Feuilleton und digitaler Wandel

Roman | Johanna Adorján: Ciao

Wenn eine bekannte Feuilletonistin in ihrem Roman über eine männliche »Edelfeder« des Metiers schreibt, einen Blick in den inneren Zirkel einer großen Zeitung wirft und vehement verneint, dass es sich um einen Schlüsselroman handelt, dann birgt dies jede Menge Stolperfallen, und es ist äußerste Vorsicht geboten. Von PETER MOHR

Autorin Johanna Adorján, die gerade ihren 50. Geburtstag gefeiert hat, war 15 Jahre für das Feuilleton der FAZ tätig, ehe sie 2016 zur Süddeutschen Zeitung wechselte. Vor allem ihre hintergründigen Interviews waren in jüngster Vergangenheit hochgelobt worden. 2009 hatte sich Adorján in ihrem höchst emotionalen, inzwischen in 18 Sprachen übersetzten Romandebüt Eine exklusive Liebe dem Doppelselbstmord ihrer Großeltern gewidmet und retrospektiv beider Leben erzählerisch rekonstruiert.

Nun stehen zwei Figuren im Zentrum der Handlung, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Hans Benedek,  Edelfeder des Feuilletons einer großen Zeitung, die der FAZ nachempfunden wurde, ist ein Mann mittleren Alters, aufgeschlossen, sensibel,  aber ganz offensichtlich mit sich und mit Gott und der Welt unzufrieden. Sein Stern verblasst, der Printjournalismus befindet sich auf dem absteigenden Ast und ein neues weibliches Mitglied der Chefredaktion schiebt seinen Extratouren der Vergangenheit energisch einen Riegel vor, in dem sie seine oft horrenden Spesenrechnungen zurückweist.

Verheiratet ist Benedek mit Henriette, die einst als talentierte Lyrikerin galt, sich dann aber irgendwann zur Yogalehrerin ausbilden ließ. Dann gibt es da noch die kesse Praktikantin Niki, mit der Hans mal gemeinsam arbeitet und mal das Bett teilt. Großer Gegenpart zu Benedek ist die junge Influencerin Xandi Lochner, die zum Social-Media-Star wurde, nachdem sie eine arrivierte CSU-Politikerin in einer Talkshow mit großer rhetorischer Raffinesse der Homophobie »überführte«.

Johanna Adorjáns Roman bewegt sich ganz nahe am Puls der Zeit. Political correctness wird als Generationenproblem verhandelt, der Wertekatalog muss offensichtlich neu sortiert werden. Alles befindet sich in einem rasanten Tempo im Umbruch. Die unsichtbare Macht der Social-Media-Kanäle mit ihren Shitstorms, die in Sekundenschnelle um den Globus gehen und verheerende Folgen haben können, wird latent angeprangert. Die Autorin wähnt sich wie ihre Benedek-Figur auf der moralisch »richtigen« Seite und möchte am liebsten kraftvoll auf die Bremse treten.

Benedek beklagt das Nachlassen der öffentlichen Bedeutung des gedruckten Feuilletons und die Verlagerung der Debatten ins Internet. Irgendwann will Benedek ein Portrait über die junge Influencerin und Radikal-Feministin Xandi Lochner schreiben. Ihr geht es ums Gendern, um Identitätssuche und geschlechterspezifisches Verhalten in unserer Gesellschaft.

Der erfahrene und gefeierte Journalist (»jemand, der einfach sehr schön schreiben konnte, was den unterschiedlichsten Themen oder Menschen, denen er sich in seinen Texten zuwandte, zugutekam«) erlebt schon im Vorfeld eine beinahe demütigende Niederlage. Er darf (so hat es die Redaktionskonferenz beschlossen) nicht alleine über die  junge Influencerin schreiben und bekommt eine junge Co-Autorin an die Seite gestellt – die Praktikantin und Gelegenheitsgeliebte Niki.

Johanna Adorjáns Roman löst bei der Lektüre zwiespältige Gefühle aus, weil hier ganz bewusst und beinahe holzschnittartig mit den gängigen Klischees gearbeitet wird. Alter Mann, junge Frau, Me-Too-Debatte, digitaler Wandel, Chancengleichheit im Beruf, Generationenproblem – all die kontroversen Talkshow-Diskussionen der jüngeren Vergangenheit schwingen im Kopf des Lesers als störende Hintergrundmusik mit.

Johanna Adorján bewegt sich mit diesem Roman an einer Schnittstelle zwischen Unterhaltung und profunder Zeitgeistkritik. Sprachlich gelingt diese schwierige Balance nicht in allen Sequenzen. Sie finde alle Figuren in dem Buch liebenswert und zugleich lächerlich, hatte die Autorin kürzlich in einem Radiointerview erklärt. All die leicht überzeichneten Figuren haben zwar ihre Daseinsberechtigung, aber ihnen fehlt der eigene Atem, die wirkliche Empathie der Autorin. Ob Hans, Xandi oder Niki? Sympathiepunkte kann niemand sammeln. Am Ende ist alles so unentschieden wie die hier mühevoll rekonstruierten Debatten.

Vielleicht ist die unscheinbare Ehefrau Henriette die moralische Siegerin. Ihr Lyrikbändchen »Frau mit Hut« wird wieder nachgefragt, weil Influencerin Xandi dafür »getrommelt« hat. Der letzte Satz des Romans gehört auch ihr: »Irgendwann sah sie zu Hans. ›Du siehst müde aus, war irgendetwas?‹« Was war denn da? Der ambitionierte, aber nur mäßig geglückte Versuch, dem rasanten Tempo des Zeitgeistes in Romanform zu folgen. Leidlich unterhaltsam, aber ohne nachhaltiges Echo.

| PETER MOHR

Titelangaben
Johanna Adorján: Ciao
Köln: Kiepenheuer und Witsch 2021
269 Seiten. 20.- Euro
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