Das Buch beginnt mit deutlicher Kritik, Kritik an der allgemeinen Verwendung des Begriffs Kreativität. Viel zu schnell verwende man diesen Begriff, viel zu Oberflächliches bezeichne er dann, Hauptsache »kreativ«, so heißt es zu Beginn. Na, dann steigen wir doch mal ein. Was macht aus einem Fotografen denn einen kreativen Fotografen? Hervorragend definiert, schlüssig und verständlich zeigt der niederländische Naturfotograf und Dozent an der Rotterdamer Kunstakademie Bart Siebelink, was er mit »kreativ« meint. Ein Buch für Naturfotograf*innen, aber nicht nur, findet BARBARA WEGMANN .
Auf dieses Buch muss man sich einlassen
Um es gleich zu sagen: egal ob man dieses Buch als Fotoalbum, Lehrbuch, als Fortbildung oder Anleitung sieht, es ist ein erster, großer Genuss, viele der extrem ansprechenden und berührenden Fotografien einfach anzuschauen. Üppig bebildert ist das 200-seitige Buch, Bilder, die Vieles aus dem Text belegen und bildlich nochmals darstellen, Bilder, die aber auch ganz für sich schon bei erstem Anblick klar machen, was der Autor meint und nahebringen will. Eindrücke, die man dann im Text wiederfindet.
Siebelink rückt deutlich ab vom oberflächlichen Gebrauch des Wortes »kreativ«. Eigenständig neue Themen finden, das Potenzial für ausgefallene Fotos erkennen, das will Siebelink vermitteln. Drei Elemente, so sagt er, brauche man dafür: »Ein Motiv, Kamerakompetenz und eine Vision.« Das erste sollte kein Problem sein, das zweite kann man lernen und trainieren. »Aber dieses letzte Element, die Vision, ist viel weniger greifbar, obwohl sie die Quelle kreativer und unverwechselbarer Fotografie ist.« Tolle Bilder erreiche man nicht über spektakuläre Motive, oder die teuerste Kamera. »Wer seinen Bildern mehr Tiefe verleihen und ausdrucksstärker fotografieren möchte, muss die oft mühevolle Reise nach innen antreten.«
Siebelink begleitet, Kapitel für Kapitel auf dem Weg, der technisches Können voraussetzt, Motive überall findet, und ansonsten mit viel Philosophie und der eigenen Person zu tun hat, dem Blickwinkel, der Perspektive, zu sich selbst, aus sich selbst heraus. Ein Buch, das nicht nur einfach technisches Wissen vermittelt, sondern Gedanken, Erkenntnisse, Gefühle und Magie in Gang setzten möchte. Ein Buch nicht einfach zum Lernen, sondern ein Buch, auf das man sich einlassen muss.
Dazu ist es wichtig, zu wissen, was die Bildsprache ist, einer der Schwerpunkte des Buches. Ein anderer die Symbolik, Metaphern und die Rhetorik von Bildern. Schließlich die Orientierung, was fasziniert den Fotografen? Wie schaffe ich es, so mit Sichtweisen zu jonglieren, dass neue Verbindungen geknüpft werden, »interessante Assoziationen« entstehen? »Abläufe sind wichtiger als Ergebnisse: Spitzenfotos sind Beifang.«
Ein weiteres Kapitel widmet sich all den Tricks und Kniffen, wie Drehungen, Spiegelungen, Neigungen, Wiederholungen und dem Experimentieren mit allem. Übungen, Anregungen zu praktischen Schritten vervollkommnen das hoch spannende Buch, das als Roadmap kreative Prozesse des Lesers in Gang bringen möchte.
Die Bilder des Buches sind ein absoluter Genuss, schüren Fantasie und Faszination, begeistern und machen es nicht schwer, diesem Autor und seinem Lehrbuch zu folgen. Und auch als Nicht-Fotograf erfährt man eine Lektion: über das, was wir sehen nachzudenken, es einzuordnen, dieses Bild, das schließlich in unser Gehirn oder gar die Erinnerung gelangt, zu werten und zu deuten. All das ist auch ohne Kamera nicht unwichtig. Reflexion ist alles.
Titelangaben
Bart Siebelink: Kreativ sein als Naturfotograf*in
Kreativität entfalten und den eigenen Stil entwickeln
Heidelberg: dpunkt.verlag 2020
200 Seiten, 32,90 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander
Reinschauen
| Leseprobe