Warja Lavater (1913 – 2007) erlangte Bekanntheit mit ihren Faltbüchern, in denen sie Geschichten in Zeichensprache erzählte. 2019 wurde im NordSüd Verlag eines ihrer Werke unter dem Titel ›Tell‹ neu veröffentlicht – ein künstlerisches Leporello, das zum Erzählen einlädt. ALEXA SPRAWE ist begeistert.
›Tell‹, ein kleines Büchlein im Leineneinband, ist als Leporello gestaltet und erzählt anhand von Piktogrammen die Geschichte von Wilhelm Tell: Weil sich Wilhelm weigert, sich vor einem Hut zu verbeugen, werden er und sein Sohn Walter verhaftet. Daraufhin soll er mit einer Armbrust einen Apfel vom Kopf des Jungen schießen. Wilhelm schafft es, schwört jedoch Rache. Als er sich retten kann, erschießt er den Landvogt Gessler, befreit dadurch das Land vor der habsburgischen Macht und wird zum Helden.
Lavaters Druckgrafik, bestehend aus geometrischen Figuren in wenigen, gesättigten Farben, ist schlicht und klar in der Bedeutung: Jede Form steht für etwas. Wilhelm Tell wird als blauer Kreis dargestellt, die Bürger als orange und rote Kreise, der Hut als rotes Dreieck – anhand der Anleitung, die dem Leporello in mehreren Sprachen beiliegt, ist die Definition jedes Symbols erkennbar. Auf diese Weise lässt sich die Geschichte auch gänzlich ohne Text frei erzählen. Die Betonung liegt hier auf »frei«, denn obwohl es feste Vorgaben gibt, ist viel Raum für Deutungsweisen hinsichtlich der Handlung der Figuren gegeben.
›Tell‹ bietet sich als Impuls zum Geschichtenerzählen an. Der Stil könnte für jüngere Kinder zu abstrakt erscheinen, ältere Kinder hingegen zum Philosophieren und Erzählen animieren. Besonders angenehm ist hierbei, dass das Werk die Art des Geschichtenerzählens offenlässt und mit dem Titel schlicht zu appellieren scheint: tell!
Die Künstlerin
Warja Lavater war eine bemerkenswerte Künstlerin: Nach ihrer Ausbildung zur Designerin arbeitete sie mit ihrem Mann im gemeinsamen Grafik-Atelier, stand jedoch lange Zeit in seinem Schatten. Inspiriert von der Aussagekraft von Schildern und Symbolen und beeinflusst vom Bauhaus-Konzept entwickelte sie einen eigenen Stil, eine Bilderschrift, mit der sie Geschichten erzählen konnte. Bekannt wurde Lavater unter anderem mit einem ihrer Faltbücher »Wilhelm Tell«, das 1962 vom Museum of Modern Art in New York veröffentlicht wurde.
Lavater setzte sich in ihrem Schaffen für Gleichberechtigung und das Frauenwahlrecht ein, denn sie war der Überzeugung, dass Kunst etwas bewirken kann. So entstanden Kunstwerke im öffentlichen Raum, die zum Nachdenken anregen sollten: Für eine Reihe von Wandbildern konzipierte sie grafische Installationen und porträtierte Frauen, die etwas erreicht hatten.
Ausstellung: ›Sing-Song-Signs & Folded Stories‹
Dieses Jahr jährt sich das Frauenstimmrecht in der Schweiz zum 50. Mal – ein Grund, sich auch an Warja Lavater zu erinnern: Zu ihren Ehren wird vom 3. März bis 19. Juni 2021 in der Zentralbibliothek Zürich die Ausstellung ›Sing-Song-Signs & Folded Stories‹ gezeigt. Diese widmet sich dem Leben und Werk der Künstlerin.
Wer sich für die Ausstellung ›Sing-Song-Signs & Folded Stories‹ interessiert, findet hier die Aufzeichnung zur Online-Vernissage. Spielbegeisterte können sich außerdem auf Games freuen, die in Lavaters Stil gestaltet sind.
Titelangaben
Warja Lavater: Tell
(Wilhelm Tell, 1962)
Zürich: NordSüd Verlag 2019
24 Seiten, 25 Euro
Kinderbuch ab 6 Jahren
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