›Sterben‹ hieß der erste Band eines sechsteilig geplanten autobiographischen Romanzyklus, den der norwegische Autor Karl Ove Knausgård unter dem Titel ›Mein Kampf‹ zu schreiben begonnen hat. Wegen des an Hitlers Autobiographie erinnernden Titels hat das Roman-Projekt international Aufsehen erregt. Von WOLFRAM SCHÜTTE
Ich fasste im vergangenen Jahr an dieser Stelle meinen Eindruck von ›Sterben‹ in dem ernüchternden Resümee zusammen: das Buch sei »ein gelungener autobiographischer Roman. Nicht mehr, nicht weniger, nichts sonst«.
Das kann man nun nur noch bedingt von seinem Nachfolgeband ›Lieben‹ sagen. Denn in ihm treten die literarischen Beschränkungen solchen Romanschreibens deutlicher hervor als in dem sehr familiären Sterben, das sich vor allem um die Beziehung des jungen Karl Ove zu seinem alkoholkranken Vater drehte – eine Krankheit, die der Autor womöglich geerbt hat, wenn man die vielmaligen Sätze der Trunkenheit in Lieben bedenkt.
Im nun auf deutsch von Paul Berf erschienenen zweiten Band des Zyklus geht es ums »Lieben« – womit gemeint ist, wie der Autor als Vater geduldig den Wünschen seiner Kinder entspricht, nachdem er plötzlich aus seiner Ehe im norwegischen Bergen nach Stockholm geflohen war – auf der Spurensuche nach einer schwedischen Kollegin, in die er sich auf einem literarischen »Workshop« verliebt hatte. Dass er, auf der Suche nach einer Bleibe in Stockholm genau in der Gegend landet, wo die Geliebte wohnt, gehört zu den Koinzidenzen, die – wären sie eine literarische Fiktion – als unwahrscheinlich eingestuft würden, aber als Zufälle des Lebens möglich erscheinen.
Die Kinder, mit denen wir den Autor zuerst in Lieben begegnen, stammen aus der in dem Buch weitschweifig beschriebenen Verbindung mit der Schwedin. Das Paar, das um seine Liebe immer wieder kämpfen muss, weil der Alltagstrott sie aufzuzehren droht, zieht später nach Malmö, wo Karl Ove Knausgård derzeit lebt & seinem Leben hinterherschreibt bzw. nach seinem gelebten Leben schreibt.
Allerdings offenbaren sich die inhärenten literarischen Beschränkungen dieser Methode folgenreicher in Lieben als noch in dem familiären Sterben. In dem neuen Buch berichtet der Autor häufiger von Kollegen & weil er diese Dritten mit seinen Urteilen weder öffentlich beleidigen darf noch sie & sich dem Voyeurismus der Leser ausliefern will, wird er als Erzähler vielfach diskreter sein müssen, als er es für das Projekt vorgesehen hatte. Und der romaneske Charakter seines Erzählens verbietet Erklärungen und Erläuterungen zu den auftretenden empirisch realen Personen vor allem aus der nordeuropäischen Kultur- & Literaten- & Literaturszene, die einem als deutscher Leser nicht so vertraut sind wie womöglich dem norwegischen oder schwedischen Leser.
Als die dadurch entstandenen Dunkelzonen & Anspielungen überhandnahmen und diese Lebens- & Liebesgeschichte banal, sprich: alltäglich wurde & man vermuten musste, dass auch solche unmotivierten essayistischen Passagen wie z. B. über Tolstois literarische Qualität, einen nicht mehr interessieren würden, habe ich die Lektüre eingestellt – immer weniger von der Tragfähigkeit des literarischen Projekts überzeugt, das gelebtes Leben unter Zentralbegriffen wie »Sterben« oder »Lieben« zu subsumieren.
Titelangaben
Karl Ove Knausgård: Lieben
Aus dem Norwegischen von Paul Berf
München: Luchterhand-Literaturverlag 2012
763 Seiten. 24,99 Euro
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