»Unsere inneren Alarmanlagen sind nicht für abstrakte Gefahren gebaut.« Dieser Satz fasst die immer deutlicher sichtbare Tatenlosigkeit gut zusammenfassen, die uns als Gesellschaft angesichts des Klimawandels befallen hat. Der Klimawandel bleibt als grundlegende Gefahr derart abstrakt, dass man ihn unsichtbar nennen muss. Zumindest verhalten wir uns so, schreibt der Schriftsteller Jonathan Safran Foer in seinem jüngsten Buch ›Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können‹. Darin versucht Foer den Klimawandel aus verschiedenen Angriffspunkten zu packen und greift dann doch nur Luft. Er ist sich dieses Versagens schmerzlich bewusst. Von BASTIAN BUCHTALECK
Die schmerzliche Lücke zwischen Wort und Tat
Aufgeteilt ist das Buch in fünf große Abschnitte, wobei Foer im ersten Abschnitt auf immerhin 89 Seiten und in gefühlt 25 Kapiteln verschiedenste Erzählungen aufspannt, die davon berichten, dass die Menschheit schon früher große Opfer erbracht hat, wenn es notwendig war (z.B. im Zweiten Weltkrieg). Dass Menschen schon immer durch gute Geschichten beeindruckt wurden (z.B. durch die schwarze Bürgerrechtsbewegung) oder wie schlimm es ist, Dinge zu wissen (der Klimawandel ist real), aber nicht danach zu handeln. Foer beschreibt seine Verzweiflung darüber, dass sich der Klimawandel sprachlich, emotional und gedanklich nicht richtig fassen lässt. Verzweiflung über die Lücke vom Wort zur Tat, die er nicht überbrücken kann. Foer möchte mit ›Wir sind das Klima!‹ den Klimawandel greifen, ihm eine literarische Form geben, wie er das mit dem Thema der Massentierhaltung in seinem Buch ›Tiere essen‹ gemacht hat – und scheitert bei vollem Bewusstsein.
Die daraus entstehende innere Zerrissenheit macht Foer in dem wirren vierten Abschnitt »Gespräch mit der Seele« deutlich, in dem er einen inneren Dialog zwischen sich und seiner bissigen, kampfeslustigen Seele niederschreibt. Das ist manchmal humorvoll und selbstironisch, meist aber wirr und redundant.
Die Wahrheit der Zahlen
Entmutigend ist der Anhang mit dem sperrigen Titel »14,5 Prozent/51 Prozent«. Beide Angaben beziehen sich auf dieselbe Feststellung: welchen Anteil hat die Massentierhaltung am Treibhausgasausstoß. Foer macht deutlich, welche Annahmen zu diesen deutlich unterschiedlichen Zahlen führen, was berücksichtigt wird, was ausgelassen wird und welche politische bzw. ökonomische Haltung dahinter steht. Getreu dem Motto: Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.
Es ist ein wohlkalkuliertes Entsetzen, was dabei aufkommt, wenn deutlich wird, dass das Kleinreden des eigenen Anteils am Klimawandel bloß eine Frage der Zahlen ist. Wohlkalkuliert auch darum, weil der Leser sich so einerseits ärgern kann über die Dreistigkeit der politischen Agenda mancher Unternehmen (und Ärger ist ein guter Motor für Veränderung) und gleichzeitig spürt man als Leser an dieser Stelle die eigene Verantwortung. Denn auch wir rechtfertigen unser Verhalten immer wieder mit fadenscheinigen Begründungen.
Zuletzt sind es solche Zahlenspiele, die den Kampf gegen den Klimawandel erschweren. Es gibt keine uneingeschränkt vertrauenswürdigen Akteure, sondern gefühlt nur Kräfte auf beiden Seiten des Spektrums und beide bilden ihre Wahrheit ihrer politischen Agenda entsprechend.
14-seitiges Herz des Buchs
Der zweite Abschnitt ist mit 14 Seiten der kürzeste der fünf Abschnitte und zugleich das Herzstück des Buches. Überhaupt das Herzstück der Auflehnung gegen die Ursachen des Klimawandels. In Stichpunkten macht Foer den Klimawandel, seine Ursachen und die potentiellen Folgen maximal sichtbar. Diese Stichpunkte tun dem Schriftsteller weh, weil es ihm nicht gelingt, diese krasse Realität in einen Fließtext zu fassen. Die Realität ist zu krass für eine solche Transformation. Die Stichpunkte tun auch weh, weil die meisten Menschen um die Ursachen wissen und welchen Beitrag sie dazu leisten. Aber kaum jemand handelt danach, selbst dann nicht, wenn man, wie die allermeisten Menschen, Kinder hat, die in Zukunft direkt vom Klimawandel betroffen sein werden!
Fazit
Im Vergleich zu Foers anderem Sachbuch ›Tiere essen‹ ist ›Wir sind das Klima!‹ ein seltsam unausgewogenes Buch. Es ist zwar stilistisch hervorragend geschrieben und ebenso hervorragend erzählt. Aber die Erzählungen sind eher vage als konkret, mehr wie Metaphern und nicht wie etwas, was uns Menschen betrifft. Der Klimawandel bleibt unsichtbar, weil er zu abstrakt und zu komplex ist.
Foer stellt ernüchtert fest, dass das „Heldentum“ bei dem Kampf gegen den Klimawandel weniger darin besteht, sich massiv einzuschränken, wie es notwendig wäre, und mehr darin, sich angesichts des quasi unsichtbaren Feinds überhaupt einzuschränken.
Titelangaben
Jonathan Safran Foer: Wir sind das Klima!
Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2019
336 Seiten, 22 Euro
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