In der Welt der Kryptowährungen

Roman | Tom Hillenbrand: Montecrypto

Ed Dante, Ex-Buchhalter und aktuell als Privatdetektiv unterwegs, betreibt eine Ein-Mann-Firma namens »Financial Forensics«. Was nach großem Geld klingt, hält den Mann in LA aber kaum über Wasser. Als er deshalb den Auftrag bekommt, nach dem verborgenen Schatz des über dem Golf von Mexiko mit seinem Privatflugzeug abgestürzten Internetunternehmers Gregory Hollister zu suchen, begibt er sich auf die Fährte von dessen Bitcoin-Milliarden. Worauf er sich bei der Suche nach »Montecrypto«, wie die Medien den digitalen Schatz bald liebevoll nennen, einlässt, ahnt er freilich nicht. Von DIETMAR JACOBSEN

Der Gründer der Fintech-Firma »Juno« ist verunglückt. Über dem Golf von Mexiko hat er offensichtlich die Kontrolle über sein Privatflugzeug verloren und ist abgestürzt. Daraufhin engagiert seine Halbschwester den Privatdetektiv Ed Dante, der sich seiner Vergangenheit wegen – er hat in einer der in der großen Finanzkrise von 2008/09 untergegangenen amerikanischen Banken gearbeitet – in Finanzdingen auskennt, weil sie der Überzeugung ist, dass ihr Bruder einen beträchtlichen Schatz am Finanzamt vorbei auf die Seite gebracht hat. Kein »Fiat-Geld«, wie die Szene es nennt, also Dollar, Euro oder Pfund, sondern Bitcoins, die Kryptowährung, die nach mauem Start ihre Besitzer allesamt reich gemacht hat.

Zwischen Bitcoins und Shitcoins

Von Bitcoins und Shitcoins, Turtle Coins und Pirate Coins versteht Dante allerdings wenig. Da kommt ihm die Bekanntschaft mit der Bloggerin Mercy Mondego gerade recht. Die 36-jährige unangepasste Frau, die in ihrer Freizeit in einer »All-Girl-Post-Punk-Band« spielt, hat Informatik studiert und kann Ed nicht nur über die Welt der Kryptowährungen samt der Nerdszene, die in diesen Gefilden steinreich geworden ist, ins Bild setzen, sondern ihm auch Bekanntschaften vermitteln, die ihm auf seiner Suche weiterhelfen. Schade nur, dass einige davon – wie der gern im Indianer-Outfit auftretende Halverton Price, der als »Spiritus Rector der Krypto-Community« gilt –, nachdem sie Bekanntschaft mit Ed geschlossen haben, nicht mehr allzu lang zu leben haben.

Tom Hillenbrand (Jahrgang 1972) hat sich mit Krimis im Gastromilieu einen Namen gemacht, ehe er mit Drohnenland (2014) – 2015 als bester Roman mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet – eine Reihe mit Science-Fiction-Thrillern begann. Mit Montecrypto nun betritt der studierte Wirtschaftsjournalist und ehemalige Leiter des Ressorts »Auto« bei Spiegel Online, ein Gelände, das im Drei-Themen-Eck von Ökonomie, Science-Fiction und Thriller angesiedelt ist. Wobei die Science-Fiction-Elemente gegenüber Hillenbrands Romanvorgängern deutlich zurücktreten, weil es ja Kryptowährungen, um die es in diesem Buch geht, so sciencefictionhaft sie vielen Zeitgenossen auch erscheinen mögen, ja seit gut anderthalb Jahrzehnten tatsächlich gibt und sie in dieser kurzen Zeit gewaltig an Wert zugelegt haben.

Schnitzeljagd auf ein Vermächtnis

Dass Greg Hollister als einer der Pioniere der Fintech-Szene also irgendwo einen Bitcoin-Schatz von unvorstellbarem Ausmaß gebunkert hat, scheint gar nicht so abwegig. Zumal der exzentrische Milliardär sogar nach seinem Tod noch für beträchtliche Unruhe zu sorgen versteht, indem er in kleinen, vorproduzierten Filmchen die immer aufgeregter werdende Welt auf die Suche nach jenem, bald »Montecrypto« genannten Vermögen schickt. Und Ed Dante steht ziemlich schnell im Mittelpunkt dieser Jagd um die halbe Welt, weil er nicht nur von der Schwester des Verstorbenen vor allen anderen auf die Suche geschickt wurde, sondern auch der ist, welcher durch einen bloßen Zufall den ersten Hinweis auf den Schatz mitten in der Mojave-Wüste entdeckt.

Das macht ihn zum »First Quatermain«, wie ihn die rasend schnell wachsenden internationale Gemeinde der Schatzsucher nach einer Romangestalt von Henry Rider Haggard, bekannt geworden vor allem durch mehrere Hollywood-Verfilmungen, genannt hat, zu einem Mann also, dem man ohne Weiteres zutraut, das Rätsel um den versteckten Schatz zu lösen.

Bald mischen sich  unter die Schatzsucher allerdings ausländische Geheimdienste, die Mafia und das FBI. Dubiose Gestalten kreuzen Eds Weg und machen es ihm immer schwerer, auf der Fährte zu bleiben, die ihn über New York nach Frankfurt, ins schweizerische Zug – hier, im »Crypto Valley« Europas, begreift Hillenbrands Held endgültig, dass er etwas viel Bedeutenderem auf der Spur ist als nur einem Haufen digitalen Geldes, wie reich der auch zu machen verspricht – und schließlich zurück an die amerikanische Westküste führt.

Viel Cyber und ein wenig Sex

Beim Showdown in einem verlassenen Hotel, einem »lost place« an der mexikanischen Pazifikküste unweit von Acapulco, geht es dann noch einmal richtig rund. Und es gibt allerhand Überraschungen, was es mit dem Bitcoin-Schatz, seinem Besitzer und dessen Grund, auch noch nach seinem Ableben für ordentlich Chaos weltweit sorgen zu wollen, auf sich hat. Ob Dante und Mondego in das gnadenlos schnell ablaufende Protokoll einer raffiniert geplanten Verschwörung rechtzeitig eingreifen können – einer »Währung ohne Staat« soll endgültig zum Durchbruch verholfen werden auf Kosten all der Währungen, hinter denen Staaten stehen – wird hier nicht verraten. Immerhin: Im Kugelhagel scheinen die beiden doch noch andere Seiten an sich entdeckt zu haben als nur die kollegialen. Einem Happy-End steht nach viel Cyber und wenig Sex auf den vorangegangenen 400 Seiten deshalb nichts mehr im Wege.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Tom Hillenbrand: Montecrypto
Köln: Kiepenheuer & Witsch 2021
444 Seiten. 16.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Spinnenangst und Arztphobie

Nächster Artikel

Lass dich nicht unterkriegen!

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Wenn aus Samsa Sams wird

Roman | Ian McEwan: Die Kakerlake

»Als Jim Sams, klug, doch beileibe nicht tiefgründig, an diesem Morgen aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in eine ungeheure Kreatur verwandelt.« Wer denkt bei diesem Romaneinstieg von Ian McEwan nicht sogleich an Kafkas Verwandlung und die Hauptfigur Gregor Samsa, die plötzlich zum Käfer geworden war? Gelesen von PETER MOHR

Sieben Storys über ein Gefühl

Roman | Jo Nesbø: Eifersucht

Eine Frau wartet auf den Killer, den sie selbst bezahlt hat. Ein Osloer Müllmann stößt auf die Spuren eines Mordes, den er begangen hat, an den er sich aber nicht erinnern kann. Ein bekannter Schriftsteller erfindet sich ein alternatives Leben. Ein Kommissar aus Athen versucht auf der griechischen Insel Kalymnos, hinter das Geheimnis zweier Brüder zu kommen. Die sieben Geschichten des norwegischen Bestseller-Autors Jo Nesbø drehen sich samt und sonders um das Gefühl, welches der für Nesbø untypisch schmale Band im Titel trägt: Eifersucht. Von DIETMAR JACOBSEN

Leben und Sterben im bürgerlichen Zeitalter

Roman | Asta Scheib: Sonntag in meinem Herzen. Das Leben des Malers Carl Spitzweg FLORIAN WELLE rezensiert Asta Scheibs Romanbiografie Sonntag in meinem Herzen, in der sie vom Münchner Maler Carl Spitzweg erzählt.

Das Belfaster Schweigen

Roman | Adrian McKinty: Dirty Cops Mit seinem »katholischen Bullen« Sean Duffy befindet sich Adrian McKinty (geboren 1968 in Belfast) seit gut einem halben Dutzend Jahren auf der Überholspur. Der Detective Inspector beim Carrickfergus CID lebt inzwischen mit seiner jüngeren Freundin Elizabeth und ihrer gemeinsamen kleinen Tochter Emma zusammen in 113 Coronation Road, einer Adresse, die einem fast schon so vertraut ist wie die Baker Street 221 b. Als sein neuer Fall nicht nur ihn, sondern auch die beiden Menschen, die er am meisten liebt, in Lebensgefahr bringt, steht er vor einer schwierigen Entscheidung. Aber aufzugeben und ein skrupelloses Verbrechen

Unter Mythomanen und Paranoikern

Krimi | Dominique Manotti: Ausbruch Es hat nicht lange gedauert, bis sich Dominique Manotti, die erst mit 50 Jahren anfing zu schreiben, zu einer der wichtigsten europäischen Crimeladies gemausert hat. Die studierte Wirtschaftshistorikerin und ehemalige Gewerkschaftsaktivistin durchleuchtet in ihren Romanen die Chefetagen der großen Konzerne, deckt die Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft auf und nimmt ihren Lesern sämtliche romantischen Illusionen, es könnte da, wo der Profit im Mittelpunkt steht, auch menschlich zugehen. In Ausbruch nun wirft sie einen Blick zurück auf jene Jahre, in denen die europäische Linke sich radikalisierte, und fragt, was von jener »bleiernen Zeit« bleibt. Von DIETMAR