Möwe«, die alles kontrollieren will: Alles ist lebensgefährlich, überall lauern Viren und Bakterien. Nichts, was man als Teenie, die ihre gebrauchte Kleidung auf dem Boden nach dem System ablegt, dass die Sachen, die man noch anziehen könnte, am nächsten zum Bett liegen, während die an der Tür dann doch schon mal bald in die Wäsche könnten. Und dann soll sie auch noch beim Weihnachtsauftritt auf dem Marktplatz in ein Engelskostüm steigen und mitsingen … Das Leben ist eine einzige Katastrophe.

Und der Schwimmunterricht ist das Schlimmste. Eigentlich kann Kine gut schwimmen, aber sie will es nicht. Vor allem, seit sie den Spitznamen Bubble hat: angeblich hat sie einmal im Wasser gepupst, dass Blasen nach oben gestiegen sind. Was gar nicht stimmt. Jedenfalls will sie nicht mehr, und als ihre Lehrerin, Oda Kveler, genannt die »Quälerin«, sie dazu zwingen will, stößt sie sie ins Wasser und haut ab. Rennt auf einen Friedhof, wo sie endlich ihre Ruhe hat. Eine kleine Kugel findet und mitnimmt. Und damit fängt ihr Abenteuer so richtig an.

Denn die Kugel ist magisch: Am nächsten Morgen ist sie plötzlich riesengroß, drin liegt nur eine große Stoffpuppe, und Kine entdeckt, dass sie in die Kugel hineinsteigen kann, aber sonst niemand. Und dann findet sie heraus, dass die Kugel alles macht, was sie will, auch wenn sie es nur denkt: Zum Beispiel kann sie fliegen, auch durch Hauswände hindurch. Sie erfüllt alle Wünsche, die man nur sorgfältig genug formulieren muss, selbst in seinen Gedanken. Und so wünscht sich Kine für die anfangs leere Kugel alles Mögliche: Laptops, einen Hoodie, ihre Katze, gemütliche Kissen, was zu essen, eine Toilette – alles wird erfüllt. Und endlich fühlt Kine sich sicher und geborgen vor der bösen Erwachsenenwelt. Aber wie immer haben Wünsche auch ihre Konsequenzen. Und das lernt sie auch nach und nach, und zwar auf die harte Tour.

Die norwegische Autorin Siri Pettersen, die mit der Trilogie ›Die Rabenringe‹ berühmt geworden ist, erzählt in ›Bubble‹ eine Geschichte, die sich nach und nach steigert: Von der Mutter ständig gegängelt, vom Vater eher nicht beachtet, hat Kine normale Teenie-Probleme. Sie will als erwachsene Person behandelt werden, handelt aber nicht unbedingt selbst danach, sondern dreht regelmäßig durch. Verweigert sich, weiß nicht, wohin mit sich – fühlt sich durch alles bedroht und von allen gehasst, außer von ihren beiden Freundinnen Vivi und Aurora.

Die Kugel bietet ihr Schutz, in dem Kine erst mal ihren Egoismus auslebt: Alles will sie haben, ohne große Rücksicht auf die Gefühle anderer, ihrer Eltern, ihrer beiden Freundinnen. Bis sie dann merkt, dass zum einen nichts Lebendiges in ihre Kugel kommen kann, auch nicht ihre geliebte Katze Tipsi und dass zum anderen das, was sie sich wünscht, irgendjemandem weggenommen wird. Und dann wird die Kugel immer undurchlässiger, bis sie nicht mehr herauskann. Und plötzlich wird die totenköpfige Flickenpuppe auch noch lebendig.

Es ist ein halb phantastisch-gruseliger, halb realistischer Roman, in dem ein Mädchen auf eine sehr abstruse Art lernt, was Leben wirklich bedeutet. Dass sie viele Menschen auch falsch eingeschätzt hat, dass nicht nur die Welt böse zu ihr ist, sondern sie sich auch oft selbstsüchtig verhalten hat: Wieso lässt sie es zu, dass Monrad immer zündelt? Wieso beschützt sie ihren Mitschüler Aslak nicht? Und ist Jarle wirklich so unausstehlich? Und ihre Mutter so gemein?

Mit ein paar wenigen Hängern in der Geschichte führt Pettersen die Geschichte sehr schön durch viele Windungen und steuert auf einen grandiosen, skurrilen und sehr schönen Höhepunkt zu: zur Weihnachtsaufführung der Klasse, der so ganz anders wird, als man sich das überhaupt vorstellen kann.

| GEORG PATZER

Titelangaben
Siri Pettersen: Bubble. Die magische Kugel
(Bobla, 2017). Übersetzt von Dagmar Mißfeldt
Zürich: WowBooks 2020
332 Seiten, 16 Euro
Jugendbuch ab 10 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Im Reich der Lichter

Nächster Artikel

Asche in zwei Urnen

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Wer sät, der wird staunen

Jugendbuch | Nicola Skinner: Agatha Merkwürdens Racheblumen Melissa ist das bravste Mädchen überhaupt. Und sie tut alles, um ihr angepasst sein, ihre Ordentlichkeit, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit noch zu perfektionieren. Wenn dabei ein paar seltsame Blumensamen helfen können, umso besser. Von ANDREA WANNER

Glaubenssache

Jugendbuch | Andy Mulligan: Der zweite Kopf des Richard Westlake Teresa Toten: Der ungewöhnliche Held aus Zimmer 13B Sehr ungewöhnliche Helden treten in den neuen Jugendromanen von Andy Mulligan und Teresa Toten auf. Hintergrund ist in beiden Fällen ein seelisches Trauma. Während Mulligan seine Geschichte ins Fabelhafte überhöht, verweist Toten in die Metaphysik des Katholizismus. Ob Leserinnen und Leser das akzeptieren können, ist in beiden Fällen Glaubenssache. Von MAGALI HEISSLER

Tour de Force der Fantasie

Jugendbuch | Flix: Immerland – Die Stadt der Ewigkeit

Gibt es etwas Langweiligeres für einen knapp 13jährigen Jungen als die Ferien bei seiner Oma zu verbringen? Die ihn »mein Spätzchen« nennt, deren kulinarische Produkte allesamt ungenießbar sind und in deren Haus es nicht einmal Netz gibt, sodass jegliche Form von normaler Freizeitbeschäftigung flachfällt? Vermutlich nicht. Allerdings ahnt Mika nicht, dass er kurz vor dem Abenteuer seines Lebens steht, staunt ANDREA WANNER über das furiose Abenteuer.

Dem Sturm trotzen

Jugendbuch | Anna Woltz: Hundert Stunden Nacht Mit Schwierigkeiten hat die 14jährige Emilia gerechnet, als sie mit der Kreditkarte ihres Vaters einen Flug gebucht hat und einfach nach New York verschwunden ist. Allerdings sehen sie anders aus als vermutet. Von ANDREA WANNER

Sich finden und wiederfinden

Jugendbuch | Michael Hammerschmid: Was keiner kapiert

Lyrik gehört nicht unbedingt zu der Sorte Literatur, die besonders viel gelesen wird. Schade, findet ANDREA WANNER und legt allen Teenagern und Junggebliebenen den Gedichtband ›Was keiner kapiert‹ ans Herz.