Jugendbuch | Holly-Jane Rahlens: Das Rätsel von Ainsley Castle
Lizzy ist mit ihrem Vater zu dessen neuer Freundin, die ihre Stiefmutter werden soll, gezogen. Das neue Zuhause ist ein bisschen merkwürdig: ein großes Hotel an der schottischen Küste. Aber das ist bei Weitem noch nicht das Merkwürdigste. Von ANDREA WANNER
Holly-Jane Rahlens kann erzählen, das hat sie oft genug in ihrer Kinder- und Jugendromanen unter Beweis gestellt. Und die Geschichte von Lizzy, die Albträume hat und hinter ihrer zukünftigen Stiefmutter eine Hexe vermutet, die ihr Böses will, hat von der ersten Seite an Pageturnerqualitäten. Seltsame Dinge geschehen, Gegenstände finden sich plötzlich an anderen Orten wieder, Lizzy wird oft schwindelig, kleine Erinnerungslücken stellen sich ein.
Mack, ein etwas gleichaltriger Junge, der im Hotel hilft, stellt sich als willkommene Abwechslung heraus und ist auch bereit, Lizzy bei ihrer Suche nach der Wahrheit zu helfen. Merkwürdige Mails lassen Lizzy immer unruhiere und panischer werden. Und dann taucht plötzlich Betty auf, Lizzys Doppelgängerin, die in ein paar Details von Lizzy abweicht. Was hat das zu bedeuten?
Gute Frage. Wer sich auf das Rätsel von Ainsley Castle einlässt, steht ziemlich schnell vor Fragen, die sich mit logischem Nachdenken auf die herkömmliche Art nicht lösen lassen wollen. Klar gibt es Bücher, bei denen man einer falschen Fährte folgt und am Ende über die unerwartete Auflösung staunt. Hier hat man schnell das Gefühl, dass es keine Lösung geben kann. Und es gibt sie doch. Sie verbirgt sich hinter dem Begriff der Metafiktion: Beim Lesen sollen wir merken, dass es nur eine Geschichte ist, ein fiktionales Werk. Die Figuren sind nur ausgedacht: von einem Autor oder einer Autorin, die im Hintergrund die Fäden zieht und tun und lassen kann, was sie will.
Dieses Konstrukt durchschauen Lizzy, Marc und Betty irgendwann. Und die Leser und Leserinnen auch. Das kann ernüchternd sein. Eigentlich will man sich doch in einer Geschichte verlieren, sie als »wahr« gelten lassen und nicht ständig darauf hingewiesen werden, dass es sich um Erfundenes handelt, das zudem gerade erst noch am Entstehen ist. Und trotzdem bleiben die Figuren der Geschichte keine Marionetten, sondern entwickeln eigenen, von der Autorin unabhängige Gedanken und Pläne. Das muss man erst mal kapieren. Und kapieren wollen.
Ich erinnere mich daran, wie Italo Calvinos ›Wenn ein Reisender in einer Winternacht‹ die Freunde um mich herum, die es gelesen hatten, in zwei Lager spaltete: Helle Begeisterung über das Spiel mit dem Schein der Realität und dem ständigen Bruch mit der Handlung, über die kunstvollen zehn Romananfänge, die Schreibweisen oder Autoren des 20. Jahrhunderts parodieren auf der einen Seite. Und echte Wut auf der anderen. Zorn darüber, dass man sich gutgläubig auf eine Geschichte eingelassen hat, die im Nichts endet. Dass die Erwartungen, die auf Gewohnheiten und Lesekonventionen beruhen, so enttäuscht wurden.
Und ich könnte mir vorstellen, dass es mit Lizzys Geschichte so ähnlich werden wird: die einen werden das Buch wütend in die Ecke pfeffern, weil sie sich betrogen fühlen werden. Und die anderen? Die werden vielleicht ein bisschen mehr von dem Verstehen, was vor dem Lesen passiert. Die werden Gedanken entdecken, die normalerweise vor ihnen geheim gehalten werden, weil es die des Autoren – oder der Autorin sind, die er oder sie sich bei der Konstruktion der Story und der Charaktere macht.
Es sind dann am Ende vermutlich die echten Leserinnen und Leser, die irgendwann bei richtiger Literatur und nicht nur netter Unterhaltung landen.
Titelangaben
Holly-Jane Rahlens: Das Rätsel von Ainsley Castle
Hamburg: Rowohlt 2020
320 Seiten, 15 Euro
Jugendbuch ab 11 Jahren
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