Sie war exzentrisch und menschenscheu, hedonistisch und depressiv. Sie liebte Katzen, hasste Kinder und bezeichnete Mord als eine »Art des Liebesspiels, eine Art des Besitzergreifens«. So rätselhaft wie das Leben der Schriftstellerin Patricia Highsmith war auch ihr weltweit erfolgreiches Werk. Von PETER MOHR
Keine andere Krimiautorin der Welt hat es zu solch großem literarischen Ansehen gebracht wie Patricia Highsmith. Ihre psychologisch fein gesponnenen Geschichten, in denen nicht selten der Täter als Identifikationsfigur fungierte, haben eine gewaltige Leserschaft gefunden und sind in mehr als 25 Sprachen übersetzt worden.
Patricia Highsmith, die am 19. Januar 1921 im texanischen Fort Worth als Mary Patricia Plangman geboren wurde, verlebte eine unglückliche Kindheit. Ihr Vater hatte sich vor ihrer Geburt von der Familie getrennt, die von ihr verhasste Mutter ging mit ihr nach New York und heiratete Stanley Highsmith. »Dieses laute, vom Ehestreit verseuchte Leben hat mich endgültig traumatisiert«, notierte die Autorin 1985 in ihrem autobiografischen Werkstattbericht ›Suspense oder Wie man einen Thriller schreibt‹. Ihr Verhältnis zum Stiefvater bezeichnete sie später in ihren Aufzeichnungen als »Hass auf den ersten Blick«.
Nach ihrem Literaturstudium und Gelegenheitsjobs als Comicautorin landete die seit ihrer frühesten Jugend dem Nikotin und dem Alkohol frönende damals knapp 30-Jährige mit ihrem ersten Roman einen Riesenerfolg. ›Zwei Fremde im Zug‹ (1950) war von Alfred Hitchcock nach einem Drehbuch von Raymond Chandler unter dem Titel ›Verschwörung im Nachtexpress‹ verfilmt worden.
Trotz dieses Achtungserfolges dauerte es noch vier Jahre, ehe sich ein Verlag für Highsmiths zweiten Roman ›Der Stümper‹ fand. Der Erstling ›Zwei Fremde im Zug‹ war zwar literarisch wenig anspruchsvoll, aber doch richtungsweisend für die späteren Arbeiten.
Zwei Fremde treffen in einem Zug aufeinander und versprechen sich gegenseitig (jeweils im Auftrag des anderen), einen Mord auszuführen. Wie in ihren späteren Romanen (insgesamt liegen mehr als 20 in deutscher Übersetzung im Diogenes Verlag vor) ging es Highsmith nicht primär um die Tat, sondern um die Beweggründe der Täter, um einen tiefen Einblick in ihre Psyche.
»Ich erfinde Geschichten, und mein Ziel ist es nicht, den Leser moralisch aufzurüsten, sondern ich will ihn unterhalten«, bekannte die Erfolgsautorin, die nicht selten normale Zeitgenossen zu Psychopathen werden ließ. So entstanden keine bluttriefenden Stories über brutale Massenmorde, sondern Alltagsgeschichten, in denen Highsmith die Entwicklung von »Gelegenheitsverbrechern« nachzeichnete. »Deren Motive fesseln mich«, schrieb die Autorin in ihrem autobiografischen Werkstattbericht. Vor allem die fünf Romane um die Figur des Tom Ripley begründen Highsmiths großen Nachruhm – forciert durch die Verfilmungen mit u.a. Alain Delon und Matt Damon als Ripley. »Es gibt am Plot von Ripley nichts Spektakuläres, aber das Buch wurde beliebt wegen seiner fieberhaften Prosa und der Frechheit und Kühnheit von Ripley selbst«, hatte Highsmith selbst über ihren ersten Ripley-Roman notiert.
Im Gegensatz zu vielen anderen Kriminalschriftstellern erfreute sich Highsmith in literarischen Kreisen einer sehr großen Wertschätzung. Graham Greene sah in ihr »eher eine große Dichterin, denn eine Krimiautorin«, und Peter Handke fühlte sich trotz der oftmals beklemmenden Lektüre stets »im Schutze einer großen Schriftstellerin.«
Wichtige Anregungen für ihre Arbeiten fand die Autorin – so ein Selbstzeugnis – in den Schriften des deutsch-amerikanischen Psychiaters Karl A. Menninger, der sich vor allem mit Menschen mit psychischen Defekten befasste. »Obsessionen sind das einzige, was zählt«, hatte Highsmith einmal in einem ihrer seltenen Interviews erklärt.
1953 hatte sie unter dem Pseudonym Claire Morgan den Roman ›The price of salt‹ veröffentlicht und darin (aus der eigenen Biografie schöpfend) die Geschichte einer lesbischen Liebe thematisiert. Erst 1990 erschien der Roman in einer überarbeiteten Neufassung noch einmal unter ihrem eigenen Namen. Die deutschsprachige Veröffentlichung ihres letzten Romans ›Small g – eine Sommeridylle‹ im Frühjahr 1995 erlebte Highsmith nicht mehr. Ein Mord in Zürich, umwoben von einer facettenreichen Liebesgeschichte um die 18-jährige Luisa, wurde darin thematisiert.
2015 war zu ihrem 20. Todestag die erste profunde Biografie erschienen. Die amerikanische Schriftstellerin und Dramatikerin Joan Schenkar widmete sich darin nicht nur dem opulenten und bisweilen leicht rätselhaften Oeuvre, sondern ihr ging es vor allem um die permanente Wechselwirkung zwischen Highsmiths Vita und deren Werk. Im Oktober ist jüngst ein Band mit frühen Erzählungen erschienen. Und in diesem Herbst sollen die umfangreichen Tage- und Notizbücher erstmals weltweit veröffentlicht werden. Sie werden weitere Einblicke in die seelischen Untiefen der großen »Autorin der unbestimmten Beklemmung« (wie sie Graham Greene bezeichnete) gewähren.
Am 4. Februar 1995 ist die Meisterin des psychologischen Krimis in ihrer Wahlheimat Locarno nach langer Krebskrankheit wenige Wochen nach ihrem 74. Geburtstag gestorben. Steckt im Schlusssatz ihres letzten Romans ›Small G‹ gar ein Vermächtnis? »Seltsam war nur: Auf eine stille Art war Rickie dennoch glücklich.« Ein Glas Scotch oder Wodka und eine Gauloise zum Frühstück, mehr brauchte Patricia Highsmith nicht, um glücklich zu sein.
Lesetipps
Patricia Highsmith: Ladies
Frühe Stories
Zürich: Diogenes-Verlag 2020
320 Seiten. 24 Euro
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Joan Schenkar: Die talentierte Miss Highsmith
Zürich: Diogenes-Verlag 2014
1072 Seiten, 29,90 Euro
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