Laufen kann befreiend sein. Das weiß Will, der Protagonist in Alison McGhees neuem Jugendbuch ›Wie man eine Raumkapsel verlässt‹. Er läuft, um auf andere Gedanken zu kommen und Dinge zu verarbeiten – und zu verarbeiten hat er viel. ALEXA SPRAWE hat das Buch sehr gerne gelesen.
›Wie man eine Raumkapsel verlässt‹ beginnt mit einem Maisbrot. Der Protagonist beschreibt, wie ein »echtes« Maisbrot gemacht wird. Im Laufe des Buches kommt er immer wieder auf dieses Brot zurück, weil es eine besondere Bedeutung für ihn hat: Sein Vater hat gerne Maisbrot gebacken. Vor seinem Suizid hatte er Will gefragt, ob er nicht ein Stück von seinem »berühmten Maisbrot« wolle. Will hatte geantwortet: »Nee.« Das war der letzte Dialog, den er mit seinem Vater geführt hatte.
Nicht nur diese Erinnerung und die Frage nach dem Warum verfolgen Will. Die Nachricht, dass seine Schulfreundin Playa vergewaltigt wurde, weckt in ihm starkes Mitleid. Um ihr Kraft zu geben und zu zeigen, dass sie in ihrem Leid nicht allein ist, stellt Will ihr Geschenke vor die Haustür. Hinzu legt er immer kleine Briefchen mit derselben Botschaft: »Don’t let the bastards get you down.«
›Wie man eine Raumkapsel verlässt‹ liest sich trotz dieser traurigen Themen dank des lockeren Schreibstils sehr leicht und kurzweilig. Dabei helfen auch Gestaltung und Aufbau des Buches: Alison McGhee hat die Geschichte in 100 Kapitel zu je 100 Wörtern auf 100 Doppelseiten eingeteilt. Die Herausforderung, die Wortanzahl bei der Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche einzuhalten, ist Birgitt Kollmann gelungen. Der Text befindet sich stets auf der rechten Seite, auf der linken ist die jeweilige Kapitelzahl in chinesischer Typographie abgebildet.
Durch den Verzicht auf wortreiche Ausschmückungen wirkt der Roman sehr dicht und beschränkt sich auf die Beschreibungen wesentlicher, teils unzusammenhängender Momente. In diesen geht es vordergründig um Wills Gedanken, Erinnerungen, aber auch um Situationen, die seinen Charakter bilden. Der Ich-Erzähler ist ein freundlicher und empathischer Protagonist, der mal humorvoll, mal ernst von einer aufreibenden Phase seines Lebens erzählt.
›Wie man eine Raumkapsel verlässt‹ ist kein Jugendbuch, das eine kitschige Liebesgeschichte bereithält oder deprimierende Betroffenheit auslöst. Stattdessen geht es darum, dass und wie das Leben für zwei Teenager nach Schicksalsschlägen weitergeht. Auch wenn dabei völlig banale Dinge beschrieben werden, haben sie für Will eine Bedeutung. Sie geben ihm Halt und Sicherheit und die Gewissheit, dass sich nicht alles in seinem Leben verändert hat. Ein lesenswertes Buch ab 12 Jahren.
Titelangaben
Alison McGhee: Wie man eine Raumkapsel verlässt
(What I leave behind, 2018)
Aus dem Englischen von Birgitt Kollmann
München: dtv 2021
208 Seiten, 12,95 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
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