Roman | Karl Ove Knausgård: Kämpfen
Wie viel Persönliches darf ein Schriftsteller preisgeben, ohne die Intimsphäre seines Umfeldes zu verletzen? Radikal, authentisch und eindrucksvoll beendet Knausgård seine autobiografische Romanreihe mit essayistischen Gedankenspielen über den (eigenen) schonungslosen Kampf des Lebens. Von MONA KAMPE
Es ist vollbracht: Karl Ove Knausgård hat den letzten Band seiner sechsteiligen autobiografischen Romanreihe ›Min Kamp‹ getippt und an seinen Verlag geschickt. Ein unheimlicher Erfolg, denn die tiefgehende Auseinandersetzung mit seinem Vater ist nun abgeschlossen. Doch statt Glücksgefühlen plagen den Schriftsteller mittleren Alters Gewissensbisse und Selbstzweifel, denn nicht alle aus seinem Umfeld, die vorkommen, sind mit seinen Erinnerungen und Ausführungen einverstanden. Allen voran sein Onkel Gunnar, der das (Ab-)Leben seines Bruders mit ganz anderen Augen sieht und dem Neffen mit Gerichtsprozessen droht, sollte er die erfundenen und erlogenen familiären Zusammenhänge nicht korrigieren und die Namen ändern.
Karl Ove jedoch sieht den Lebensweg und die Beziehung zu seinem Vater genauso, wie er sie in den Romanen darstellt. Es ist seine ganz persönliche, emotionale Aufarbeitung sowie Versöhnung mit seinen Wurzeln und seiner Kindheit. »Was kann er denn tun? Ja, dich verklagen. Und weshalb? Weil du den Namen deines Vaters entweiht hast? Er war schließlich nicht Jesus Christus.« »Er schreibt, dass ich ein Judas bin. Dann muss er ja wohl Jesus sein. Denn ihn verkaufe ich schließlich.«
Mit zunehmenden Beschwerden und Drohungen seitens des Onkels geriet er jedoch aus der Bahn – verunsichert über die vermeidlichen Tatsachen, und wie weit er als autobiografischer Schriftsteller gehen darf, kommt es zum eigenen, schonungslosen Gedankenkampf mit sich selbst, seinen Erinnerungen und seiner Profession. Auch vor seiner engsten Familie macht dieser nicht Halt, denn seine Frau Linda weiß noch nicht, was er über sie geschrieben hat.
What’s in a name?
Wie weit greift die schriftstellerische Freiheit? Müssen Tatsachen präzise wiedergegeben werden, um die Darstellung authentisch zu machen? Wie verhält es sich mit Namen? Müssen diese zum Schutz der Privatsphäre geändert werden? Mit diesen und zahlreichen weiteren moralischen Fragestellungen zu seiner Arbeit als Autor setzt sich der preisgekrönte, norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård in dem sechsten und letzten Band ›Kämpfen‹ seines autobiografischen Romanprojektes auseinander. Radikal und eindrucksvoll wirbelt er die Abgründe seiner Profession auf, die sich bei der Darstellung und Veröffentlichung authentischer Zusammenhänge auftun: Gewissensbisse, Selbstzweifel, Subjektivität vs. Objektivität, Tatsachen gegenüber Erinnerungen, Hochmut und Tiefschläge, Verzerrung, Anerkennung und Anklage.
Der emotionalen Auseinandersetzung mit seinem Vater, dem eigentlichen Entstehungsprozess, folgt die tiefgehende Reflexion seiner aufgeschriebenen Gedanken und seiner Erinnerungen und die persönlichen, unberechenbaren Reaktionen seines Umfeldes, seiner Wegbegleiter sowie der Öffentlichkeit. Wie sich dieser »Teufelskreis« in seinem Familienalltag niederschlägt, beschreibt Knausgård bewegend und lesernah, indem er bekannte Szenarien schafft, etwa seine Rolle als überforderter Vater, und seine nagenden Gedanken im Wechsel mit Konversationen über diese mit seinem Umfeld vertieft. Nicht zuletzt tangiert sein Schriftstellerdasein nicht nur ihn selbst, sondern vor allem auch seine Frau, die gegen ihre ganz eigenen Dämonen kämpft.
Abgerundet werden die 1.280 Seiten mit essayistischen Gedankenspielen über die Bedeutung von Namen in der Literatur sowie Fakten über Adolf Hitler. Diese beeindruckend detaillierten literatur- und kunstgeschichtlichen sowie historischen Einschübe im Mittelteil verdeutlichen die Beziehung des Vaters zum Nationalsozialismus sowie seine Berechtigung, den Namen seines Vaters verwenden zu dürfen, um seinen Ausführungen die Authentizität zu verleihen, die sie bedürfen. Sie erläutern zudem die Abgrenzung des Originaltitels ›Min Kamp‹ zu Hitlers Werk ›Mein Kampf‹, welches er in Jugendtagen bei seinem Vater findet.
So eindrucksvoll diese aufbereiteten Fakten auch sind, so beschwerlich mögen sie für manchen Leser sein, denn er wird gezwungen, sich mit der Profession des Schreibens und den Aufzeichnungen eines faschistischen Kopfes auseinanderzusetzen. Am Ende wird dem Rezipienten jedoch klar, warum gerade diese intensive und schonungslose literatur-historische Auseinandersetzung wichtig für Knausgårds Kampf ist und der Kreis schließt sich: »und auf dem ganzen Weg werde ich den Gedanken genießen, wirklich genießen, dass ich kein Schriftsteller mehr bin.«
Titelangaben
Karl Ove Knausgård: Kämpfen
Aus dem Norwegischen von Paul Berf, Ulrich Sonnenberg
München: Luchterhand Literaturverlag 2017
1.280 Seiten, 29 Euro
Reinschauen
| Leseprobe
| Karl Ove Knausgård: Sterben – in TITEL kulturmagazin
| Karl Ove Knausgård: Lieben – in TITEL kulturmagazin