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Ausgeträumt

Roman | John le Carré: Federball

Von George Smiley ist in John le Carrés neuem Roman Federball keine Rede mehr. Sein Ich-Erzähler, auch ein Spion, heißt Nat. Nach seinem letzten Auslandseinsatz zurückgekehrt ins Vereinigte Königreich, wird er auf einen Posten abgeschoben, auf dem kein Schaden mehr anzurichten ist. Genug Zeit, sich dem geliebten Badminton-Spiel zu widmen und sich auf ein Duell mit einem Mann einzulassen, der nur mit ihm, dem Vereinsmeister, den Schläger kreuzen will. Dass Edward Shannon mehr ist, als lediglich eine sportliche Herausforderung, kann Nat am Beginn seiner Bekanntschaft mit dem jungen Idealisten allerdings nicht ahnen. Von DIETMAR JACOBSEN

Nat – verheiratet mit einer emsigen Menschenrechtsanwältin, eine Tochter – ist nicht nur der Vereinsvorsitzende des »Athleticus Club« Battersea, sondern auch der Champion des noblen Badminton-Clubs im Südwesten Londons. Trotz »fortgeschrittenen Alters und eines lästigen Knöchels« hält sich der 47-Jährige wacker an der Spitze der internen Clubrangliste des »Spiels der Spiele«. Dessen Grundtugenden bestehen für ihn in »List, Geduld, Tempo und eine[r] unmögliche[n] Aufholjagd«.

All das sind Eigenschaften, die Nat auch auszeichneten, als er noch im Dienste des Geheimdienstes Ihrer Majestät stand und an zahlreichen Brennpunkten in aller Welt seine gefährlichen Einsätze absolvierte. Als eines Tages ein um gut 20 Jahre jüngerer Schlaks mit Brille in Nats Badminton-Reich spaziert und ihn vor versammelter Sportkollegenschaft zu einem Kräftemessen herausfordert, ist es deshalb nicht nur Höflichkeit, die den Ex-Spion in das Duell einwilligen lässt. Es gilt auch, Ruf und Position zu verteidigen.

Beruflich ist le Carrés Held nach eigener Aussage der »geborene Quellenführer«, ein »Wandergeselle[…] auf dem Gebiet der Spionage« und deshalb auch jeglicher Schreibtischarbeit abhold. Doch das ist wohl für immer vorbei und, nach Hause gekommen, hat man ihn auf eine Außenstation abgeschoben, die wohl nicht zu Unrecht »die Oase« genannt wird. Als »Mülldeponie für umgesiedelte Überläufer ohne Wert und für fünftklassige Informanten auf dem absteigenden Ast« steht Nat hier wohl das langsame, aber umso sicherere Versauern im Innendienst bevor.

Ratten am Ruder

Fünfzehn Mal spielen Nat und Ed gegeneinander, »vierzehn Matches vor dem Fall, ein Match danach«. Was sportlich so aussieht, dass der Ältere der beiden nach anfänglichen Erfolgen immer mehr ins Hintertreffen gerät, entwickelt sich auf der menschlichen Seite langsam zu einer Freundschaft zwischen den beiden Männern. Nach den Spielen sitzt man immer noch eine Weile beieinander, trinkt etwas und tauscht seine Ansichten zur aktuellen Weltpolitik aus. Vor allem Ed nimmt dabei kein Blatt vor den Mund.

Die USA unter Trump: ungebremst auf dem Weg zu einem »institutionalisierten Rassismus und Neofaschismus«. Der Präsident selbst: »ein Gangsterboss«, dazu erzogen worden, »auf die bürgerliche Gesellschaft zu scheißen, nicht Teil von ihr zu sein«. Der Brexit: »die bedeutendste Entscheidung, der sich Großbritannien seit 1939 gegenübersieht«, initiiert und ins Werk gesetzt von einem Haufen »postimperialer Nostalgiker, die nicht mal einen Obststand betreiben könnten«. Die aktuelle Lage auf dem Globus: »das beschissenste Chaos […], das man sich nur vorstellen kann«. Denn überall sind nur »Ratten am Ruder«.

Zu mehr Vorsicht erzogen durch den Beruf, den er seit Jahrzehnten ausübt, bleibt Nat aber letzten Endes doch nur, seinem jugendlich ungestümen Gegenüber zuzustimmen. Zumal seine Erfahrungen ihn seit geraumer Zeit dieselben Schlüsse ziehen lassen und er gegenüber seiner Tochter Stephanie, nachdem er ihr eines Tages gestanden hat, für den britischen Auslandsgeheimdienst zu arbeiten und in dieser Funktion Menschen dazu zu bringen, ihr Land zu verraten, einen zunehmend schweren Stand hat.

Sie – wie auch der junge, idealistische Ed und die in der »Oase« gemeinsam mit Nat arbeitende und um seine Anerkennung ringende Florence, die er mit Ed bekannt macht, worauf sie kurze Zeit später den Dienst quittiert – gehören einer neuen Generation an. Für sie gilt »Patriotismus schlicht als Fluch der Menschheit, gleich nach dem Thema Religion.« Und sich gegen den Irrsinn der Welt aktiv zur Wehr zu setzen, etwas zu tun, während die Alten »mit dem Stock im Hintern einfach da[sitzen] und warten, dass jemand etwas tut«, erachtet man bei den Jungen als schlicht selbstverständlich.

»Die Deutschen waren einfach die besten Europäer«

Auch Nat ist innerlich davon überzeugt, dass sich die Zeiten geändert haben. Einst als Kalter Krieger unterwegs ist er inzwischen – wie sein Erfinder – »durch und durch Europäer«. Seine Arbeit in der »Oase« – man versucht, einem russischen Maulwurf im britischen Geheimdienst das Handwerk zu legen – und die vielen Konfrontationen mit Vorgesetzten, die sich nach oben gebuckelt und intrigiert haben und nun nach unten treten und giften, erscheint ihm vor dem Hintergrund der intensiven Gespräche mit seinem jungen Freund immer suspekter.

Als er sich schließlich entscheiden muss, entweder loyal seinem Land und seinem Job gegenüber zu sein oder sich für das Leben eines Menschen einzusetzen und dabei auf jegliche Treue Gesetzen und Vorgesetzten gegenüber zu pfeifen, ringt er sich zu einer selbstlosen Tat durch, die auch seinem eigenen Leben wieder einen Sinn verleiht.

Federball ist John le Carrés 25. Roman. Hineingeschrieben in eine täglich verrückter werdende Welt, in der nichts mehr zu gelten scheint, auf das man sich vor Kurzem noch berufen zu können glaubte, stellt er einen Appell seines Autors an Verlässlichkeit, Vernunft und eine europäische Idee dar, wie sie derzeit von vielen Seiten unter Beschuss genommen wird. Für den jungen Hitzkopf Edward Shannon sind es die Deutschen, die, indem sie die richtigen Lehren aus ihrer Geschichte im 20. Jahrhundert gezogen haben, am überzeugendsten für ein Europa eintreten, in dem man sich besser immer wieder neu zusammenrauft, statt miteinander blutig zu raufen.

Dass  die Romanfigur sich damit nicht weit weg von der aktuellen Gedankenwelt ihres Erfinders positioniert, ist das eine – demgegenüber allerdings steht ein den Gesprächen seiner beiden Helden ablesbarer, verzweifelter Pessimismus John le Carrés in Bezug auf eine Weltlage, die ihm mehr als verfahren scheint und das Potenzial für gefährliche Entwicklungen in der Zukunft besitzt.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
John le Carré: Federball
Aus dem Englischen von Peter Torberg
Berlin: Ullstein 2019
351 Seiten. 24,- Euro
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