Was für eine ungewöhnliche und irrwitzige Geschichte: Da erfüllt sich jemand seinen Traum, segelt um die Welt. Und als wenn das nicht schon Traum-Erfüllung genug wäre, nein, er nimmt auch noch ein Huhn mit. Wie lange dieses Huhn auf dieser Reise ursprünglich leben sollte, das ist vielleicht zunächst nicht so klar. Klar ist aber: das Huhn hat überlebt und das entstandene Buch erzählt anmutig und amüsant die Geschichte einer ganz besonderen Freundschaft. Von BARBARA WEGMANN
Mal ehrlich, das glaubt einem doch keiner, jemand umsegelt die Welt, startet mit einem ohnehin schon ganz schön betagten Schiff, von der französischen Ȋle d‘Yvinec, gibt alles auf in seinem Leben, verkauft sein Hab und Gut, um sich seinen Traum zu erfüllen und will ein Huhn mit an Bord nehmen? Eigentlich hatten Freunde es dem 28jährigen Guirec Soudée schon ausgeredet: Nur weil man sich nicht so allein fühlen will, ein Tier mit an Bord nehmen? Hund und Katze kamen nicht infrage, was aber ist mit einem Huhn, das lege doch schließlich auch noch Eier. Gestresste Hühner, so die Freunde, legen keine Eier. Der Plan wird also verworfen. Aber dann, auf Teneriffa, nach der ersten Etappe, den ersten Tiefschlägen, den ersten Reparaturen und Unwettern, schenken ihm spanische Freunde eine »fuchsrote Schönheit«, Monique. Es hatte wohl so sein sollen. »Schon in der ersten Nacht an Bord legt Monique ein Ei. In ihrem zusammengebastelten Verschlag hinten im Cockpit fühlt sie sich, glaube ich, schon zu Hause.«
Nächste Etappe: die Atlantiküberquerung. Und wenn auch das Segel mal reißt, der Autopilot nicht funktioniert oder die Flaute nicht enden will: »Es gelingt mir nicht, zu erklären, was ich auf dem Meer empfinde. Um es zu verstehen, muss man es, glaube ich, erleben. Es ist gut, seinen Träumen zu folgen.«
Es ist wie ein Tagebuch ganz besonderer Art: Etappe für Etappe lässt der Abenteurer Soudée an seinen Erlebnissen teilhaben. Es sind kurze Textabschnitte, geschrieben plakativ, pointiert und persönlich, bestens zu lesen. Und wenn man liest, dass er mit einem Schiff startet, das genauso alt ist wie er, »ein Haufen altes Metall, an dem der Zahn der Zeit genagt, der Ozean geleckt, die Korrosion gefressen hat«, dann scheinen spannende Abenteuer nicht unwahrscheinlich. Da wartet noch viel Arbeit!
Parallel ist da Monique, deren Eier mit der Zeit etwas nach Jod schmecken. Schließlich isst das Huhn unterwegs Fisch …. »Ich fische Doraden, Thunfische, Barrakudas usw. Mit den Eiern von Monique und dem ganzen frischen Fisch mausert sich Yvinec zu einem Fünf-Sterne-Restaurant.« Nach 28 Tagen ist der Ozean überquert, 25 Eier gab es in dieser Zeit …
Dort, wo Saudée anlegt, wo er ein paar Tage bleibt, arbeitet er. Die Reise muss finanziert werden: Gärtner, Blumenlieferant, Strandwächter oder Surflehrer, irgendetwas findet er immer. Schnell gewinnt man neue Freunde, warum nicht ein paar Tage ‚die Antillen durchkämmen‘? »Wer mit dem Boot unterwegs ist, hat einen privilegierten Zugang zu unwegsamen und wilden Landstrichen«. Saudée erzählt lebendig und anschaulich, es sind kleine maritime Lese-Happen, die von den angesteuerten Zielen, den Widrigkeiten des Segelns, den Schönheiten von Meer und Natur und natürlich von Monique erzählen. Na, da entwickelt sich vielleicht eine Freundschaft!
Fotos dokumentieren die seltene Beziehung, Monique vor Eisbergen in Grönland, Monique am Ruder, Monique beim Fischfang, Monique auf Saudées Schulter bei einem Nickerchen, eine bezaubernde Geschichte, ein geniales Abenteuer.
Grönland, die Beringsee, der Pazifik, rund um Kap Horn, am Kap der Guten Hoffnung vorbei nach St. Helena. Gefahren, Kälte, Packeis, Stürme, Maschinenschäden, so manche heiklen Krisensituationen gibt es unterwegs, langweilig wird es ganz sicher nicht. »Die Brecher sind von einer namenlosen Gewalt. Es wird nun sehr kalt. Auf dem Boot geht Vieles kaputt, doch solange es schwimmt, ist alles gut. Ich versuche, eine vor Wind und Wellen geschützte Bucht zu finden, um Yvinec gewissenhaft zu reparieren und mein Abenteuer fortzusetzen.«
Oft findet der junge Segler Freunde und Förderer, die helfen, unterstützen oder auch etwas spenden, damit das Projekt nicht scheitert. Und »Momo« gibt ihr Bestes: »Sie ist das einzige Huhn seit Hühnergedenken, das die Nordwestpassage durchquert hat, und ich bin der jüngste Seemann, der das alleine geschafft hat … na ja, fast allein.«
Die Bilder, die Texte, die Gestaltung des Buches im flexiblen Einband, alles reizt Auge und Aufmerksamkeit bis zur letzten Seite. Ein bezauberndes Huhn, das weltweit bekannt wird und mehr als 1000 Eier auf der Fahrt legt, ein mutiger junger Franzose, der seinen Traum wahr macht und eine überaus witzige und äußerst wasserreiche Geschichte, in der der Kapitän nie den Mut so wirklich verliert. »Dank Monique verliere ich nicht den Mut. Ich brauche ihre Gesellschaft. Ich spreche mit ihr, erzähle ihr Witze. Trotzdem geraten wir manchmal in Streit. Im Moment ist sie davon besessen, auf mein Bett zu klettern. Ich habe ihr erklärt, dass sie ein eigenes hat.«
Titelangaben
Guirec Soudée: Segeln mit Huhn
Guirec & Monique und ihre verrückte Reise um die Welt
Bielefeld: Verlag Delius Klasing 2021
208 Seiten, 29,90 Euro
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